Das erste Interview nach seinem langen Schweigen wollte er lieber schriftlich führen: Bei den Antworten auf die Fragen der „Zeit“-Autoren Matthias Kalle und Moritz von Uslar könne er so der erste sein, der in einem „Zeit“-Interview Emojis unterbringt. Herausgekommen ist ein Gespräch zwischen ernst gemeinter Enttäuschung und demonstrativem Humor. Ob es jemanden gebe, der ihn in den vergangenen Wochen besonders enttäuscht habe, wollen die „Zeit“-Journalisten wissen. „Der Lieferservice von Rewe“, kontert Böhmermann.



Doch nicht durch jede Antwort zieht sich der Drang nach einer Pointe. „Ich habe gegenüber Freunden und meiner Familie in den letzten Wochen immer gesagt: ‚Das war eine wahnsinnig gute Nummer – bloß schade, dass sie von mir war‘“, analysiert der Gastgeber des „Neo Magazin Royale“. „Künstlerisch war unser humoristisches Proseminar Schmähkritik ein unglaublicher Erfolg. Es hat viele überfällige Diskussionen ausgelöst, aber ich muss mich als Komiker auch nicht wundern, wenn da von der anderen Seite auch ordentlich was zurückkommt. Das ist nun mal mein Job.“

Aber frei von Vorwürfen ist Böhmermann nicht, wie schon aus dem am Dienstag von der "Zeit" vorab verbreiteten Zitat deutlich wurde: „Die Bundeskanzlerin darf nicht wackeln, wenn es um Freiheit und Menschenrechte geht. Doch stattdessen hat sie mich filetiert, einem nervenkranken Despoten zum Tee serviert und einen deutschen Ai Weiwei aus mir gemacht.“ Unklar war bis zur Veröffentlichung des gesamten Wortlaut-Interviews jedoch noch, wie ernst er diesen Vergleich meint.

Im Kontext wird deutlich: Er meint es sehr ernst. Dass Ai Weiwei Opfer einer fehlenden Gewaltentrennung in China und in Folge dessen politisch beinflusster Justiz geworden ist, während im Fall Böhmermann wiederum die Politik in Form von Bundeskanzlerin Angela Merkel - begleitet von einiger Kritik - eine mögliche Einflussnahme auf die Justiz unterlassen hat und allein auf den Rechtsstaat setzt, lässt den Vergleich unangebracht erscheinen. Von der unterschiedlichen Fallhöhe in Bezug auf Behördenwillkür ganz zu schweigen.

Aber nicht nur das. Kurz zuvor in der gleichen Antwort steckt eine ebenso bemerkenswerte Aussage von Böhmermann: „Ich habe geglaubt, dass es die Aufgabe von Politik ist, für die nötige Freiheit zu sorgen, dass Spaßvögel wie ich in Ruhe und mit Sorgfalt ihren Job machen können. Ich setze inzwischen mehr auf die Justiz als die Politik.“ Auch diese Aussage scheint ernst gemeint. Man könnte entgegnen: In einem Rechtsstaat entscheidet hoffentlich die Justiz über Recht und Freiheiten und nicht die gerade herrschende oder schlimmstenfalls schlicht populärste Politik.

Vertrauen in die Justiz habe er aber schon, lässt Böhmermann wissen: „Der deutsche Rechtsstaat wird sich meiner kühl und gerecht annehmen, da bin ich voller Zuversicht." Und er freut sich - mal mehr, mal weniger ernst gemeint - über all die Unterstützung der vergangenen Wochen: „Jeder zweite Kommentar zur ‚Staatsaffäre Böhmermann‘ hat mich mindestens zum Schmunzeln gebracht. Und ich habe mich sehr über die Solidarität gefreut. Wer hätte gedacht, dass Didi Hallervorden und Mathias Döpfner mal Hand in Hand für die Kunstfreiheit kämpfen?“

Von der politischen Ebene zurück zur ursprünglichen Intention seines Schmähgedichts. Dazu stellt Böhmermann klar: „Präsident Erdoğan zu beleidi­gen ist mir zu doof. Ich denke, das hat man auch dem reichlich bescheuerten Schmähgedicht ange­ merkt. Es ging eher um die Illustration einer Belei­digung, die natürlich auch mit plumpen Klischees und Vorurteilen hantiert. Die für mich schmerz­hafteste Vorstellung ist wirklich, dass mich jemand wegen dieser Nummer ernsthaft für einen Rassis­ten oder Türkenfeind halten könnte. Es geht um die Grenzen der Freiheit in Deutschland.“

In voller Länge ist das schriftliche Interview mit Jan Böhmermann unter der Überschrift „Ich bin gespannt, wer zuletzt lacht“ in der feiertagsbedingt schon am Mittwoch erscheinenden „Zeit“-Ausgabe 20/2016 zu lesen. Ach, zum von Kai Diekmann erfundene Interview äußert sich Böhmermann übrigens auch - in gewisser Art und Weise. „Ich habe das Interview leider nicht lesen können. Springer­Chef Mathias Döpfner sagte neulich aber, das Diekmann-­Interview sei wirklich ‚wahnsinnig witzig‘. Ich schließe mich diesem Urteil jetzt einfach mal so an und mache es mir zu eigen. Matze und ich sind ja eh eine Wellenlänge.“

Mehr zum Thema