Die Überschrift der Pressemitteilung ist etwas irreführend: „Mehrheit der Haushalte reagiert aktiv - ‚Schwarzblende‘ bleibt aus“ heißt es von der AGF zu einer neuen Plattform-Studie, durchgeführt von Kantar. Das klingt nach Entwarnung, ist aber weit davon entfernt. Die jetzt vorgelegten Daten stützen eine im Dezember vorgelegte Analyse des Medienmagazins DWDL.de zu desaströsen Folgen für das Medium TV - einer unbequemen Wahrheit, die bislang überraschend selten thematisiert wird.
Es geht um die Konsequenzen des Nebenkostenprivilegs, was zum 1. Juli 2024 abgeschafft wurde. TV-Kosten dürfen seitdem nicht mehr automatisch über Mietnebenkosten umgelegt werden. Mit viel Werbegeld haben Kabelnetzbetreiber, allen voran Vodafone als größter Versorger in Deutschland, aber auch Wettbewerber um die Gunst dieser Haushalte gekämpft. Laut der jetzt vorgelegten Studie haben 68,9 Prozent der betroffenen Haushalte in Folge dessen „Maßnahmen ergriffen, um ihren TV-Empfang sicherzustellen.“
Diese Gruppe setzt sich zusammen aus 62,1 Prozent, die einen neuen Kabelvertrag abgeschlossen haben, weitere 6,8 Prozent haben einen alternativen Empfangsweg fürs TV gewählt. Zu diesen zusammengerechnet 68,9 Prozent kommen noch einmal 4,3 Prozent der befragten Haushalte, die nicht aktiv werden mussten, weil sie zum Stichtag bereits über einen alternativen Empfangsweg im Haushalt verfügten (z.B. IPTV zusätzlich zu Kabel TV). Die von der AGF jetzt vorgelegte Kantar-Studie belegt aber auch: 26,6 Prozent der Haushalte haben keinen neuen Vertrag für Kabel-TV oder andere Empfangswege abgeschlossen.
Das entspricht knapp 3,2 Millionen TV-Haushalten in denen der TV-Empfang einfach weiterläuft - ohne Vertrag. Die DWDL.de-Analyse kam im Dezember auf ähnliche Hausnummer, etwa 3,5 Millionen betroffene Haushalte. Diese müssten manuell vor Ort, Wohnung für Wohnung, abgeklemmt werden. Das ist kostspielig für Vodafone und Tele Columbus (PYUR), die schon die ausbleibenden Einnahmen dieser mehr als drei Millionen Haushalte verkraften müssen. Wettbewerber wiederum beklagen das zögerliche Vorgehen der Kabelnetzbetreiber beim Abklemmen dieser Haushalte, weil dieser gratis gewährte TV-Empfang den Markt verstopfe.
Sind jene 26,6 Prozent der Kabelhaushalte nun „potenzielle Cord Cutter oder ‚Aussitzende‘?“ fragt die AGF selbst in ihrer Präsentation zur vorgelegten Studie. Anders formuliert: Sind diese Haushalte noch für das Medium TV zu gewinnen oder verloren? Keiner hat gerade eine genaue Vorstellung, wann man diese Frage abschließen beantworten kann. So lange hängt die künftige Reichweite des Mediums TV am seidenen Faden. Und das zusätzlich zur angespannten Konkurrenzsituation durch Streamingdienste und Zurückhaltung im Werbemarkt..
Die in Deutschland von GfK für die AGF gemessenen TV-Einschaltquoten werden repräsentativ hochgerechnet - basierend auf der Anzahl von TV-Haushalten in Deutschland. Sollte sich die signifikant ändern, muss das auch von der AGF abgebildet werden. Die Gesamtreichweite des Mediums würde abrupt schrumpfen. Ausgewiesene Quoten, konkret die Reichweite in absoluten Zahlen, sinken. Und entsprechend auch zu erzielende Werbeeinnahmen. Es wäre ein Desaster für alle Sender. Dort hat deshalb keiner ein Interesse daran, dass mehr als drei Millionen Haushalte abgeklemmt werden. Das haben die beiden großen Sendergruppen auch schon so artikuliert.
Bei AGF-Geschäftsführerin Kerstin Niederauer-Kopf wiederum klingt die Erwartung durch, dass die flächendeckende Abklemmung der Schwarzseher-Haushalte das Ziel sein müsse: "Die zweite Welle unserer Plattformstudie zeigt, dass viele Haushalte freiwillig auf individuelle Verträge umgestiegen sind, was auf erfolgreiche Informationskampagnen hinweist. Gleichzeitig wird jedoch deutlich, dass die technischen und organisatorischen Anpassungen durch die Anbieter noch nicht überall abgeschlossen sind. Der Prozess birgt offensichtlich weiterhin Herausforderungen, insbesondere bei der flächendeckenden Umsetzung."
Damit wäre zwar einerseits Ordnung hergestellt, aber ohne neue TV-Versorgung auch die Reichweite des Mediums gesprumpft. Man darf also davon ausgehen, dass die AGF-Chefin ganz darauf setzt, dass diese Haushalte sich - wenn sie erstmal abgeschaltet sind - schon für irgendeinen TV-Provider entscheiden werden. Warum das vielleicht eine falsche Hoffnung ist, analysierte DWDL im Dezember. Aber um es wenigstens zu versuchen, wäre ein größeres Bewusstsein in der Branche und eine Kraftanstrengung von TV-Providern wie Medienhäusern wichtig.
Vorerst aber, das zeigte sich schon bei der DWDL.de-Analyse, regiert das Prinzip Hoffnung. Kein Wunder also, dass die AGF Videoforschung - deren Gesellschafter eben diese Sender sind - deshalb trotz dem brisanten Kern der neuen Studie in der Überschrift der Pressemitteilung auf einen beruhigenden Euphemismus setzt: „Mehrheit der Haushalte reagiert aktiv – ‚Schwarzblende‘ bleibt aus.“ Um es mit einem Meme zu sagen: „This is fine“.