Das sagt die Grimme-Jury zur Auszeichnung von "Applaus und raus":
Das Fernsehformat "Gesprächssendung" ist ausgeleiert wie eine alte Jogginghose. Es hat die Form verloren, es ist fadenscheinig und löchrig, Flecken überall – man möchte gar nicht daran erinnert werden, wie die dahin gekommen sind. Oliver Polaks zweiteilige Sportanzüge sitzen bestens am mächtigen Körper und wenn sie ihn auch nicht gut kleiden, so machen sie doch neugierig. Schläft er darin? Duscht er damit? Wechselt er sie ausreichend?
Oliver Polak, der sich immer wieder als Borderliner des Sperrbezirks an den Geschmacks- und Sagbarkeitsgrenzen herumtreibt, gelingt es mit seiner Sendung "Applaus und Raus!" das Fernsehgesprächsformat in die Sphären des Interessanten und Unerwarteten zurückzuholen. Nicht wissend, wer seine Gäste sind, empfängt er diese vor Publikum zum Gespräch und es ist seiner Willkür überlassen, wie lang sie neben ihm Platz finden. Minuten? Sekunden?
Schon dieses Konzept erzeugt eine Spannung, die sich abhebt von den durchchoreografierten Auftritten anderer Talk-Sendungen – und die neugierig macht. Denn der Fernsehzuschauer ist dabei, wenn zwei Personen das Risiko eingehen, vor Publikum, vor der Kamera, zu scheitern.
Sich als Gast der Unberechenbarkeit Polaks, seinem Hang zur beleidigenden Tabuverletzung und seiner Schonungslosigkeit zu stellen, ist mutig. Mutig ist es aber auch von Oliver Polak und seiner Redaktion, Leute auf ihn zulassen, von denen er nicht wissen kann, ob er ihnen gewachsen sein wird. Ob er gut genug ist, ein interessantes Gespräch zu führen, ob er ihrem Intellekt, ihrem Witz oder ihrer Einfalt etwas entgegenzusetzen hat.
In diesem Spannungsfeld verlässt der Gastgeber die tradierte Rolle des Moderators und sitzt mitunter schlicht als Mensch dem Eingeladenen gegenüber. Im Falle von Oliver Polak ist dies ein Mensch, der mit seiner jüdischen Herkunft und seiner psychischen Erkrankung nicht nur sein Comedy-Programm und seine Angriffstaktik bestreitet, sondern einer, der sich in seiner Verletzlichkeit und seinen Grenzen der Situation preisgibt. So entstehen Situationen, in denen der Moderator darum zu kämpfen beginnt, als Überlegener vom Platz zu gehen, aber auch mit ehrlichem und tiefem Interesse und überraschenden Aussagen. Anders als in den traditionellen Talkformaten, in denen der Moderator oder die Moderatorin sich hinter einem Schutzanzug von Vorbereitungen und ausgeklügelten Fragen versteckt, um alle Beteiligten in bester Manier glänzen zu lassen, ist der Zuschauer bei "Applaus und Raus!" dabei, wenn Fernsehen durchlässig wird. Wenn es offen ist für Unvorhergesehenes, für Ungeplantes. Und vielleicht auch für Ungewolltes. Auf jeden Fall aber offen für die Risikobereitschaft eines Moderators, ohne Hose dazustehen. Sprich, nicht zu genügen.
Dies ist ein Moment, das in der deutschen Fernsehlandschaft so selten geworden ist wie gutsitzende Anzüge in Neukölln, und das die Jury durch diese Auszeichnung unterstützen und stärken möchte. Dies, und das soll auch gesagt sein, war in Anbetracht des zum Motto ausgerufenen Hashtags "Gast oder Spast" keine einmütige Entscheidung.
Den Gästebeschaffern von "Applaus und raus" aber steht unbedingt Anerkennung zu, denn es ist die Auswahl an interessanten und besonderen Menschen, ebenso wie an bekannten, aber nicht durchgenudelten Personen, die der Sendung ihre Spannung und Kraft geben.