Seit einigen Monaten ist "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann nun schon im Silicon Valley, um sich neue Ideen für sein Blatt zu holen - vor allem aber für das Netz. Man müsse wieder wieder dahin, wo das Publikum sei: "auf die digitalen Plattformen, vor allem auf die mobilen Endgeräte", so Diekmann in einem Interview mit dem "Handelsblatt". Heutzutage geschehe alles in Echtzeit. "Wir werden uns also von dem Rhythmus, den die Tageszeitung diktiert hat, verabschieden, auch von den Konferenzstrukturen der letzten 60 Jahre. Die Zeitung aus Papier ist bei uns künftig eine Oberfläche von vielen - allerdings eine nach wie vor sehr, sehr wichtige."

Diekmann kündigte an, die Zeitung nicht vernachlässigen zu wollen. So sei etwa die "Bild zur Wahl"; die im September an 41 Millionen Haushalte verteilt werden soll, eine Innovation. In dem Interview spart der "Bild"-Chef nicht mit Kritik an der eigenen Branche. "Es ist doch paradox: Keine Branche kritisiert andere Unternehmen und Branchen so sehr dafür, dass sie sich nicht wandeln, wie wir, die Medien. Und keine Branche tut sich mit Wandel selbst so schwer." Nun müsse man alle journalistischen Herangehensweisen, Konzepte, Überzeugungen und Vorstellungen überprüfen, erklärte Diekmann, der auch den Stellenwert von Exklusivität neu definieren will.

"Exklusivität gibt es in der digitalen Welt nicht mehr, alles verbreitet sich in Sekundenschnelle. Wir müssen Exklusivität deshalb neu definieren. Exklusivität wird künftig sein, eine Geschichte auf einmalige, unverwechselbare Art zu erzählen, so wie nur wir es können. Es ist mir völlig egal, ob mir jemand die reine Nachricht wegnimmt - ich kann ja eh nichts dagegen tun. Die Leute müssen sie aber trotzdem bei uns lesen wollen." Vor allem will Diekmann die Arbeitsabläufe anpassen. "Die Bedeutung der klassischen Ressortaufteilung wird sich ändern. Zukünftig werden sich Arbeitsabläufe viel mehr um eine Geschichte drehen", so Diekmann im "Handelsblatt".

Funktionieren soll das, indem ein Redakteur zum "Geschichten-Owner" gemacht wird, der sich dann sein Team zusammenstellt und die Geschichte die nächsten zwei bis drei Tage betreut. Soziale Netzwerke sollen darüber hinaus künftig eine stärkere Rolle bei "Bild" spielen als bisher. "Wir brauchen Journalisten, die in den sozialen Netzen leben und die Marke dort glaubhaft präsentieren", betonte Diekmann. Das gehe aber nicht nebenbei. "Automatisierte Tweets, wie sie von einigen Medien eingesetzt werden, sehen eben aus wie automatisierte Tweets - nämlich scheiße." Die kürzlich kolportierten Zahlen, wonach 200 Mitarbeiter das Blatt verlassen müssen, bezeichnete der "Bild"-Chef dagegen als "schlicht falsch". Es sei aber auch klar, dass man die Marke umbauen müsse, um sie wetterfest zu machen.

Diekmann: "Wir werden nicht den Fehler vieler amerikanischer Zeitungen machen, die zuerst bei den Reportern gespart haben. Das ist in meinen Augen lebensgefährlich. Wir wollen da sogar Personal aufbauen." Auf der anderen Seite würden mit neuen Techniken auch Freiräume geschaffen, die einen geringeren Personalaufwand bedeuten. "Das ist logisch, wir brauchen ja auch heute, anders als vor zehn Jahren, keine Fotolabore mehr", so Diekmann im "Handelsblatt"-Interview. In der kommenden Woche soll nun aber erst mal das neue Bezahlmodell für "Bild.de" vorgestellt werden, bei dem es frei zugängliche und bezahlte Informationen nebeneinander geben soll. Das Wort "Bezahlschranke" will Diekmann übrigens vermeiden: "In einer Kneipe redet ja auch niemand von einer Bezahlschranke, sondern bestenfalls von einem Tresen."