Die Ermittlung der täglichen TV-Quoten ist ein Dauerthema in so ziemlich allen Märkten weltweit. In Deutschland wird aktuell beispielsweise gerade darüber diskutiert, ob es eine Umstellung auf eine X+7-Ausweisung geben soll. Dabei würden die Reichweiten der TV-Ausstrahlung und Abrufzahlen der ersten sieben Tage addiert. Wenn es um Streaming-Messung geht, ist die AGF ohnehin sehr umtriebig und stellte zuletzt das neue Census+ vor (DWDL.de berichtete). In Österreich hat man die Messung der linearen TV-Nutzung bereits im vergangenen Jahr auf neue Beine gestellt.
Seit inzwischen mehr als einem halben Jahr werden die Reichweiten der TV-Sender in Österreich nicht mehr über ein Panel ermittelt, sondern anhand von mehr als 1,1 Millionen mit dem Internet verbundenen HbbTV-Geräten. Das Teletest-Panel gibt es weiterhin, es wurde inzwischen aber auf rund 1.500 Haushalte verringert, wie die für die Quotenmessung zuständige Arbeitsgemeinschaft Teletest (AGTT) gegenüber DWDL.de bestätigt. Zuvor waren es etwa 1.670 Haushalte. Das Panel ist auch deshalb wichtig, weil es mit den Ergebnissen der neuen Messung verschmolzen wird. So ist es auch weiterhin möglich, soziodemografische Merkmale (Alter, Beruf, Einkommen etc.) den einzelnen Zuschauerinnen und Zuschauern zuzuordnen.
Und auch bei der Messung bzw. Ausweisung der zeitversetzten Nutzung wagte die AGTT im vergangenen Jahr eine kleine Revolution. Im sogenannten Teletest 2.0 wird die zeitversetzte Nutzung für sieben Tage nämlich "modelliert", also geschätzt. Dadurch ist es möglich, die zeitversetzte Nutzung für sieben Tage bereits am Tag nach der Ausstrahlung eines Formats in den TV-Quoten abzubilden. Am achten Tag folgt schließlich eine Korrektur auf Basis von gemessener Nutzung.
Reichweiten-Erosion vorerst gestoppt

"Die erste Erkenntnis ist: Wir haben stabilere Reichweiten und weniger Schwankungen; vor allem in kleineren Zielgruppen und zu Randzeiten."
AGTT-Obmann Thomas Gruber
Das eindrucksvolle Ergebnis wird verständlicher, wenn man einen genauen Blick hinter die Kulissen wirft. Waren beim bisherigen Panel rund 1.400 Personen zwischen 14 und 49 Jahre alt, hat man durch die neue Messung jetzt eine Basis von etwa 43.000 Menschen in diesem Alter. Und auch bei einer ganz kleinen Zielgruppe wie den 12- bis 19-Jährigen sind die Fallzahlen stark angewachsen: Aus 270 Personen des Panels sind jetzt rund 8.000 geworden. Da ist es logisch, dass das Nutzungsverhalten von einigen wenigen Personen weniger Auswirkungen auf die Ergebnisse haben.
AGTT-Obmann Gruber rechnet vor: Man habe in allen wesentlichen Zuschauergruppen (+12, 12-49 und 12-29) die Nutzung stabilisieren können. Das liegt in der Natur der Sache, weil es aktuell vor allem um Vergleiche mit den Vorjahresmonaten geht - also mit Monaten, in denen es messbedingt eben noch viele "Nullerstrecken" gab. Spannend dürfte es werden, wie die Zahlen ab September ausfallen. Bei der AGF verbucht man den Status Quo als Erfolg.
Quoten kommen etwas später als früher
Eine große Herausforderung in den ersten Wochen und Monaten ist die deutlich größere Datenmenge, diese sei 30 Mal so hoch wie in der Vergangenheit. Das habe man mittlerweile aber in den Griff bekommen, so Gruber. "Die Daten sind jetzt nicht mehr um 8:45 Uhr verfügbar, sondern meist so gegen 10 Uhr. Wenn man die Datenmenge bedenkt, die wir verarbeiten, ist das noch immer sehr schnell."
Wer nicht so lange auf die Quoten des Vortages warten will, kann sie sich aber ja auch live ansehen - auch das ist ein Vorteil der neuen Messung. TV-Verantwortliche können live sehen, wie ihr Programm zu einem bestimmten Zeitpunkt performt - und wie es sich im Vergleich zur Konkurrenz schlägt. "Wir sind süchtig geworden", sagt ProSiebenSat.1Puls4-Co-CEO Gruber über die neuen Möglichkeiten. Im Unternehmen hat man mittlerweile Bildschirme aufgehängt, auf denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen können, wie ihre Programme aktuell performen.
Bei der Modellierung der Daten zur zeitversetzten Nutzung zeigt man sich ebenfalls zufrieden und verweist darauf, dass die Abweichung von geschätzter und tatsächlich gemessener Nutzung bei rund 1 Prozent liege. Nach DWDL.de-Informationen gibt es aber durchaus Sendungen, deren Marktanteile bei der endgültigen Korrektur noch einmal um mehrere Prozentpunkte verändert werden - ähnlich wie bei den endgültig gewichteten Quoten in Deutschland.
"Da haben wir sicher noch etwas Potenzial"

Doch noch immer werden nicht alle Sender nach der neuen Methode gemessen. Im Oktober 2024 berichtete DWDL.de über oe24.TV und Sky Sport Austria, deren Quotendaten noch auf Basis des alten Panels basieren. Vermarkter IP Österreich erklärte damals, dass man daran arbeite, die Sender "so schnell wie möglich" auf Basis des neuen Teletest 2.0 auszuweisen. Doch der Prozess zieht sich ganz offensichtlich, noch immer werden sie über das alte Verfahren gemessen. "Als AGTT können wir nicht von uns aus alle Sender aktiv über HbbTV messen, weil immer auch ein Input der Sender selbst notwendig ist", erklärt Christian Troy gegenüber DWDL.de.
Im Falle von oe24.TV ist der ganze Prozess bereits angeschoben worden, eine Rohdatenmessung läuft bereits. Jetzt müsse man Daten sammeln, um Nutzungsmuster zu erkennen, heißt es von der AGTT. Die endgültige Umstellung auf das neue System soll in den kommenden Monaten erfolgen. Bis dahin stehen die Daten von oe24.TV in den Quotenlisten der AGTT aber neben denen der anderen Sender. Während beim Nachrichtensender sowie bei allen anderen nicht-HbbTV-gemessenen Sendern (zB. deutsche Sender) die zeitversetzte Nutzung nicht eingerechnet ist (der Aufschlag erfolgt hier erst in der endgültigen Gewichtung), beinhalten die Reichweiten der anderen Sender diese Daten schon. "Der Teletest ist das übergreifende Instrument. Wo wir Daten aus der Live-Messung zur Verfügung haben, verwenden wir diese. Und wo nicht, da nicht. Die Basis sind immer die Daten aus dem Teletest 1.0, die auch in das neue Modell einfließen. Beim Teletest 2.0 gibt es die zusätzliche Granularität. Wir versuchen, für jeden Sender das beste vorhandene Modell zu verwenden", sagt Troy.
"Wir versuchen, für jeden Sender das beste vorhandene Modell zu verwenden."
Christian Troy, stellvertretender AGTT-Generalsekretär
Die neue Quotenmessung war im September 2024 übrigens auch die Basis für das neue Tool TV-Load (TV Live Optimized Advertising). Das sollte nichts weiter sein als die Revolution der klassischen TV-Werbung: Das Tool greift auf die Live-Daten der neuen HbbTV-Messung zu und kuratiert auf Basis der Menschen, die zuschauen, die Spots in dem Werbeblock. Das geschieht rund eine Minute, bevor die Werbung startet. Werbekunden buchen in diesem Verfahren keinen Platz in einem Werbeblock, sondern vereinbaren mit den Vermarktern einen gewissen TKP und buchen eine bestimmte Reichweite.
An dieser Front ging es in den vergangenen Monaten aber eher schleppend voran. Die Rede ist von einigen Tests, die auch vielversprechend gelaufen seien. Aber ein flächendeckender Normalbetrieb ist noch längst nicht in Sicht. Aktuell geht man bei der AGTT davon aus, dass im Laufe dieses Jahres alle Sender und ihre Vermarkter TV-Load überhaupt anbieten können. "Alle Häuser sind dabei, TV Load technisch zu implementieren. Es braucht alle Vermarkter, um das Produkt im Markt zu etablieren", sagt AGTT-Obmann Thomas Gruber.
Großes Interesse aus dem Ausland
Grund für die schleppende Einführung sind auch hier hohe technische Hürden. "Der Aufwand in den verschiedenen Häusern ist enorm und das war uns zu Beginn vielleicht in der Form auch nicht klar", räumt Christian Troy gegenüber DWDL.de ein. So müssten alle Spots, die dafür infrage kommen, auf einer Datenbank verschlagwortet zur Verfügung stehen. "Aus dem Playout muss dann auch direkt darauf zugegriffen werden können. Es gibt also ganz viele Schnittstellen, die es vorher nicht gab. Diese Schnittstellen mussten erst einmal definiert und gebaut werden. Das ist ein wesentlicher Eingriff in die bestehenden Systeme, der Zeit kostet."
Das Interesse aus dem Ausland ist jedenfalls groß - sowohl an der neuen Quotenmessung als auch am Produkt TV-Load. Thomas Gruber war bereits in London beim "Future of TV Advertising Global" sowie dem "Connected TV World Summit" eingeladen, um die österreichischen Neuheiten vorzustellen. Vor wenigen Tagen war er in Paris, um das Modell Mediaagenturen und Broadcastern zu präsentieren. Im Gespräch mit DWDL.de betont er dann auch noch einmal, dass die große Umstellung in Österreich in Zusammenarbeit mit den Mediaagenturen erfolgt sei. "Man kann keinen Währungswechsel durchführen, ohne den Markt einzubinden."