"Stirb langsam" statt Information: ProSieben degradiert sich selbst
Zweifellos erscheint es nach dem Ableben von Papst Johannes Paul II. zunächst nebensächlich, die Reaktionen der deutschen Fernsehsender auf die Eilmeldung zu betrachten. Versucht man aber die Ereignisse aus der Sicht der Journalisten, die seit Tagen auf diesen Moment vorbereitet sein mussten, und der Senderverantwortlichen zu sehen, dann wird die Brisanz dieser Sichtweise klar.
Der Samstagabend ist das Aushängeschild des deutschen Fernsehens, er ist der härteste Sendeplatz der Branche, hat Fernsehkarrieren scheitern lassen und Helden gemacht. Umso interessanter ist es, wie die großen deutschen Fernsehsender mitten im PrimeTime-Programm auf die Eilmeldung des Todes von Papst Johannes Paul II. reagierten. Als Medienmagazin ist dies ohnehin der einzige Aspekt dieser tragischen Ereignisse, den wir redaktionell beurteilen wollen und können.
Um 21.53 Uhr meldete die Nachrichtenagentur AP in einer Blitzmeldung "Papst Johannes Paul II. gestorben", um 22.00 Uhr zieht die Agentur AFP mit der Meldung nach und spätestens als eine Minute später auch die Nachrichtenagentur ddp eine Eilmeldung verbreitete, hatten mehrere deutsche Fernsehsender ihr Programm bereits unterbrochen. Der "Pisa-Test" im Ersten und "Willkommen bei Carmen Nebel" (ZDF), beides Live-Sendungen, wurden direkt unterbrochen und auch RTL unterbrach die zeitversetzte Ausstrahlung der "Echo"-Verleihung in diesen Minuten. SAT.1 stoppte den Animationsfilm "Shrek" kurz vor dessen Ende.
Bereits im Vorfeld hatten die öffentlich-Rechtlichen ihr Verfahren bei einer Todesmeldung des Papstes dargelegt: Wäre Johannes Paul II. bis zum frühen Abend gestorben, hätten sowohl ARD als auch ZDF ihre geplanten Live-Unterhaltungsshows aufgezeichnet und zu einem anderen Termin ausgestrahlt. Schlechter vorbereitet zeigte sich am Samstagabend ProSieben, dessen Geschäftsführer Dejan Jocic erst vor einem halben Jahr eine Informationsoffensive gestartet hatte.
Wer am Abend ProSieben verfolgte, erfuhr vom Ableben des Heiligen Vaters nichts. Der dritterfolgreichste deutsche Privatsender sendete ohne Hinweis sein Spielfilmprogramm und ignorierte das Geschehen in Rom vollständig. Statt der sonst üblichen Prozedur, erst per Laufband zu informieren und im Zweifelsfall das Signal der Kollegen von N24 zu übernehmen, begann ProSieben ausgerechnet Minuten nach den Eilmeldungen der Agenturen auch noch den zweiten Teil einer Spielfilm-Reihe, deren Titel pietätloser nicht sein könnte.
"Stirb langsam", der zweite Teil, begann um kurz nach 22 Uhr. Was angesichts des langen Leidens von Papst Johannes Paul II. tragischerweise unpassend erscheint, ist natürlich trauriger Zufall und keine Absicht angesichts von sechswöchiger Vorplanung des Programms. Allerdings fragt sich, wieso ProSieben die Gelegenheit des gerade beendeten Spielfilms "Eiskalte Engel" nicht für eine Information seiner Zuschauer nutzte. Keineswegs wäre es nötig gewesen, eine ganze Sondersendung zu präsentieren, aber selbst kleinere Sender schafften es, ihre Zuschauer kurz zu informieren. Stattdessen startete der Actionfilm mit Bruce Willis. Selbst in den ersten beiden Werbepausen des Films kein Hinweis auf die Ereignisse in Rom, egal in welcher Form und sei es nur als Einblendung gewesen, die Prosieben sonst ja stets gerne bei jeder nur möglichen Gelegenheit einzublenden pflegt.
Gegen 22.40 Uhr zeigte dann SAT.1 wieder sein reguläres Programm, auch RTL setzte die Ausstrahlung der "Echo"-Verleihung fort. Im Unterschied zu ProSieben waren ihre Zuschauer allerdings informiert. Auch als RTL nach 23 Uhr mit Peter Kloeppel und angepasstem gediegenem Design der Nachrichten kurz noch einmal informierte, lief bei ProSieben weiter ohne Unterbrechung und Information der Film "Stirb langsam". ARD und ZDF setzten ihre eigentlichen PrimeTime-Sendungen "Pisa Test" und "Willkommen bei Carmen Nebel" im Übrigen nicht fort und blieben mit Informationen aus Rom auf Sendung. Zumindest die ARD kündigte an, ihren "Pisa Test" an anderem Termin in diesem Jahr zu wiederholen, da er trotzdem weiter aufgezeichnet wurde.
Zweifellos ist der Tod von Papst Johannes Paul II. nicht für alle Menschen von gleicher Bedeutung und gerade bei der jungen ProSieben-Zielgruppe nicht von so hoher Bedeutung wie beim Klientel der öffentlich-rechtlichen Sender. Dennoch ist der Papst durch sein gesellschaftliches und politisches Wirken unabhängig vom Glauben eine Person von Welt. Für einen Sender, der mit einer Info-Offensive noch vor wenigen Monaten "360 Grad Information" versprach, war diese Leistung oder eben Nicht-Leistung am Samstagabend eine Degradierung in die zweite Liga der TV-Sender.
Völlig unabhängig davon stellt sich die Frage ob stundenlange Live-Übertragungen in regulären Vollprogrammen, wie es an diesem Abend ebenfalls im deutschen Fernsehen zu sehen war, nicht genau das andere Extrem bilden. Die Frage, ob das völlige Ignorieren des Ereignisses oder die zu ausführliche Information das größere Übel sind, wird unter DWDL-Lesern bereits kontrovers diskutiert.