Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Eintrag auf Einleitung eines Strafverfahrens gestellt werde, sei nach dem Telefonat zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu gesunken, hieß es noch Mitte der Woche. Gestört hat man sich in der Türkei an dem Gedicht aber offensichtlich doch deutlich stärker: Einem Bericht des "Tagesspiegels" zufolge erwartet die türkische Regierung nun tatsächlich die Strafverfolgung von Jan Böhmermann.
Demnach habe der türkische Botschafter dies in einer sogenannten Verbalnote an das Auswärtige Amt deutlich gemacht, berichtet der "Tagesspiegel" und verweist auf Regierungskreise, die dies der Zeitung bestätigt haben. Die Bundesregierung werde den Inhalt der Verbaltnote "sorgfältig und so zügig wie möglich prüfen", zitiert der "Tagesspiegel" die nicht näher genannten Regierungskreise. Erst dann solle entschieden werden, wie weiter verfahren werden soll.
Beraten sollen sich am Montag dazu Mitarbeiter des Bundeskanzleramts, des Außenministeriums und der Justizressorts. Widersprochen habe die Bundesregierung den Forderungen unter Verweis auf die Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit noch nicht, heißt es beim "Tagesspiegel". Damit ist noch nicht auszuschließen, dass Berlin der türkischen Forderung zustimmt. Im Sinne des Paragraphen 103 des Strafgesetzbuches, der u.a. die Beleidigung ausländischer Staatsoberhäupter regelt, wird als Antragsdelikt ein Strafverfahren nur eingeleitet, wenn dies explizit beantragt wird. Nur wenn die Türkei die strafrechtliche Verfolgung wünscht, wird es diese geben.
Gerade gegen diesen Paragraphen regt sich in den vergangenen tagen aber auch Widerstand. Georg Restle vom Politmagazin "Monitor" kritisiert die Existenz des Paragraphen in einem Kommentar scharf, da er selbst Diktatoren schütze. "Dass es einen solchen Paragraphen in Deutschland überhaupt gibt, ist der eigentliche Witz. Und zwar einer, über den man nun wirklich nicht lachen kann", meint Restle. Unterstützung erhält Böhmermann an diesem Wochenende auch von Springer-Vorstand Mathias Döpfner, der das Erdogan-Gedicht in einem offenen Brief als "ein Kunstwerk" bezeichnet und sich für Solidarität mit Böhmermann ausspricht.
In das weitere Vorgehen sind laut "Tagesspiegel" nun auch direkt Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie Außenminister Frank-Walter Steinmeier sowie Justizminister Heiko Maas eingebunden. Am Mittwoch hatte die Staatsanwaltschaft Mainz bereits ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Beleidigung von Organen oder Vertreter ausländischer Staaten eingeleitet und das Bundesjustizministerium darüber unterrichtet, um zu klären, ob seitens der Türkei ein "Strafverlangen" gestellt werden. Zuvor waren bereits zwanzig Anzeigen von Privatpersonen eingegangen.
In dem Gedicht war Erdogan unter anderem mit Kinderpornos in Verbindung gebracht und als "Recep Fritzl Priklopil" bezeichnet worden. Jan Böhmermann wollte auf diese Weise nach der "extra 3"-Satire über den türkischen Präsidenten den Unterschied zwischen Kunst- und Meinungsfreiheit auf der einen und Schmähkritik auf der anderen Seite deutlich machen und betonte in seiner Show auch selbst mehrfach, dass Letztere in Deutschland nicht erlaubt sei.