Der Goldene Günter© DWDL / Bulo

Es ist wieder Zeit für den charmantesten Negativ-Preis der Medienbranche: Bereits zum siebten Mal ehrt die Redaktion des Medienmagazins DWDL.de Personen, Unternehmen und Leistungen des vergangenen Jahres, die "ziemlich ui-jui-jui" waren. Hintergrund dieser seit 2008 vergebenen Auszeichnung ist eine Aussage des ehemaligen ARD-Programmdirektors Günter Struve, der einen gewagten Auftritt der Künstlerin Lady Bitch Ray in der Sendung "Schmidt & Pocher" gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" mit zum Kult gereiften Worten kommentierte, diese Sendung sei "ziemlich ui-jui-jui" gewesen. In Anerkennung dieser charmanten, aber deutlichen Kritik verleiht das Medienmagazin DWDL.de den Goldenen Günter. In dieser Woche werden wir Ihnen jeden Tag einen der Gewinner vorstellen.

Der Goldene Günter 2014 in der Kategorie "Dilemma des Jahres" geht an die Spiegel-Mitarbeiter KG.

Nein, nein. Rückwärtsgewandt sind sie nicht, die Redakteure des gedruckten "Spiegel". Sie wollen schon Veränderungen und ein bisschen mehr online - Wolfgang Büchner war dafür aber nicht der Richtige. Das hat "Spiegel"-Mann Cord Schnibben in einem vielbeachteten Text geschrieben. Natürlich erst, als Büchner das Unternehmen verlassen hatte. Und Schnibben arbeitet immerhin schon seit 25 Jahren für den "Spiegel" - der muss es wissen. Nachtreten nennen das die meisten, Schnibben weiß das und argumentiert, er wolle nicht, dass es nach außen so aussehe, als sei der "Spiegel" ein zerstrittener Haufen.



Ein zerstrittener Haufen? Wer hat denn sowas behauptet? Nicht einmal 24 Stunden nach Schnibbens Nachtreter-Text schickte der Betriebsrat von "Spiegel Online" eine Rundmail an die Mitarbeiter und forderte darin eine "Zäsur". Endlich sollen auch die Onliner in die Mitarbeiter KG dürfen - und damit finanziell profitieren, etwa durch die Gewinnausschüttungen. Die Printler, die bereits in der Mitarbeiter KG sind und so großen Einfluss auf den Kurs des Unternehmen haben, wollen das nicht. Das Dilemma beim "Spiegel" ist ein Konstrukt, das nicht kompatibel ist für einen Medienwandel.

Statt den Verlag für die Zukunft aufzustellen, verliert sich das Haus in monatelangen Grabenkämpfen. Das hatte schon kurz nach Büchners Amtsantritt angefangen, als dieser den Springer-Mann Nikolaus Blome zum Nachrichtenmagazin lotste. Die Umbaupläne machten einige Wochen später alles noch viel schlimmer. Schon ein halbes Jahr nach Büchners Antritt war zu erfahren, dass sein Rückhalt bei der mächtigen Mitarbeiter KG schwindet. Vor allem die Print-Redakteure stellten sich damals gegen die Pläne ihres Chefs. Als Büchner schließlich die Ressortleiter entmachten wollte, war das Tischtuch endgültig zerschnitten.

Monatelang wurden interne Informationen an die Presse durchgestochen, um Büchner zu schaden. Genüsslich wurden die Informationen von Branchendiensten ausgebreitet. Die Print-Redakteure sammelten sogar Unterschriften gegen ihren Chef. Das kommt wohl dabei heraus, wenn die Angestellten letztlich ihrem eigenen Vorgesetzten vorgesetzt sind. Das Problem beim „Spiegel“ war nicht Wolfgang Büchner - und werden weder der jetzige Nachfolger noch künftige Chefredakteure sein. Das Problem ist die Mitarbeiter KG, deren Handeln zwar menschlich nachvollziehbar - wer gibt schon gerne Privilegien auf, wenn er selbst darüber entscheiden kann - aber destruktiv ist.

Sie will Arbeitsbedingungen und -konditionen verteidigen, die aus Sicht der meisten Journalisten heute nur als äußerst fürstlich zu bezeichnen sind. In einer idealen Welt könnte man sie feiern als Aufständige für den Anstand. In der Realität muss man sagen: Die Onliner haben recht wenn sie sagen, dass die Marke "Spiegel" für die jungen Generationen nur noch in Form von "Spiegel Online" existiert. Ob es die Print-Kollegen mögen oder nicht: Die jungen Leser nehmen das gedruckte Heft überwiegend gar nicht mehr oder nur als Beiboot des Online-Angebots wahr.

Wenn Mitarbeiter über das Schicksal des Unternehmens entscheiden und dabei in erster Linie ihre verbleibende Zeit im Unternehmen im Blick haben, dann mag das für sie selbst gerade noch gut gehen aber hilft nicht, ein Unternehmen zukunftstauglich aufzustellen. Büchner war ein Opfer des tiefer sitzenden Kampfes zwischen Print und Online. Es geht um Machtbewahrung und Frustration über Fremdbestimmung. Die Mitarbeiter KG muss endlich auch die Onliner besser stellen, damit ein Burgfrieden an der Ericusspitze einkehrt. Ein personeller Wechsel an der Spitze ändert an dieser Haltung noch nichts. Auch 2015 wird der "Spiegel" somit ganz sicher für (zu viele) Schlagzeilen in eigener Sache sorgen.

Der Goldene Günter 2014