„Presseinformation zu Miriam Pielhau“ lautete die banale Betreffzeile. Ich tippte sie an. Die Nachricht von ihrem Tod ließ mich erstarren. Oft wenn ich andere Menschen diese Formulierung sagen höre oder lese, halte ich es für übertrieben oder kitschig. Aber es umschreibt diese plötzliche Fassungslosigkeit sehr gut als ich in einem Hamburger Restaurant nur kurz zwischendurch mal meine eMails checken wollte. Ich habe Miriam Pielhau viel zu verdanken. Sie gehört zu einem kleinen Kreis von Menschen, die ermöglicht haben, dass DWDL.de vor 15 Jahren entstanden ist.
In die andauernde Trauer mischte sich in den folgenden Stunden am Mittwoch erfreulicherweise eine Menge Trost. Es gibt kaum jemanden in der Fernsehbranche, der sie nicht kannte und das nicht nur, weil sie ihr Krebsleiden seit Jahren öffentlich thematisierte und damit Aufmerksamkeit und Hilfe spendete. Miriam Pielhau gehörte zu den vielseitigsten Moderatorinnen der Branche. Sie hat in ihrer viel zu kurzen Karriere für enorm viele Sender gearbeitet. Diese Vielfalt der Fassungslosigkeit - gespiegelt in meinem Facebook-Feed - aber auch abends bei der ProSiebenSat.1-Programmpräsentation, wo Konzernsprecher Julian Geist vorangestellt mit netten Worten an sie erinnerte, spendet Trost.
Fast jeder hat eine Geschichte von oder mit ihr im Kopf. Das hier ist bloß eine davon. Meine.
Im Sommer 2000 habe ich, damals 17 Jahre alt, in den Sommerferien ein Praktikum bei NBC GIGA im Düsseldorfer Medienhafen gemacht und Miri kennengelernt. Das Team des "Fernsehens für die Generation @" war ein ziemlich wilder Haufen. Es wirkte in den zwei Jahren, in denen ich dort war, im positiven Sinne oftmals so als wäre gerade Projektwoche in der Schule - nur dass der Lehrer den Raum schon vor langer Zeit verlassen hatte. Eine Generation von jungen Nerds und solchen, die es waren, aber sich nicht so nennen lassen wollten, hatte großen Spaß daran, frei empfangbares Live-Fernsehen zu machen. Das war Fernseh-Anarchie in Reinkultur und eine wertvolle Spielwiese, auch für Miri.
Nach dem Praktikum - als die Schule wieder begann - machte ich als Teilzeitkraft weiter. Themen recherchieren und Videobeiträge fürs Netz schneiden. Vormittags Schule, nachmittags NBC GIGA. Es mangelt nicht an heiteren Erinnerungen mit Miri und dem ganzen Team, aber es gibt auch denkwürdige Momente, die mir aus anderen Gründen in Erinnerung geblieben sind. NBC GIGA sendete damals jeden Dienstag streckenweise live aus einer Schule irgendwo in Deutschland, um über die Computer- und Internet-Aktivitäten zu berichten. Unterstützt wurde damit die Initiative "Schulen ans Netz". Der Aufwand war enorm für Schalten, die ehrlicherweise eher ehrenwert als besonders unterhaltsam waren.
Ich ging damals in die 13. Klasse des Theodor-Heuss-Geschwister-Scholl-Gymnasiums in Ratingen, einem Düsseldorfer Vorort. Dass ich für NBC GIGA und mit Miri arbeite, wussten schnell nicht nur meine Mitschüler, sondern auch die Lehrer dort und dem Direktoriat gefiel wenig überraschend die Idee, das Fernsehen in der Schule zu haben und sich im Rahmen von "Schulen ans Netz" zu präsentieren. Miri und unseren damaligen Chef vom Dienst konnte ich schnell davon überzeugen. So kam also der Übertragungswagen an einem Dienstagvormittag auf den Parkplatz meiner Schule gefahren. Miri kam mit eigenem Auto hinterher.
Im Raum der Computer AG wurde dann einige Stunden lang alles vorbereitet für die Live-Schalten im Rahmen unserer Sendung, die werktäglich von 15 bis 20 Uhr lief. Es wurde verkabelt, ausgeleuchtet und überprüft. Die Jungs aus dem Übertragungswagen gaben grünes Licht. Miri hatte sich noch kurz selbst geschminkt und saß zusammen mit einigen Schülern bereit für die erste Schalte. Noch einmal wurde durchgesprochen, was sie gleich on air fragen würde. Miri beruhigte die nervösen Schüler. Es war kurz vor 15 Uhr - am 11. September 2001.
Eine kurze Schalte gab es noch. Mehr nicht. Auf einem kleinen Kontrollmonitor - in schwarz-weiß - sahen wir plötzlich Hochhäuser statt unser Sendesignal. Aus dem Übertragungswagen unten vor der Schule kam kurze Zeit später die Info, dass unsere Satellitenleitung anderweitig gebraucht würde. Die DFA (Deutsche Fernsehnachrichten Agentur), die unsere technische Infrastruktur stellte, arbeitete auch u.a. für n-tv. "Eine Cessna ist ins World Trade Center geflogen", erklärte ein Lehrer, der plötzlich im Raum stand. Push-Benachrichtigungen gab es damals nicht. Nicht einmal Smartphones oder SMS-Eilmeldungen - und die Internetverbindung meiner Schule war unglaublich langsam. Wir glaubten das erstmal.
So saßen Miri, ein weiterer GIGA-Kollege und ich zusammen mit den Schülern und zwei Lehrern länger als so mancher ratlos im Raum der Computer AG. Wir hatten keinen Fernseher, nur ein tonloses schwarz-weiß-Bild auf einem kleinen Kontrollmonitor mit sich immer wieder wiederholenden Bildern von dem, was wir für ein Kleinflugzeug hielten. Für viel zu viele Minuten war das rückblickend eine absurde Situation der Gelassenheit. Wir warteten darauf, noch einmal auf Sendung zu gehen - bis dann der erste der beiden Twin Tower einstürzte und sich auch dank langsam, aber sicher geladener Internetseiten auch für uns das Ausmaß erstmals abzeichnete. Wir konnten einpacken. Die Tragödie in den USA war zu groß; die Berichterstattung zu wichtig als dass wir "Schulen ans Netz“ an diesem Tag fortsetzen würden.
Während die Kollegen zusammenpackten, bot Miri an, mich in ihrem Auto mitzunehmen zurück in den Sender. In ihrem Auto auf der Fahrt in den Düsseldorfer Medienhafen hörten wir Deutschlandfunk, um permanent auf dem Laufenden zu bleiben. Die Fahrt dauerte nur gut 30 Minuten. Ohne umfassenden Zugriff auf Informationen, wie wir es heute durch Smartphones und mobiles Internet gewohnt sind, versuchten Miri und ich uns erst einmal aus der Radio-Berichterstattung zusammenzureimen, was in den USA passiert sein musste. Es tat sehr gut, mit den verwirrenden Meldungen nicht allein zu sein. Nie zuvor und nie wieder danach waren wir so wortreich wortkarg. Ehrlich gesagt habe ich keine genaue Erinnerung mehr an das, was wir uns erzählt haben. Aber die Anekdote des 11. September in meiner Schule haben Miri und ich - wie jeder, der sich daran erinnert was er damals gemacht hat, noch einige Male erzählt.
In den folgenden Wochen passierten zwei für mich persönlich bewegende Dinge: Zusammen mit einem Freund habe ich im November 2001 DWDL.de als Mediendienst im Netz gestartet. Klingt offizieller als es war: Zwei Schüler haben eine Website gebaut und dort über Medien geschrieben, weil wir Lust drauf hatten. Kontakte hatten wir kaum, Kenntnis auch nicht. Soziale Netzwerke, um Traffic zu generieren - die waren noch nicht erfunden. 10 Leser am Tag, das war super. Einige meiner Kollegen bei NBC GIGA halfen am Anfang bei den Inhalten mit, aber es plätscherte so vor sich hin. Nur eine Woche später wurde bekannt: Miri verlässt NBC GIGA. Diesen Abschied haben ihr einige Kolleginnen und Kollegen damals übel genommen.
Bis dahin hatte niemand von so zentraler Rolle für NBC GIGA das Schiff verlassen. Jetzt aber schien also jemand etwas Besseres gefunden zu haben als uns - so jedenfalls sahen es einige. Dazu mischte sich bei Einigen auch Unmut über die Tatsache, dass Miri als Chefredakteurin von NBC GIGA zwar viel Presse und Aufmerksamkeit erhielt, aber im Tagesgeschäft der Rolle nicht gerecht wurde. Dass dies nie beabsichtigt war und ihr zusätzlicher Posten repräsentativer Natur war, ging offenbar unter. Nach Ihrem letzten Arbeitstag lud Miri noch einmal in kleinem Kreis zu einem Brunch ein nach Köln. Nur eine handvoll Leute waren dort. Es hatte viel von Abschied. In Kontakt bleiben? Ach was, ich war nur ein Schüler kurz vorm Abitur. Da machte ich mir also keine Illusion und war einfach dankbar für die tolle Zeit.
Aber es kam dann alles anders. Im Januar 2002 wurde bekannt, dass der damalige ProSieben-Chef Nicolas Paalzow sie als neue „taff“-Moderatorin holte. Das war aufregend für Miri - und auch für mich: Ein paar Monate später hatte ich das Abitur in der Tasche, mich mangels Perspektive auch bei NBC GIGA verabschiedet und wieder mehr Zeit für diese eine Internetseite, die ein halbes Jahr zuvor online gegangen war. Viel klüger und besser vernetzt war ich nicht. Bis auf eine Ausnahme: Miri war ja jetzt beim richtigen Fernsehen, bei ProSieben! Nicht wissend, wie viel die Bekanntschaft aus der GIGA-Zeit wohl wert sein würde, mailte ich ihr. Und sie schrieb sehr nett zurück. Regelrecht verdattert war sie, dass ich annehmen könnte, sie würde sich nicht mehr interessieren. Wir führten in den ersten Jahren von DWDL sehr oft Interviews. Etwas zu oft vermutlich.
Aber damals studierte ich noch. Und arbeitete bei RP-Online. Und dieses DWDL war bloß ein Hobbyprojekt, das aber nach und nach neue Gesprächspartner bekommen konnte, weil Miri bei Kolleginnen und Kollegen ein gutes Wort für mich, einem Abiturienten, einlegte. Und sie setzte mich auf Gästelisten. Das war super! Es wäre falsch und furchtbar anmaßend, wenn ich behaupten würde, wir wären befreundet gewesen. Aber sie fand es nach eigener Aussage schön zu verfolgen, wie da etwas langsam, aber sicher wächst, was mal in einem zweiten Browser-Fenster parallel zu meiner Aushilfstätigkeit bei NBC GIGA angefangen hat. Ich wiederum war sehr dankbar für ihre Hilfe und den versprühten Optimismus. Das hat die Entscheidung erleichtert, ob es sich lohnen würde weiterzumachen mit dieser eigenen Website.
Miri hat uns einige Türen geöffnet. Wir haben uns in den vergangenen 15 Jahren danach immer wieder getroffen bei Pressekonferenzen, Screenings oder Preisverleihungen. Meist war Miri dabei schon wieder an einem neuen Projekt. Aber der Kontakt wurde weniger schon lange bevor der Krebs kam. Nicht aus Gründen, einfach so. Jeder hatte viel um die Ohren. Wir simsten hin und wieder, wenn es Neues von ihr zu vermelden gab. Führten weiterhin Interviews. Wichtig war ihr dabei nur: Es sollte in unseren Gespräch bitte nur um ihren Job gehen, nicht um den Krebs. Darum gehe es ja schon oft genug. So möchte ich mich auch nicht an die Miriam Pielhau erinnern, die öffentlich gegen den Krebs gekämpft hat. Sondern an die herzlich bekloppte Kollegin von damals, der DWDL mehr zu verdanken hat als ich ihr zu Lebzeiten gedankt habe.
In Erinnerung an NBC GIGA:
Wir sind hier. Du nicht mehr da.
Das ist so gar nicht wunderbar.
Dein DoTo.