Kategorie Information & Kultur

Work Hard - Play Hard

Was bedeutet die Arbeit für Sie? Broterwerb? Nun. Selbstverwirklichung? Besser. Die Möglichkeit, als Unternehmer im Unternehmen die gemessenen Kennzahlen jeden Tag mit Spaß über zu erfüllen und dabei die Umsatzsteigerung und den Börsenwert stets im Blick zu haben? Gut. Sie sind entwicklungsfähig.

Willkommen in der schönen neuen Arbeitswelt, die Carmen Losmann in „Work Hard, Play Hard“ in langen Einstellungen kommentarlos sich selbst darstellen lässt. Es ist eine Welt der Berater, Sanierer und „Change Agents“, in der einerseits alles von Nutzen ist, was man messen kann, und andererseits alles zu „Challengen“, was sich dem „Cultural Change“ als Widerstand erweist. Denn der Arbeitnehmer das Humankapital ist, nachdem alle Prozesse und Strukturen revidiert und optimiert sind, der hartnäckigste Brocken, wenn es um Wachstum geht. Jeden Tag soll, muss diese Ressource sich selbst besser erschließen.

Gehört haben wir von solchen Entwicklungen: Auswüchse der modernen Arbeitswelt. „Work Hard, Play Hard“ zeigt, dass die scheinbare Ausnahmeerscheinung Basis allgemeiner Arbeitsorganisation geworden ist. Ein lukratives Tummelfeld für die Heerschar der Optimierer, Personalentwickler, Trainer, Arbeitsplatzgestalter und Firmenarchitekten, die hier vor allem auch als nimmermüde Erfinder einer totalitären Sprache für Eingeweihte auftreten.
„Nonterritoriale Arbeitsplatzkonzepte“ und die „Net-und-Nest-Etage“ sollen den Arbeitenden davon ablenken, dass er arbeitet und im Idealfall einen Zustand des ungeplanten „Flow“ geplant herbeiführen. Leitung geschieht im „Führungsstil des unterstützenden Führens – reflektiv, empathisch, wertschätzend, alert, rational und direkt“. Sprachlich hochtrabend werden Visionen, Philosophien und Kulturen beschworen, in Wirklichkeit aber geht es für den Einzelnen darum, das Leben als immerwährendes „Assessment Center“ anzunehmen – Selbstoptimierung ist erster Glaubensgrundsatz. Dirk Lütters Kamera schafft dabei Bilder, die obwohl von distanziertem und beobachtendem Gestus überdeutliche, geradezu horrorfilmartige Spannung erzeugen.

Man fragt sich, wie Carmen Losmann all diese Jünger der ständigen Verbesserung dazu gebracht hat, sich so freimütig zu äußern. Merken sie nichts von der Menschenverachtung, die ihrem geschlossenen System eigen ist? Man höre auf, sich zu wundern. Diese „Leader“ sind als Speerspitze des „Change“ eins mit ihrem Tun. Mit „Work Hard, Play Hard“ zeichnet die Jury einen überaus erhellenden Film aus.

The Voice of Peace

Was für ein Mann, was für eine Geschichte. Abie Nathan war israelischer Kampfpilot und Friedensaktivist. Ein Bohemien und ein politischer Kämpfer. Er flog mit einem Kleinflugzeug nach Port Said in Ägypten, als ganz Israel noch dachte, dort lebten nur Barbaren und er ging dafür in Israel ins Gefängnis. 1976 fuhr mit einem Schiff durch den Suezkanal und verhandelte persönlich mit dem ägyptischen Präsidenten die Bedingungen. Er schüttelte Yassir Arafat die Hand und ging dafür wieder ins Gefängnis – drei Jahre, bevor Schimon Peres Arafat die Hände schüttelte und dafür den Friedensnobelpreis bekam. Er erwarb Vermögen und gab es wieder aus, um bei den Hungerkatastrophen in Biafra, Kambodscha und Äthiopien unmittelbar und direkt zu helfen.

Außerdem betrieb er zwanzig Jahre lang, seit 1973, auf einem Schiff den Piratensender „Voice of Peace“, außerhalb der Dreimeilen-Zone vor Israel. Von hier, „von irgendwo im Mittelmeer“. ließ er Popmusik und politische Friedensbotschaften in den Nahen Osten ausstrahlen. Unterstützt wurde er von internationalen Popstars, von John Lennon, George Harrison, Gloria Gaynor, Joan Baez, Pete Seeger. Jugendliche in allen Ländern der Region hörten den Sender, zeitweise hatte er zwölf Millionen Hörer.

Was für ein Mann, was für eine Geschichte. Und doch ist Abie Nathan weitgehend vergessen, über den Wendungen und Wirrnissen der Nahostpolitik aus dem Gedächtnis verschwunden. Eric Friedler holt diesen widersprüchlichen Mann und sein politisches Handeln in seinem Dokumentarfilm ins Gedächtnis zurück. Er erzählt dieses Leben mit sorgfältig recherchiertem Dokumentarmaterial und einer beeindruckenden Menge prominenter Zeitzeugen, von Zubin Mehta bis Daniel Barenboim, von Michael Caine bis Yoko Ono. Der Musik dieser Jahre gibt der Film den Raum, den sie braucht, ohne sie in einen Musikteppich zu verwandeln. Er gibt ihr den Zeitgeist zurück, aus dem sie geboren wurde, ihren popkulturellen Einspruch zu Kalten Kriegern und harten Militaristen.

Verschiedene Generationen werden diesen Film vielleicht ganz unterschiedlich wahrnehmen, pendelnd zwischen Verwunderung und Bewunderung, zwischen Nostalgie und Utopie. Allen aber stellt diese Geschichte die stets aktuelle Frage: Wie wollen wir handeln? Abie Nathan hielt es mit Ghandi: Sei du selbst die Veränderung, die du in der Welt sehen willst.

Restrisiko - Ein Film über Menschen im Maßregelvollzug

Warum Tierversuche? Nehmt Kinderschänder." So steht es auf dem Aufkleber an einem Mittelklassewagen vor dem Elektronikgeschäft in Marl. Unser Verhältnis zu Sexualstraftätern ist von Wut, Unverständnis und Unkenntnis geprägt. Schmierige Blätter schreiben von Bestien, vom Bösen. Andere, wenige, betonen, dass die Täter einen fairen Prozess und eine menschenwürdige Bestrafung erhalten. Der Film "Restrisiko" von Katrin Bühling nimmt sich die Täter vor. Und nur die. Kaum ein Wort zu Opfern. Sie durfte in der forensischen Psychiatrie in Eickelborn drehen. Es sind, das wird zu Anfang klargestellt, psychisch Kranke, die zu Straftätern wurden. Aber dieser Hinweis dient nicht als Entschuldigung. Er ordnet ein. Bühling zeigt in einer konzentrierten, nie manipulierenden Bildsprache, wo und wie diese Menschen untergebracht sind, was sie denken, wie man versucht, sie zu verstehen und gegebenenfalls zu therapieren. Ein scheinbar fürsorglicher Ort, wo Männer, aufgeschwemmt von aggressionsdämpfenden Medikamenten, vor sich hin leben. Kein Kerker, keine Folter. Stattdessen: Befragungen, Töpferarbeiten und geselliges Grillen. Ist es das, was wir, die Gesellschaft, erwartet? Genau hier liegt die große Kunst des Films: Nie lässt er den Schluss zu, dass man Verständnis für die Taten der Täter haben sollte, die Opfer vergessen könne. Es braucht nur wenig, und das Grauen steht sofort im Raum. Wenn einer der Täter langsam aufdreht, weil es im Gefängnisablauf nicht so läuft, wie er es will. Wenn einer, der einer Frau den Kehlkopf durchschnitt, nur lakonisch sagt: "Ich wollte, dass sie still ist." Das ist die Kunst. Bühling filmt nicht nur ab. Sie lässt sich von der seltenen Gelegenheit, in einer Psychiatrie zu drehen, nicht korrumpieren, bleibt distanziert. Ihre Fragen, meist Hauptsätze, sind genau und kühl, wollen erfahren, nie werten. Obwohl die schon lange einsitzenden Männer die Sprache der Therapie sprechen, können sie nicht verschleiern - ein Verdienst der Buchkomposition. Katrin Bühling, wartet und bekommt, vielleicht intuitiv, den Moment, der so wichtig und alles erklärend ist, von den Protagonisten selbst erzählt. Sie hat dies aber sicher auch der mutigen Ärztlichen Leiterin Nahlah Saimeh zu verdanken, die mit wenigen nüchternen Worten die Patienten und ihre Taten einordnet. Die aber auch kritische Aussagen der Insassen zulässt. Mit ihr zusammen hat Bühling es geschafft, den Zuschauern einen großartigen, wenn auch immer wieder verstörenden Einblick in eine für viele sicher zu recht verschlossene Welt zu geben.

Sonneborn rettet die Welt

Man muss Martin Sonneborn gesehen haben. Er schaut supernormal aus und macht meist ein Gesicht, als ginge ihn der Rest der Welt nichts an. Lächeln? Selten. Lachen? Gar nicht. Ruhig, nüchtern, unverzagt, so geht er seinen Weg. Und dann das: Er bleibt stehen, öffnet ruckartig sein Hemd, und was kommt zum Vorschein? Ein Shirt mit einem großen S drauf, wie nur Superhelden es auf der Brust tragen dürfen. Sollte etwa Sonneborn... ? Da sagt er es selbst: „Ich hab mir überlegt, ich will die Welt retten.“ Sein unscheinbares Äußeres, die zur Schau getragene Lässigkeit, alles nur Tarnung. Und gleich legt er los, ausgerüstet mit Mikrophon und den - wie man annehmen darf - zum großen S gehörenden Superkräften. Umweltsünder, Staatsbankrotteure, Finanzhaie, ihr habt keine Chance. Denn jetzt kommt Sonneborn. Als erstes etabliert er den „Weltrettungstag“. Die Leute auf der Straße finden das prima.

Sonneborn rettet die Welt als Reporter. Er befragt Passanten, aber auch einflussreiche Menschen, vom Politiker bis zum Banker, und regt zu rettenden Konzepten an. In den Zwischenpausen liegt er auf seinem kargen Bett und grübelt. Einfach ist es nicht mit der Weltretterei. Er spricht zu uns Zuschauern, erklärt, was er vorhat, z.B. den Club of Rome herausfordern oder die Deutsche Bank interviewen. Letzteres ist sein bisher größter Erfolg. Die Bank hat ihm auf sein Begehren hin eine Liste von genehmigten Fragen geschickt - und die Antworten gleich dazu. Und Sonneborn geht hin und setzt vor laufender Kamera mit einem ahnungslosen Pressemann das vorgefertigte Interview um. Er macht das ganz ernst, sehr empathisch und kooperativ.

Was natürlich auch nur wieder eine Tarnung ist. Denn der Presse-Fuzzi und mit ihm die Deutsche Bank, die stehen ganz schön blöde da. Und Sonneborn darf wieder mal ruckartig sein Hemd öffnen. Was er leistet, ist eine Ausleuchtung der Strecke nach der Satire, nach der Entlarvung, nach der Bloßstellung. Was er „herausfindet“ in seinen Interviews, das wussten wir schon. Aber dank Sonneborn erkennen wir eine neue Dimension in den Verschwörungen der Weltuntergangs-Betreiber: ihre bodenlose Idiotie, ihre unüberbietbare Lächerlichkeit. So wird die Welt tatsächlich ein Stück weit gerettet. Man lacht sich über ihre Verderber schief.

Betongold

Der Vorwurf des „Betroffenheitsjournalismus“ ist normalerweise ein Todesurteil für eine Reportage. Journalisten sollen Distanz wahren, sich nicht mit einer Sache gemein machen, wie Hanns Joachim Friedrichs es gefordert hat. Katrin Rothe zeigt jedoch in „Betongold“, wie sich „Betroffenheit“ auch positiv wenden lässt: Nachdem ein Investor das Haus übernommen hat, in dem die Journalistin seit 16 Jahren zur Miete wohnt, erhält sie einen Brief, in dem ihr die geplante „Luxusmodernisierung“ ihrer Wohnung angekündigt wird – verbunden mit einer Mieterhöhung um voraussichtlich mehr als 100 Prozent.

Was tun? Diese praktische Frage wird für Katrin Rothe zum Ausgangspunkt ihrer Reportage: Sie schildert, wie sich die Mieter des Hauses beraten lassen, wie sie eine Front gegen den neuen Besitzer bilden und wie nach und nach die meisten doch zermürbt aufgeben und ausziehen.

„Betongold“ ist nicht nur eine sehr persönliche Reportage, die von den Folgen der Immobilienspekulation für den einzelnen erzählt - monatelanger Schriftverkehr über Anwälte, Baulärm, Dreck, Psychoterror, Existenzsorgen, Schlaflosigkeit -, der Film ist auch ein Servicestück für Mieter, die von den Methoden des sogenannten Mietmanagements betroffen sind - so nennt man das Rausschmeißen von Mietern neuerdings.

Katrin Rothe nimmt den Kampf mit den übermächtigen Spekulanten mit sehr viel Witz und Hartnäckigkeit auf. Da sie entscheidende Szenen wie die Gespräche mit dem Besitzer, die Wohnungsbesichtigungen der neuen Kauf-Interessenten oder die Güteverhandlungen vor Gericht nicht filmen konnte, erzählt sie diese – wie in ihren früheren Filmen - in sehr gut eingesetzten und realisierten Zeichentrickszenen. So blieben die Investoren zwar anonym, erhalten aber doch ein Gesicht.

Die Autorin bleibt aber nicht bei ihrem Fall stehen, sie weitet den Blick auf die Mieterdemonstrationen in Berlin und anderswo und erzählt so von einem der dringlichsten gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit: Wie wollen wir leben, wenn die Mieten in den großen Städten so teuer werden, dass Normalverdiener sie sich nicht mehr leisten können? „Ich muss die Welt retten. Ich muss die Zukunft retten“, sagt die Autorin selbstironisch. Ihr Film macht nicht nur wütend, sondern er macht auch anderen Mut, sich gegen die Hydra der Immobilienspekulation zu wehren. Das ist Betroffenheitsjournalismus im besten Sinne.