Es ist der Valentinstag, an dem sich der neue ARD-Vorsitzende Florian Hager erstmals den Fragen einer großen Runde von Journalistinnen und Journalisten gestellt hat. Grund war die Sitzung der Intendantinnen und Intendanten des Senderverbunds, die in den vergangenen Tagen stattgefunden hatte. Mit Liebe hatte das, was Hager sagte, aber nur sehr wenig zu tun - allen voran das Vorgehen von ProSiebenSat.1, das die Mediatheken von ARD und ZDF ohne Einwilligung der Öffentlich-Rechtlichen bei Joyn eingebunden hat, bestimmte die Diskussion - und sorgte für sichtlich Unmut bei Hager.
Man kann es aber auch anders ausdrücken: So klar hat sich in den vergangenen Jahren kein ARD-Vorsitzender bei einem Thema positioniert - und entsprechend geäußert. Hager sprach bereits beim Produzententag am Donnerstag von "Raubrittertum", diese Haltung unterstrich er jetzt noch einmal. "Joyn hat da eine Grenze überschritten", so der ARD-Vorsitzende, der auch sagte, die Mediathek der ARD sei kein Selbstbedienungsladen.
Gleichzeitig unterstrich Hager, dass alle in der ARD Fans des dualen Systems seien und dieses System erhalten bleiben müsse. Man setze auf Kooperationen, das Vorgehen jetzt mache ihn aber "sprachlos". Hager sagt, es habe immer ein klares Angebot gegeben, dass die Mediatheken mittels eines Verlinkungsmodells genutzt werden können, das sei auch Usus mit anderen Partnern. Joyn habe das abgelehnt, durch das Vorgehen jetzt sei in jedem Fall Vertrauen zerstört worden.
Lob für RTL, Schelte für ProSiebenSat.1
Dass ProSiebenSat.1 versuche, andere Inhalteanbieter auf Joyn zu bringen, wundere ihn nicht, so Hager. "Es ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, dass Joyn überleben wird." Der ARD-Vorsitzende rechnete dann auch direkt vor, dass man nicht nur insgesamt deutlich erfolgreicher sei als Joyn, sondern insbesondere auch beim jungen Publikum. Hier hatte Hager ein Lob für RTL Deutschland parat. Dort würde man bei RTL+ vieles richtig machen, in dem man viel investiere und auf Realitys setze. Das sei zwar nicht "unser Cup of tea", so Hager, der die Strategie von RTL im Bereich Streaming aber für die "deutlich richtigere" hält als die von ProSiebenSat.1. "Es kann ja nicht die Basis sein, sich bei anderen zu bedienen", so die Botschaft an Unterföhring. "Dass sie das wollen, ist ihr gutes Recht. Dann müssen sie es aber auch gescheit mit uns verhandeln und nicht unsere Inhalte klauen."
"Es ist wahrscheinlich die einzige Möglichkeit, dass Joyn überleben wird."
ARD-Vorsitzender Florian Hager
Hager verwies in dem Zusammenhang dann auch noch einmal darauf hin, dass bei der Vorgehensweise durch Joyn auch Themen wie das Urheberrecht und die Zweitverwertungsrechte der Produzentinnen und Produzenten betroffen seien. Deswegen gehe man da mit aller Härte gegen vor. "Das ist ein Anschlag auf das komplette System", so Hager. Dass ProSiebenSat.1 in der Auseinandersetzung auf ein Gutachten von Prof. Dr. Mark D. Cole verweist, quittiert der ARD-Vorsitzende mit der Aussage, dass die private Sendergruppe dieses Gutachten in Auftrag gegeben habe - und dass die Untersuchung eher auf generelle Überlegungen zum Thema Embedding eingehe. Die Vorgehensweise von Joyn sieht Hager durch das Gutachten jedenfalls nicht gedeckt.
Bei ProSiebenSat.1 sieht man die Sache offenkundig anders. Bei einem Hintergrundgespräch am Freitag erklärte unter anderem Chief Operating Officer Markus Breitenecker, wieso man so vorgehe, wie man vorgehe. Das Embedding sei nach EU-Recht zulässig und werde auch vom neuen Medienstaatsvertrag gedeckt - der Medienstaatsvertrag, der noch gar nicht in Kraft ist. Die Formate von ARD und ZDF würden außerdem nicht bei Joyn zwischengespeichert werden, es gäbe also auch kein urheberrechtliches Thema. Breitenecker verwies außerdem darauf, dass die Inhalte von ARD und ZDF nicht montearisiert werden, es läuft rund um die Sendungen also keine Werbung.
P7S1 sieht Win-Win-Win-Situation
Breitenecker sprach von einer Win-Win-Win-Situation, alle Seiten würden vom Vorgehen profitieren. Das Publikum habe mehr Inhalte an einem Ort (Joyn), ARD und ZDF würden mehr Abrufe generieren, denn die auf Joyn erfolgten Zugriffe würden den Öffentlich-Rechtlichen zugerechnet werden. Und Joyn selbst profitiere, weil mehr Menschen länger auf der Plattform bleiben - und dabei möglicherweise auch andere (vermarktbare) Sendungen schauen. Bei ProSiebenSat.1 hoffte man offenkundig, dass ARD und ZDF die Sache dulden würden - ähnlich wie es der ORF seit mittlerweile fast zwei Jahren in Österreich tut. Hier hat man sich verschätzt.
Von ProSiebenSat.1 heißt es, die ARD habe seit sechs Wochen Bescheid gewusst über die Pläne. "Das würde ich an deren Stelle auch sagen", erklärte Florian Hager am Freitag. Es habe in den vergangenen Wochen und Monaten viele Mails gegeben, da sei aber immer von einem Austausch die Rede gewesen, nie sei es um eine Ankündigung zur Umsetzung an einem bestimmten Stichtag gegangen. "Wir wurden vor vollendete Tatsachen gestellt", so Hager. Noch im Dezember sei ihnen von ProSiebenSat.1 versichert worden, dass man vom Embedding Abstand nehme. Klar ist: Das nächste Treffen zwischen Markus Breitenecker und Florian Hager dürfte in einer etwas unterkühlten Atmosphäre starten.
Wie es in der Sache jetzt weiter geht, ist völlig offen. Die ARD bereitet eine Unterlassungserklärung vor, darüber hinaus ist immer wieder von Gesprächen zu hören. Hager sagt nun, einen Gesprächstermin zum Thema Embedding werde es nicht geben. Über Verlinkungen könne man aber sehr wohl gerne sprechen - diese Haltung hat die ARD nach eigenen Angaben seit Monaten, das wisse man auch in Unterföhring. Für den Fall, dass ProSiebenSat.1 das Embedding der Inhalte nicht beendet, stellte Hager am Freitag auch in Aussicht, technisch dagegen vorzugehen.
"Sind deutlich relevanter als es manche darstellen"
Auch wenn ProSiebenSat.1 und Joyn das bestimmende Thema in der Fragerunde der Journalistinnen und Journalisten waren, hatte Hager am Freitag noch einige andere Themen auf dem Zettel. So berichtete er davon, dass sich die Intendantinnen und Intendanten in den vergangenen Tagen mit dem von den Landtagen noch nicht final beschlossenen Reformstaatsvertrag auseinander gesetzt hätten. Man gehe davon aus, dass der Staatsvertrag noch in diesem Jahr in Kraft treten werde, also habe man sich bereits jetzt alle wesentlichen Punkte angesehen. Bei der nächsten Sitzung im April wolle man erste Projekte, die sich aus dem Reformstaatsvertrag ergeben, konkreter beschreiben und einen Fahrplan für das Jahr aufstellen.
Auch das Thema KI werde für die ARD auf absehbare Zeit ein sehr wichtiges, betonte Hager, der den Senderverbund hier noch nicht optimal aufgestellt sieht - weder in den Produkten noch in der (Daten-)Struktur. Bis zur nächsten Sitzung im April soll das ARD-interne KI-Netzwerk aufzeigen, welche Veränderungen es braucht, um hier künftig besser aufgestellt zu sein.
Hager sprach gleichzeitig von einer "komplexen und schwierigen Gesamtsituation", dabei verwies er unter anderem auf bereits angekündigte Sparmaßnahmen beim RBB und SWR. Man sei durch die Nicht-Erhöhung des Rundfunkbeitrags zum 1. Januar bereits heute unterfinanziert und das treffe bestimmte Anstalten auch jetzt schon, so Hager, der sogleich zu einer Brandrede zugunsten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ansetzte.
"Wir sind deutlich relevanter als es manche darstellen", so der ARD-Vorsitzende, der nicht nur Medienberichterstattung kritisierte, die teils das Gegenteile suggeriere, sondern auch Aussagen von Politikerinnen und Politikern. Zum Beweis verwies Hager auf das Nutzungsverhalten der Menschen, etwa im Fernsehen. Im Linearen würden Das Erste, das ZDF und die Dritten quasi jeden Abend mehr als 50 Prozent Marktanteil erreichen. "Das gibt es in keinem Medienmarkt der Welt." Rechne man digital außerdem die Reichweiten von ARD Mediathek und ZDF Mediathek zusammen, sei man erfolgreicher als Netflix. "Von Joyn brauchen wir noch nicht einmal reden."
Hinweis (16 Uhr): ProSiebenSat.1 hatte am Freitagvormittag zunächst ein Hintergrundgespräch mit Journalistinnen und Journalisten geführt, aus dem nicht zitiert werden durfte. Nach der Veröffentlichung dieses Artikels hat man dieses Hintergrundgespräch doch zur Berichterstattung freigegeben. Wir haben den Text entsprechend ergänzt.
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