Mit seiner Titelgeschichte "Das zerstörte Sommermärchen" hat der "Spiegel" am Wochenende schwere Geschütze aufgefahren. Die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 sei "mutmaßlich gekauft", schrieb das Nachrichtenmagazin und berichtete von einer "schwarzen Kasse", die der damalige Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus "heimlich mit 10,3 Millionen Schweizer Franken gefüllt" habe. Mit diesem Betrag könnten dem Bericht zufolge vier asiatische Stimmen von Mitgliedern der FIFA-Exekutive gekauft worden sein. Doch so toll die Schlagzeile für den "Spiegel" war, so groß sind auch die Fragezeichen, die die Geschichte nach dem Lesen hinterlässt. Ganz so eindeutig stellt sich der Sachverhalt nämlich offensichtlich nicht dar.
DFB-Präsident Wolfgang Niersbach hat inzwischen die erhobenen Korruptionsvorwürfe in einem vom DFB selbst geführten Interview zurückgewiesen. Man habe den Medienanwalt Christian Schertz gebeten, den "Spiegel"-Artikel presserechtlich zu prüfen. "Insbesondere die Frage, was der 'Spiegel' als Beweis dafür anführt, dass es zu einem Stimmenkauf gekommen sein soll“, so Niersbach. "Herr Schertz teilte uns bereits mit, dass der 'Spiegel' im Ergebnis jeden Beweis für diese Kernbehauptung der Geschichte schuldig bleibt. Wir haben ihn daher gebeten, gegen die insoweit nicht im Ansatz bewiesene und definitiv falsche Kernbehauptung des 'Spiegel', die WM 2006 sei mit Mitteln aus einer 'Schwarzen Kasse' beim DFB oder beim Organisationskomitee gekauft worden, alle denkbaren rechtlichen Schritte einzuleiten."
Es gab also reichlich Diskussionsstoff am Sonntagabend beim Fußball-Talk "Sky90", der die Berichterstattung zu den Bundesliga-Spielen vom Tage erst mal hinten anstellte. Dass es derart turbulent zugehen würde, hätte man aber wohl auch bei Sky nicht vermutet. Moderator Patrick Wasserziehr hatte zunächst mit Medienanwalt Christian Schertz telefoniert. Schertz mutmaßte, der "Spiegel" habe "sich ein bisschen vergaloppiert". Die Sachlage sei "ungewöhnlich und eindeutig", sagte der Anwalt und kritisierte, dass der "Spiegel" den Vorwurf der angeblich gekauften Weltmeisterschaft in seiner Vorabmeldung "in die Medien geblasen" habe, obwohl das Magazin im Artikel selbst keinerlei Beweise liefere. Es sei ein "für mich einmaliger Vorgang", so Schertz bei Sky. "Ich habe noch nie eine Geschichte erlebt, die so groß verkauft wurde von einem Verlag, wo dann im Artikel selber steht, für die Kernbehauptung, die die Besonderheit und die Gefährlichkeit ausmacht, haben wir keinen Beweis. Und noch besser ist der Satz in der letzten Spalte des großen Artikels. Da heißt es: 'Ob und wie viel Geld aus Deutschland nach Asien ging, ist unklar.'"
Zu behaupten, der aktuelle Präsident sei involviert gewesen, wie es Mit-Autor Jens Weinreich in einem "Spiegel Online"-Interview getan habe, sei "schon starker Tobak". Wie praktisch, dass Weinreich kurz darauf ebenfalls telefonisch zugeschaltet war. Doch Patrick Wasserziehrs Frage, ob er sich mit seinem Artikel "zu weit aus dem Fenster gelehnt" habe, beantwortete Weinreich erst mal nicht. Stattdessen stänkerte er gegen Sky: "Zunächst muss ich mal sagen, dass mir vorher gar nicht gesagt wurde, dass der Honorarprofessor vor mir spricht und seine Ergüsse loslässt. Das finde ich schon ein bisschen merkwürdig von Sky, vom Beckenbauer-Sender Sky", sagte Weinreich, woraufhin Wasserziehr entgegnete, nichts Ungewöhnliches daran erkennen zu können, beide Seiten zu Wort kommen zu lassen.
"Ich weiß nicht, ob Sie schon mal recherchiert haben"
Auch die Frage, ob er noch etwas in der Hinterhand habe, gefiel dem freien Journalisten nicht. "Das ist eine ganz normale Recherche, lieber Mann", wetterte er gegen den Sky-Moderator. "Ich weiß nicht, ob Sie schon mal recherchiert haben. Wir haben eine neue Qualität vorgelegt, wir haben Kontonummern vorgelegt. Und Leute, die sich auskennen in der Korruptionsbekämpfung (…) horchen auf." Wasserziehr war sichtlich überrascht von der Entwicklung des Gesprächs. "Ich lasse die Polemik jetzt mal weg, das überlasse ich Ihnen", sagte er und fragte seinen Kollegen am Telefon schließlich, ob er denn dazu bereit sei, die angeblich auf einem Dokument entdeckte Handschrift des DFB-Präsidenten prüfen zu lassen, wie es Niersbach bereits angeboten habe. Auch darauf lieferte Weinreich keine Antwort. Stattdessen setzte er seinen Angriff fort: "Was hier jetzt gerade läuft, ist offenbar - und ich sage das auch live auf dem Sender - ein Vorführen eines der Journalisten. Ohne jegliche Information wird hier so eine Art Mini-Tribunal gemacht."
Vorher seien die Zuschauer durch die "Nebelkerzen" des Anwalts bereits "eingeschworen" worden. Dabei sei es "relativ unerheblich", was Schertz meine. Wasserziehr konterte: "Ich verwahre mich eindeutig gegen die Begrifflichkeit 'Tribunal'. Das ist historisch anders belegt. Ich glaube, das sollten wir ganz dringend bleiben lassen. Ich stelle Fragen und bin erstaunt, dass Sie in dieser Schärfe darauf reagieren. Wir versuchen, das von allen Seiten zu beleuchten. Sie sind Hauptakteur des 'Spiegel' in diesem Zusammenhang, und ich habe Fragen gestellt, die Sie beantworten können. Und wir lassen uns von Sky nicht vorwerfen, dass wir uns einseitig auf irgendeine Seite schlagen. Das ist nicht unser Ansinnen. Aber wir müssen alle Seiten hören - und jetzt haben wir Sie gehört."
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Damit war das Telefonat beendet, nicht aber das Thema. Plötzlich meldete sich nämlich Christian Schertz noch einmal zu Wort. "Ich finde das schon ziemlich befremdlich, dass Herr Weinreich in seinem Blog und in diesem Artikel, um den es geht, meint, die ganze Zeit über andere Menschen richten zu können. Wenn man ihm dann kritische Fragen stellt, derartig agressiv überzureagieren und sich eigentlich keinerlei Fragen gefallen zu lassen - das ist schon absolutistisch, dieses Auftreten." Und weiter: "Ich werfe keine Nebelkerzen, sondern ich bringe Klarheit in die Frage, um die es geht. Das eine ist der Kauf der WM. Da gibt es nicht einen Beweis des 'Spiegel' - und das schreibt der 'Spiegel' selbst. Das andere ist die Frage der Zahlung. Und deren Umstände sind selbstverständlich aufzuklären." Nur dazu habe sich Weinreich erklärt, nicht aber zu der Frage, wie der "Spiegel" dazu kommt, dass mit der Zahlung ein Indiz für eine Bezahlung der WM bestehen soll.
Es ist nicht das erste Mal, dass der Anwalt und Jens Weinreich aufeinandertreffen. Schertz hatte einst auch Theo Zwanziger vertreten, als Weinreich den ehemaligen DFB-Präsidenten in einem Kommentar zu einem Blog-Eintrag als "unglaublichen Demagogen" bezeichnet hatte. "Als ich gegen ihn und Zwanzinger gekämpft habe, da ging es am Ende 6:0 aus für den Journalisten", erinnerte sich Weinreich am Sonntag bei Sky an die damalige juristische Auseinandersetzung mit Christian Schertz. Journalist Oliver Trust, ebenfalls Gast bei "Sky90", betonte, dass der damalige Streit für Weinreich "teilweise existenzgefährdend" gewesen sei. Man dürfe dem Kollegen daher zugutehalten, dass er emotional sei.
Trust: "Ich finde es relativ normal, dass der Anwalt des DFB sich äußert. Ich fand auch völlig normal, was er gesagt hat." Von Weinreich hätte er sich "ein bisschen mehr Sachlichkeit gewünscht und ein bisschen mehr Klarheit, was die Argumente und Informationen des 'Spiegel' angeht." Moderator Patrick Wasserziehr war zu diesem Zeitpunkt noch immer verwundert über die Wendung, die das Gespräch mit dem Journalisten nahm. Es sei die Pflicht, die Seite des "Spiegel" darzustellen. "Es ist auch ganz klar: Wir können noch nicht abschließend bewerten, was stimmt. Woher soll ich das wissen? Obwohl ich in meinem Leben - Gruß an Herrn Weinreich - schon recherchiert habe, aber das kann ich beim besten Willen nicht wissen." Später erklärte er dann noch, das Gespräch "ein bisschen sacken zu lassen". Wasserziehr: "Ich habe gerade überlegt: Habe ich Fragen gestellt, die möglicherweise übers Ziel hinausgeschossen sind. Aber ich glaube, das ist eigentlich das, was man wissen will."
Tatsächlich waren es die richtigen Fragen, die Patrick Wasserziehr stellte. Dass Jens Weinreich darauf kaum einging, ist schade, hätten seine Antworten die Diskussion um den angeblichen DFB-Skandal doch erheblich weiterbringen können. Auf Twitter legte er später noch einmal nach. Sky habe ihn auflaufen lassen, ärgerte sich Weinreich. "Wäre ich zum vereinbarten Termin dagewesen, hätte ich Schertz nicht mal mitbekommen." Und weiter: "Schertz macht Meinung und darf das, ich halte mich an Fakten, sonst verdient er viel Geld an mir." Fallen seien jedoch dazu dazu, "dass mal einer reintappt", schrieb er rückblickend. "Tut manchmal weh, wenn's passiert. Durchatmen. Mund abwischen. weiter arbeiten." Und womöglich Antworten liefern auf die Fragen, die auch nach dieser "Sky90"-Sendung weiter offen sind.
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