Da ist sie wieder, diese Enttäuschung. Diese für die ARD wenig trostspendende Erkenntnis, dass man halt mehr von ihr erwartet hätte. Was bei Privatunternehmen einen Shitstorm ausgelöst hätte, wird hier zu einer Frage der Positionsbestimmung bei der für die Öffentlich-Rechtlichen immer so schwierige Balance zwischen Anspruch und Quote. Der Wunsch des Agenda-Settings, also Themensetzens, war offenbar zu groß. „Hinters Licht geführt von falschen Versprechungen“ wirft ein Redakteur den Verantwortlichen vor und begründet seinen Frust. Dass die Themenwoche sich dem Thema Toleranz und nicht Akzeptanz widme, werde man im Vorfeld der Ausstrahlung über die Kommunikation schon abfangen, wurde während Planung und Produktion der Themenwoche versichert. Dass genau diese Kommunikation jetzt nicht auffängt sondern im Gegenteil zündelt, hat das Fass offenbar zum Überlaufen gebracht.
Doch es ist nicht allein die Plakat-Kampagne, die für Irritationen sorgt. Auch eine Sendungsankündigung des Hessischen Rundfunks liest sich befremdlich. Darauf hatte das Medienmagazin DWDL.de schon am Montagabend seine Follower bei Twitter aufmerksam gemacht. „Es gibt im Alltag kaum eine Situation, die nicht unsere Toleranz erfordert. Der Tag könnte so schön beginnen, wenn nicht der Nachbar laut auf dem Balkon telefonieren würde. Ist sich das knutschende schwule Paar in der U-Bahn eigentlich bewusst, wie viel Toleranz es seinen Mitreisenden abverlangt?“, heißt es dort und vergleicht mal eben gleiche Menschenrechte für Homosexuelle völlig absurderweise mit dem Ärger über zu lautes Telefonieren der Nachbarin.
Der Hessische Rundfunk fragt im Jahr 2014 also, ob man sich Homosexuelle gefallen lassen muss? In homophoben Kreisen und bei den sehr beliebten „Ich habe nichts gegen Schwule, aber…“-Mitläufern wird man sich gefreut haben. Eine Position, wie gemacht für „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!“-Verteidigungen. Wie menschenverachtend der Hessische Rundfunk jedoch unveränderliche Merkmale von Menschen zur Bewertung stellt, macht die denkende Mehrheit sprachlos. Für homophobe Intelligenzallergiker könnte der Hessische Rundfunk ja auch gleich alternativ fragen: Müssen wir uns Behinderte wirklich gefallen lassen? Spätestens hier sollte auffallen, wie viel Menschlichkeit diese Haltung vermissen lässt.
„Wir begrüßen, dass damit eine Diskussion in Gang gekommen ist"
In einer Stellungnahme rechtfertigt sich der Hessische Rundfunk: (…) Solche zugespitzten Fragen sind Teil der gesellschaftlichen Realität, auch wenn mancher sie als Provokation empfindet. Der Text zielt selbstverständlich nicht darauf ab, einzelne Gruppen anzugreifen - auch wenn nachvollziehbar ist, dass bei isolierter Betrachtung einzelner Sätze ein solcher Eindruck entstehen kann. Sondern er bezweckt eine produktive und nach vorn gerichtete Diskussion. Das mit pointierten Fragestellungen zustande zu bringen, ist eine übliche journalistische Praxis.“ Zweifelsohne, besonders bei Fox News. Und auch hier heißt es „Wir begrüßen, dass damit eine Diskussion in Gang gekommen ist - das ist ganz im Sinne der Redaktion und der Themenwoche ‚Toleranz‘, auch wenn wir teils heftig kritisiert wurden.“
Man kann die wütende Kritik der Redakteure verstehen und sich am Ende nicht des Eindrucks verwehren, dass all diese Aufregung einkalkuliert war. Es wäre perfide.