Anders als deutsche Fernsehsender, die als Lizenznehmer von US-Serien aus dem Häuschen sind, wenn sie zur Premiere einen Stargast präsentieren können, fährt Netflix als Auftraggeber bei seinem ersten Event dieser Art eine große Riege an Talents auf. Es führt den ungleichen Wettbewerb von nationalen Sendern und internationaler Konkurrenz wie eben Netflix noch einmal vor Augen. Von Produktion über Distribution bis zur PR spielt Netflix um den Weltmeister-Titel während den linearen Sender in Deutschland davon noch weitgehend unbeeindruckt der Titel des Deutschen Meisters die Welt bedeutet.
Kaffee und Mittagessen servierte Netflix an den beiden Tagen in der angedeuteten Kantine des Litchfield-Gefängnisses - ein Gag, den auch Gäste der europäischen Netflix-Launchpartys kennen. Und „Freddy’s BBQ Joint“ - ein früherer Favorit von „Präsident“ Frank Underwood in „House of Cards“ - servierte Rippchen. Wann immer man auf seinen Wegen durch die lichtdurchflutete Halle des Cité du Cinéma einen Netflix-Mitarbeiter traf, war die Botschaft ähnlich: Wer Fragen habe, solle die bitte stellen. „Wir wollen so pressefreundlich sein wie möglich.“ Antworten gibt es aber natürlich längst nicht auf alle Fragen, siehe Nutzungsdaten. Während Reed Hastings auf der Bühne seine gut choreographierte Rede abspult, wird er im persönlichen Gespräch am Nachmittag nahbarer. In einer der kleinen Interview-Boxen macht man es sich gemütlich.
Es gibt kaum einen CEO von ähnlichem Rang, der in so einem direkten Gespräch alle Fragen annimmt. Sein Pressesprecher, der im Hintergrund steht, schreitet zu keinem Zeitpunkt ein, egal ob es - wie schon erwähnt - um die fehlenden Belege für den Erfolg einzelner Programme geht oder die Folgen der konsequenteren Verhinderung von Netflix-Nutzung via VPN. Hastings managt das. Beim VPN-Thema erläutert er, dass man das Problem viel lieber vom anderen Ende aus angehe. „Letztlich wollen wir all unsere Programme global verfügbar machen. Mit Ausnahme von ‚House of Cards‘ und ‚Orange is the new black‘ ist das auch so. ‚Narcos‘ oder ‚The Ranch‘ zum Beispiel sind für Netflix-Kunden in allen Territorien verfügbar.“ Und bei der Lizenzierung von Fremdprogrammen lege man auch mehr Aufmerksamkeit als zuvor auf globale Lizenzierung.
„Wenn wir aggressiv genug sind, werden wir auch Serien haben, die nicht funktionieren."
Netflix-CEO Reed Hastings über Mut zum Scheitern
Und zu den Quoten sagt Hastings noch: „Die Overnight-Ratings haben stets so eine Aufregung verursacht, weil sie über Leben und Tod eines Programms entschieden haben. Da haben viele in der Branche schon schlaflose Nächte verbracht, weil sie auf die Veröffentlichung der Quoten gewartet haben.“ Da kann man ihm schwer widersprechen. Flops wünscht er sich übrigens auch ohne Quotenmessung: „Wenn wir aggressiv genug sind, werden wir auch Serien haben, die nicht funktionieren. Wir wollen so viele neue Dinge ausprobieren, dass da mit Sicherheit einige nicht fortgesetzt werden. Das ist okay, solange das nicht zu oft passiert.“ Der Wettbewerb im Video-on-Demand-Segment wird schließlich intensiver.
Schon auf der großen Bühne des Netflix Slate Events sagte Hastings: „Einen Sender zu starten, kostete einmal viel Geld. Heute kostet es nur noch ein paar hundert Dollar. Wenn Sie eine App fürs iPhone programmieren können, wenn sie Videos drehen können und Geschichten zu erzählen haben, dann können Sie einen Sender aufbauen. Internet TV ist hochgradig demokratisch. Jeder kann daran teilhaben. Was Sie in den nächsten fünf bis zehn Jahren erleben werden, ist eine unglaubliche Anzahl an Wettbewerbern für Netflix.“ Später auf Nachfrage führt er das noch einmal aus. Woher kommt seiner Meinung nach die gefährlichste Konkurrenz für Netflix?
„Aus allen Richtungen“, entgegnet der CEO (im Bild rechts. Links: Ted Sarandos) . „Da gibt es Internet-Firmen wie Amazon, Apple und Google. Dann gibt es Medienkonzerne wie Fox, Disney, Mediaset, Vivendi. Es gibt in Europa einen Wettbewerb mit Sky. Die wichtigste Erkenntnis ist: Konsumenten wählen mehrere Angebote. Wer sich für Netflix entscheidet, entscheidet sich nicht zwangsläufig gegen etwas anderes. In den USA sind viele unserer Mitglieder auch Mitglied bei Hulu oder nutzen Amazon Prime. Und fast alle haben parallel noch Kabel- oder Satelliten-TV. Weil wir mit knapp zehn Euro so günstig sind - billiger als eine DVD - ist Netflix eine gern genutzte Ergänzung zur bisherigen Mediennutzung.“ Das entspricht auch der Haltung linearer Fernsehmacher: Netflix ist ein AddOn.
Reed Hastings will aber mehr sein als das: „Es gibt schon viel Wettbewerb und der wird noch zunehmen, wenn immer mehr Firmen verstehen, dass on demand also Internet TV, die Zukunft ist.“ Auf die Frage, wo er mit Netflix in fünf Jahren sein will, antwortet der 55-Jährige: „In noch mehr Märkten mit lokalisierten Inhalten.“ Die angebotene Sprachenvielfalt soll wachsen. Und das Angebot an Serien auch. Da bietet sich zum Abschied eine Frage zu der Debatte an, die im Sommer 2015 von John Lindgraf, dem Chef des US-Kabelsenders FX angestoßen wurde. Kann es auch zu viel gutes Fernsehen geben? Netflix-Mitgründer und -CEO Hastings lacht:„Nein. Ich scherze immer mit Larry Page, dass er die Welt produktiver machen will. Ich will die Welt glücklicher machen.“ Drunter macht man es nicht bei Netflix.