Wer in diesen Tagen den Streamingdienst Joyn aufruft, der stößt auf erstaunlich viele Inhalte von ARD und ZDF. Mit dem jüngst bekannt gewordenen Inhalte-Deal, den ProSiebenSat.1 mit ARD Plus und ZDF Studios geschlossen hat, hängt das allerdings nur bedingt zusammen. Tatsächlich hat der Medienkonzern neuerdings die Mediatheken von ARD und ZDF in seine Plattform eingebettet, sodass sämtliche aktuell verfügbaren Inhalte der öffentlichen-rechtlichen Sender auch via Joyn zum Abruf bereitstehen - vom "Tatort" bis hin zum "ZDF Magazin Royale".
Hinter dem überraschenden Schritt verbirgt sich reichlich Sprengstoff für die Branche, handelt es sich dabei doch augenscheinlich um ein nicht mit ARD und ZDF abgestimmtes Vorgehen, von dem sich ProSiebenSat.1 eine weitere Stärkung seines Streamers verspricht, der schon seit Jahren um die Inhalte anderer Player im deutschen Markt wirbt. Bemerkenswert ist, wie prominent die öffentlich-rechtlichen Mediatheken platziert sind - in der entsprechenden Mediatheken-Rubrik von Joyn befinden sich ARD und ZDF noch über den eigenen Senderangeboten von ProSiebenSat.1.
Doch was hat es damit auf sich? Gegenüber "Cablevision" spricht ProSiebenSat.1 von einem "vorläufigen Beta-Testing", das gestartet sei, "um mit den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu prüfen, wir wir am besten die ARD- und ZDF-Mediatheken-Inhalte embedden. Wir stehen hierzu in einem intensiven Austausch mit den Öffentlich-Rechtlichen." Doch bei ARD und ZDF reagiert man verwundert. "Zu dieser Testphase gibt es kein Einvernehmen und wir bereiten derzeit unser weiteres Vorgehen vor", erklärte ein ARD-Sprecher. Und auch vom ZDF ist Ähnliches zu hören: Man nehme die Testphase "zur Kenntnis" und prüfe derzeit das weitere Vorgehen, heißt es aus Mainz.
Österreich als Vorbild?
Es scheint, als wiederhole ProSiebenSat.1 eine Strategie, die man schon vor mittlerweile fast zwei Jahren in Österreich mit einer erstaunlichen Mischung aus Hemdsärmeligkeit und Dreistigkeit umsetzte. Dort hat das Unternehmen sein Streaming-Angebot schon längst zu einer Art Super-Plattform ausgebaut, sodass die Userinnen und User nicht nur die Livestreams der Sender der eigenen Gruppe bei Joyn finden, sondern auch die der größten österreichischen Konkurrenten ServusTV und ORF. Hinzu kommen sämtliche VoD-Inhalte dieser und zahlreicher anderer Sender.
Bemerkenswert ist allerdings, dass zwischen ProSiebenSat.1 und dem ORF gar keine Vereinbarung besteht - so wie es jetzt offenkundig auch in Deutschland bei ARD und ZDF der Fall ist. "ProSiebenSat.1Puls4 hat den ORF auf Nachfrage darüber informiert, dass die Inhalte der TVThek durch Verlinkung im Wege der Embedding/Framing Technologie in das von ihr betriebene Streaming-Angebot ein[ge]bettet werden. Nach Ansicht von P7S1P4 ist diese Verlinkung im Rahmen der Judikatur des EuGH rechtlich zulässig", erklärte der ORF vor einem Jahr gegenüber DWDL.de.
Gut möglich, dass sich ProSiebenSat.1 auch hierzulande darauf beruft. Interessant: Auf Nachfrage erklärte eine Unternehmenssprecherin von ProSiebenSat.1 damals aber noch, die Regelung in Österreich sei so nicht 1:1 auf Deutschland anzuwenden. Nach der Bitte um eine Konkretisierung hieß es später: "Die Öffentlich-Rechtlichen Medien sind bereits seit über drei Jahren bei uns mit Live-Streams aller ihrer Sender vertreten. Wir führen auf verschiedenen Ebenen Gespräche, unter anderem auch mit ARD/ZDF, die Frage der konkreten Contenteinbindung ist dabei noch offen."
Politik setzt auf Kooperationen
Zu den Hintergründen des jetzt erfolgten Schrittes hat sich ProSiebenSat.1 am Dienstag auf eine DWDL.de-Anfrage bislang nicht geäußert. Vorerst hat der Konzern jedoch Fakten geschaffen - nur wenige Monate, nachdem sich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten auf eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks geeinigt haben. Wohl der erfolgreichen Lobbyarbeit privater Rundfunkanbieter, mutmaßlich vor allem ProSiebenSat.1, ist es zu verdanken, dass die Anstalten nach den Plänen der Politik auch mit den Privaten zusammenarbeiten sollen. "Kooperationen können insbesondere eine Verlinkung (Embedding) oder sonstige Vernetzung öffentlich-rechtlicher Inhalte oder Angebote, vereinfachte Verfahren der Zurverfügungstellung öffentlich-rechtlicher Inhalte oder die gemeinsame Nutzung von Infrastrukturen beinhalten", heißt in dem Papier.
Das Problem: Noch greifen die geplanten strukturellen Reformen nicht, weil es erst der Zustimmung aller Landtage bedarf. Aktuell stockt das Vorhaben aber ohnehin, weil Bayern und Sachsen-Anhalt bereits angekündigt haben, die Reformen nicht zur Abstimmung in die Landtage zu geben, so lange ARD und ZDF ihre Verfassungsbeschwerde wegen der Nicht-Erhöhung des Rundfunkbeitrags aufrechterhalten. Im März treffen sich die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten erneut und werden sich wohl auch mit dem Reformstaatsvertrag beschäftigen. Wann der dann aber tatsächlich in Kraft tritt, ist aktuell unklar. So lange wollte man sich bei ProSiebenSat.1 aber offensichtlich nicht mehr in Geduld üben.
Ganz neu ist die Debatte freilich nicht. Schon bei seinem Amtsantritt hatte ProSiebenSat.1-Vorstandschef Bert Habets vorgeschlagen, Joyn zum zentralen Dreh- und Angelpunkt der öffentlich-rechtlichen und privaten Medienanbieter in Deutschland zu machen. "Wir haben mit Joyn die Entwicklung eines Streamingdienstes 'made in Germany' in der Hand. Zusammen können wir für Vielfalt und Qualität stehen", sagte Habets damals. Selbst der damalige ARD-Vorsitzende Kai Gniffke zeigte sich angetan. "Das finde ich einen großartigen Gedanken“, erklärte er und schmunzelnd hinterher: "Hätte fast von mir sein können." Dass Joyn nun, zwei Jahre später, einfach Nägel mit Köpfen macht, dürfte ihm und seinen Mitstreitern bei ARD und ZDF aber dennoch sauer aufstoßen.