Formel 1-Chaos in Amerika: Ein Rennen und zwei Sichtweisen
Schon seit Samstag wurde in den Medien, anfangs noch sehr leise, über Probleme beim eigentlichen Rennen zum Großen Preis der USA gemunkelt, nachdem Ralf Schumacher bereits am Freitag spektakulär von der Strecke flog. Wirklich vorstellen konnte sich aber offenbar selbst bei den Sport-Experten kaum einer, dass die Formel 1 sich am Ende so blamabel darstellen würde.
Es waren nur Randnotizen in den Vorschauen der Nachrichtenagenturen und Redaktionen zum Rennen, die auf die Problematik mit den Reifen hinwiesen. Erst als in Amerika am Sonntag die Sonne aufging, wurde gegen Mittag deutscher Zeit klar, dass es alles andere als klar ist, ob überhaupt gefahren wird in Indianapolis.
Kurz vor dem Start passierte dann das, was offenbar zuvor in Verhandlungen zwischen den Teams und der FIA nicht verhindert werden konnte: Alle Fahrerteams die auf Michelin-Reifen setzen, riefen ihre Fahrer noch vor dem Start zum Großen Preis der USA zurück in die Box. Eine Sicherheitswarnung des Reifenherstellers war der Grund dafür.
Was dann bei RTL und Premiere zu verfolgen war, war aus jounalistischer Sicht spannender als das Rennen aus sportlicher Perspektive. Ganz überrascht von der Situation begann die Analyse aus dem Stegreif. Bei RTL war plötzlich völlig klar, dass es nur so kommen konnte. Eine andere Lösung wäre auch gar nicht logisch gewesen. Diese eindeutige Darstellung der Sachlage kam für RTL-Zuschauer schlagartig. In den Stunden und Minuten vor dem Rennen machte man noch mit der Darstellung des totalen Chaos an der Rennstrecke Quote.
Für die Kommentatoren Christian Danner und Heiko Wasser war dann auch schon vor Beendigung der ersten Runde klar: Dass die Fans kein vernünftiges Rennen zu sehen bekommen und sich die Formel 1 bei ihrem Gastaufenthalt in Amerika in diesem Jahr keine Freunde macht, sei Schuld von Michelin. Im Sinne des Sportes und der Zuschauer wäre es doch, so hörte man bei RTL, schöner gewesen, alle Fahrer würden fahren. Von Sicherheitsbedenken bei den Kommentatoren keine Spur. Es hätte ein Rennen mit allen Fahrern geben können. Dazu hätten Ferrari und die FIA allerdings der Einrichtung einer Schikane auf der Strecke zustimmen müssen, die die Geschwindigkeit der Fahrer an der gefährlichen Stelle drosseln sollte. Dass von Ferrari und der FIA kein Krompromiss möglich gemacht wurde, wurde allerdings bei RTL nicht kritisiert.
Richtig ist natürlich, dass Michelin mit den fehlerhaften Reifen die ursprüngliche Wurzel allen Übels ist. Aber, so erfuhren immerhin Premiere-Zuschauer, angesichts des drohenden Imageschadens für den gesamten Sport und des Unmutes der Zuschauer und Fans hätten sich Ferrari und die FIA in Verhandlungen über eine Lösung für das Problem zuvor im Sinne des Sportes kompromissbereiter zeigen müssen.
Ein per Telefon zugeschalteter Ralf Schumacher war mit der Darstellung der beiden RTL-Kommentatoren ebenfalls nicht einverstanden. Live bekamen die Fernsehzuschauer so ein Streitgespräch mit, welches mehr Schärfe und Aufregung zum Fernsehvergnügen beitrug als das eigentliche Rennen.
Kritik an Ferrari und der FIA lag den RTL-Kommentatoren auch nach der Standpauke Ralf Schumachers das gesamte Rennen über fern. Abgesehen von der sportlichen Beurteilung dieser Tatsache, die in einem Medienmagazin fehl am Platz wäre, enttäuschte der Kölner Sender einfach durch die unvollständige Berichterstattung. So schickte Premiere sein Personal vor Ort mehrfach auch während des Rennens auf Stimmungsfang und lieferte damit eine aufschlussreichere Berichterstattung.
RTL gratulierte, um den Vogel offenbar völlig abzuschießen, nach dem Rennen dann auch noch Bridgestone dazu, dass die Reifen durchhielten. Nicht-zahlende Formel 1-Fans blieben am Sonntag, beim wohl spektakulärsten Formel 1-Rennen seit Jahren, auf der Strecke. RTL hielt die Kamera stur auf der Strecke und blieb bei der sehr verengten Schuldzuweisung auf Michelin. Der Skandal, der der Formel 1 durch die offensichtliche Unfähigkeit gemeinsam Kompromisse zu finden, jetzt erst noch ins Haus steht, wurde lediglich bei Premiere umfangreich thematisiert.