Kurz vor Weihnachten verkündete die ARD, dass Thilo Mischke neuer Co-Moderator von "titel thesen temperamente" ("ttt") werden solle. Daraufhin gab es Kritik - zunächst über Social Media, später dann auch in verschiedenen Medien. Etliche Kulturschaffende schlossen eine Zusammenarbeit mit Mischke aus - und kurz nach dem Jahreswechsel gab die ARD bekannt, von ihren Plänen abzusehen. Mischke wird künftig also nicht durch die Sendung führen. 

ARD-Redakteure kritisierten in der Folge ein "Kommunikationsdesaster". Nur einer hatte sich während der ganzen Zeit aus der öffentlich geführten Debatte herausgehalten: Thilo Mischke. Nun hat der Journalist der "Zeit" ein langes Interview gegeben und darin seine Sicht der Dinge geschildert. 

So sagt er unter anderem, dass er mit Kritik an seiner Person gerechnet habe. Getroffen sei er von der Berichterstattung gewesen, die "von Kollegen und Kolleginnen gemacht wurde". Es habe sich dabei aber nicht um Journalismus gehandelt, der auch andere Perspektiven mit einbezogen habe. Zur Kritik an seinem Buch "In 80 Frauen um die Welt" sagt Mischke, der Protagonist und sein Gedankengut seien sexistisch und rassistisch. An einer anderen Stelle sagt Mischke, er sei "Autor eines sexistischen, rassistischen Buches". Und weiter: "Der Rückschluss ist, dass ich es als Autor auch bin. Ich finde richtig, dass man das diskutiert." Erschüttert habe ihn, dass die Debatte, ob er eine Kultursendung moderieren dürfe, ohne ihn geführt worden sei. "Es gab 500 Texte zu dem Fall, aber ich habe weniger als zehn Presseanfragen bekommen." 

Außerdem betont Mischke, dass weite Teile des Buches Fiktion seien. "Die Sexszenen sind alle erfunden. Ich hätte das viel früher deutlich machen müssen. Natürlich sind meine Erfahrungen mit eingeflossen, aber genauso Erfahrungen von Freunden, Filmszenen. Es ist Literatur." Mischke spricht auch darüber, wie er zum Buch gekommen sei und dass er den Titel, der vom Verlag vorgeschlagen worden sei, "furchtbar" gefunden habe. "Mir wurde von vielen Leuten gesagt, dass der Titel aus Marketingsicht super sei. Ich habe es einfach in Kauf genommen. Das war aus heutiger Perspektive wahrscheinlich ein Fehler."

Shitstorm "nicht die Zeit einer Debatte"

Auf die Frage, weshalb er sich nicht früher geäußert habe, sagt Mischke, die Zeit eines Shitstorms sei "nicht die Zeit einer Debatte". Es sei um viele Dinge gleichzeitig gegangen. Außerdem sei er, als der Shitstorm losging, von einer Recherche aus Syrien zurückgekommen, davor sei er in Japan und den USA gewesen. "Ich habe Zeit benötigt, um mich fundiert mit der Kritik auseinanderzusetzen. Das war im Sog der Empörung und der Vielzahl an Vorwürfen kaum möglich." In den vergangenen Wochen habe er sich sortiere, sagt Mischke. "[Ich] habe versucht, gesünder zu werden, weil mich die ganze Sache emotional natürlich mitgenommen hat."

Der ARD habe Mischke angeboten, die ganze Debatte zum Teil seiner ersten "ttt"-Sendung zu machen. Er habe sich dem Ganzen selbstkritisch stellen wollen. Beim Senderverbund ist er damit aber offenkundig nicht mehr durchgedrungen. Tatsächlich fällt Mischkes Abrechnung mit der ARD ziemlich hart aus. Während des Shitstorms sei ihm aufgefallen, dass "ProSieben wesentlich höhere journalistische Standards hat als die ARD". Der Privatsender hatte sich öffentlich auf die Seite Mischkes gestellt und ihn verteidigt. Er habe der ARD im Vorfeld offen über das umstrittene Buch gesprochen. "Ich habe darauf hingewiesen, welche Problematik damit verbunden sein könnte. Es hat niemanden interessiert."

"Ich habe darauf hingewiesen, welche Problematik damit verbunden sein könnte. Es hat niemanden interessiert."

Von dem ARD-internen Zerwürfnis rund um sein "ttt"-Engagement will Mischke nichts gewusst haben. "Die fehlende Einigkeit der ARD intern wirkte wie ein Brandbeschleuniger", sagt Mischke jetzt im "Zeit"-Interview über die Zeit des Shitstorms. Dabei macht er auch der "ttt"-Social-Media-Redaktion schwere Vorwürfe. Über Weihnachten habe man mit der ARD ein Statement erarbeitet. Die Social-Media-Redaktion habe darum gebeten, das anpassen zu dürfen. "Sie haben es dann vollkommen verändert, von ‘Anschuldigungen’ und ‘Vorwürfen’ geschrieben, und es veröffentlicht, ohne mich vorher zu fragen." Die fehlende Moderation des "ttt"-Kanals habe im Anschluss "maßgeblich zur Eskalation [...] beigetragen". 

Möglicher Rechtsstreit steht im Raum

In einem Videocall sei er auch vom ARD-Chefredakteur gefragt worden, ob in der Sache etwas herauskommen könne. "Ich bin ziemlich sicher, er meinte damit, ob herauskommen könnte, dass ich jemanden vergewaltigt habe. So etwas Unprofessionelles habe ich noch nicht erlebt. Das zeigt auch, wie wenig leitende Mitarbeitende der ARD sich mit der Thematik auseinandergesetzt haben." Seine potenzielle Co-Moderationskollegin Siham El-Maimouni, die vorerst alleine durch "ttt" führt, habe zunächst gar nicht mit ihm sprechen wollen, sagt Mischke. "Als sie sich am 1. Januar dazu bereit erklärte, sagte sie mir, sie werde das Buch nicht lesen, habe es nicht gelesen und würde mir nahelegen, selbst von dem Job zurückzutreten. Sie war davon überzeugt, dass das, was in dem Shitstorm kolportiert wurde, mein Frauenbild sei." Nach Angaben der "Zeit" hat die ARD die Aussagen der Moderatorin und des Chefredakteurs dementiert.

Gecancelt fühle er sich nicht, sagt Mischke. "Die ARD hat versagt. In deren Statement steht im Prinzip, dass jeder Mitarbeitende der ARD entlassen werden kann, wenn man etwas in seiner Vergangenheit findet, das sich für eine Kontroverse eignet." Gut möglich auch, dass die Sache noch ein juristisches Nachspiel haben wird. Für die ARD ist die Sache offensichtlich erledigt. Laut Mischke kündigte der Senderverbund an, ihm 6.500 Euro zu überweisen, damit sei die Sache geklärt. "Wir sehen das anders", sagt er und meint mit "wir" ihn und seinen Anwalt. Auf die Frage, ob er einen Rechtsstreit mit der ARD führt, erklärt Mischke: "Dazu kann ich aktuell nichts sagen."

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