Wer in dieser Woche um 14 Uhr das Programm von RTL einschaltete, wird sich womöglich etwas verwundert die Augen gerieben haben. Fast genau sieben Jahre, nachdem der Kölner Sender seine letzte Gerichtsshow aus dem Programm nahm, experimentiert RTL wieder mit diesem totgelaubten Genre. Unter dem Titel "Recht und Ordnung" wurde seit Wochenbeginn täglich eine Stunde lang eine von Constantin Entertainment produzierte Gerichtsshow im Rahmen der "Verdachtsfälle" gezeigt. Die Sendung orientierte sich dabei allerdings weniger an "Richter Alexander Hold", das Constantin Entertainment einst für Sat.1 herstellte, sondern viel mehr an der bereits Ende der 90er Jahre im ZDF ausgestrahlten Reihe "Streit um Drei", die quasi der Vorläufer der später bei den Privaten mit großem Erfolg ausgestrahlten Gerichtsshows war.
Innerhalb einer Folge gibt es gleich drei Fälle mit Kläger und Beklagtem - klassische Strafgerichtsprozesse, die bei RTL und Sat.1 einige Jahre lang nachmittags für mehr als 30 Prozent Marktanteil in der Spitze gut waren, kommen bei "Recht und Ordnung" dagegen nicht vor. Anders als bei "Streit um Drei" verzichtet RTL am Ende allerdings auf einen Reporter, der die beiden Protagonisten zum Urteil befragt. Stattdessen sprechen diese schlicht in die Kamera. Zudem wird jeder Fall durch einen kurzen Einspielfilm eingeleitet. Auf wie viele Folgen der Nachmittags-Test angelegt ist, ließ RTL am Freitag zunächst offen. Eine Fortsetzung im Herbst erscheint angesichts schwacher Quoten jedoch recht unwahrscheinlich: Mit teils einstelligen Marktanteilen bewegte sich die Show mit Richter Martin Lauppe deutlich unterhalb des Senderschnitts.
Deutlich erfolgreicher war RTL hingegen vor einigen Wochen mit seinem "Blaulichtreport" und dem Format "Anwälte und Detektive - Sie kämpfen für Dich", die beide von Filmpool stammen und ebenfalls im Rahmen der "Verdachtsfälle" getestet wurden. Damit hatte der Sender den Marktanteil zwischenzeitlich auf mehr als 20 Prozent gesteigert. Schon seit geraumer Zeit dient "Verdachtsfälle" als Probefläche für Scripted Realitys aller Art - eine Reaktion auf die massiv gesunkenen Quoten des Nachmittagsprogramms. Innerhalb der Sendung wolle man "zahlreiche neue Ansätze testen, so wie wir es schon in den letzten Wochen und auch in den vergangenen Jahren immer wieder getan haben", erklärte RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger schon im November gegenüber DWDL.de, nachdem gleich mehrere Neustarts beim Publikum durchgefallen waren. "Dabei werden wir nah am Zuschauergeschmack agieren und sehr behutsam mit Gewohnheiten umgehen."
Dass man sich noch einmal an das Genre der Gerichtsshows traut, kommt trotzdem überraschend. Womöglich sind den Kölnern die Erfolge von Sat.1 nicht entgangen: Dort gehören die zur Mittagszeit ausgestrahlten Wiederholungen von "Richter Alexander Hold" nicht selten zu den meistgesehenen Sendungen des Tages - und mit Blick auf die Gesamt-Reichweite liegt Hold häufig sogar vor "Punkt 12". Komplett tot sind die Gerichtsshows somit also auch mehr als zwei Jahre nach dem Aus der "Hold"-Produktion, die das vorläufige Ende eines Genres besiegelte, ganz offensichtlich nicht. Die Produktion einer neuen Gerichtsshow ist bei Sat.1 zumindest zum jetzigen Zeitpunkt trotzdem nicht vorgesehen. Stattdessen freut man sich in Unterföhring derzeit über steigende Quoten der Ermittler-Reihe "Auf Streife", in der echte Polizisten spontan auf gescriptete Situationen reagieren müssen.
Das Konzept kommt gut an - und behauptete sich auch gegen den jüngsten Angriff von RTL. Erst in dieser Woche steigerte sich "Auf Streife" im Nachmittagsprogramm auf bis zu 17 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe. "Unsere Real-Life-Dokus am Nachmittag laufen sehr erfolgreich. Die große Beliebtheit von 'Auf Streife', 'Im Namen der Gerechtigkeit' und 'Anwälte im Einsatz' zeigt, dass wir hier eine authentische und zeitgemäße Programmfarbe spielen", sagte Sat.1-Sprecherin Diana Schardt am Freitag auf DWDL.de-Nachfrage. "Gleichzeitig gilt es, diese Formate kontinuierlich mit innovativen Ideen weiterzuentwickeln."