Herr von Hirschhausen, Sie haben vor etwas mehr als einer Woche zum letzten Mal eine Unterhaltungsshow im Ersten moderiert. Wie schwer fiel Ihnen der Abschied?

Mit der letzten Ausgabe von "Was kann der Mensch?" hatte ich persönlich noch einmal dieses berühmte Lagerfeuergefühl am Samstagabend mit Familie und Freunden. Es ist schön zu sehen, dass sich für diese Art von Fernsehen noch immer mehrere Generationen begeistern lassen, und das zeigte die gute Quote und der Anteil von jungen Zuschauern. Gleichzeitig ist in der digitalen Welt aber die Mediathek die Währung der Zukunft – und ich bin sehr froh, hier mit meinen Dokumentationen zu Corona, der Abnehmspritze oder ADHS linear und digital ein großes Publikum zu erreichen. So sehr es immer mein Wunsch war, auch innerhalb der dreistündigen Unterhaltungsshow zumindest fünf Minuten Ernsthaftigkeit unterzubringen, bin ich umso glücklicher, diesen Themen und dicken Brettern mit meinen Reportagen jetzt 45 Minuten am Stück widmen zu können. Das ist für mein wissenschaftsjournalistisch geprägtes Herz eine tolle Weiterentwicklung.

Sind die Zeiten zu ernst geworden oder doch eher Sie selbst?

Ich mache total gerne Quatsch, gute Unterhaltung mit Haltung und mir ist der Humor nicht verloren gegangen. Aber es ist auch klar, dass die Zeit nicht mehr ist wie vor 15 Jahren – und ich bin es auch nicht mehr. Letztlich bin ich stolz, mit einem eigenständig entwickelten Format überhaupt 15 Jahre durchgehalten zu haben. Alles hat seine Zeit.

Nun steht Ihr neues Reportage-Projekt an, "Hirschhausen und die Macht des Alkohols". Wieso widmen Sie sich diesem Thema?

Bei all den Reportagen versuchen wir einen Perspektivwechsel vorzunehmen, sprich wie gelingt es, etwas scheinbar Offensichtliches von verschiedenen Seiten neu zu beleuchten? Beim Thema Alkohol sind das zum Beispiel Menschen, die unschuldig geschädigt wurden, wie Jenny, die wir begleiten und die erst mit 30 Jahren erfährt, dass sie das Fetale Alkoholsyndrom hat. Ihre leibliche Mutter hatte in der Schwangerschaft getrunken. Oder Chris, der heute Straßenzeitungen auf St. Pauli verkauft, und mir erzählt, dass er aus seiner Gang von früher der einzige ist, der überlebt hat, weil sich alle anderen zu Tode gesoffen haben. Ich blicke aber auch hinter die Kulissen des Oktoberfests. Alle kennen die Bilder von der Wiesn, aber die wenigsten machen sich klar, wie es in der Notaufnahme aussieht. Da hilft mir mein medizinischer Hintergrund dort zu drehen, wo andere nicht hinkommen. Wie absurd unser Umgang mit dem Alkohol ist, zeigt aber auch direkt das Zitat, mit dem wir in unseren Film einsteigen: "Alkohol ist die einzige Droge, bei der man sich rechtfertigen muss, wenn man sie nicht nehmen möchte."

Hirschhausen und die Macht des Alkohols © WDR/Jan Reiser Zeitungsverkäufer Chris im Gespräch mit Eckart von Hirschhausen.

Nun ist die Fernsehbranche ja eine Branche, in der es üblich ist, dass auf Veranstaltungen Alkohol getrunken wird – und meist nicht zu knapp. Vor dem Hintergrund Ihres Films müssten Sie auf solchen Veranstaltungen in Zukunft eigentlich immer mit dem erhobenen Zeigefinger durch die Reihen gehen, oder?

Nein, der Zeigefinger ist zum Kitzeln und nicht zum Drohen. Das war immer schon meine Grundhaltung. Ich selbst trinke ja auch nach wie vor gerne mal einen Wein oder ein Bier, oder stoße, wenn es etwas zu Feiern gibt, gerne mit etwas Prickeligem an. Es gibt ein Grundrecht auf Rausch – und eins auf körperliche Unversehrtheit. In allen Kulturen gibt es Rituale, selbst Jesus hat ja Wasser zu Wein verwandelt, nicht zu Rhabarberschorle. Aber wenn, wie es der Suchtforscher in unserem Film sagt, der Rausch nicht die Ausnahme vom Alltag ist, sondern zum Alltag wird, dann ist das kein Grund zu feieren, sondern sich Hilfe zu holen. Wie schnell wir abhängig werden, hat ganz viel damit zu tun, wie leicht Alkohol, gerade für jüngere Menschen, in unserer Gesellschaft verfügbar ist. Wir platzieren den Alkohol in Supermärkten, als wäre er ein Grundnahrungsmittel. Das halte ich für gefährlich.

Wie geht’s danach für Sie ganz persönlich im Fernsehen weiter?

Ich freue mich sehr, dass der WDR mir angeboten hat, drei weitere Jahre miteinander zu arbeiten – mit gleich vier Dokus im Jahr und, wenn es aktuelle Anlässe gibt, sogar mehr. Das ist toll, weil das, was wir bisher eher sporadisch entwickelt haben, damit in eine Verstetigung kommt. Die Dokus werden sowohl in der Mediathek als auch bei YouTube sehr gut abgerufen – auch von einer jüngeren Zielgruppe. Ganz offensichtlich treffen wir also echt einen Nerv. Schon jetzt sind wir an neuen Themen dran, wollen uns in einem künftigen Film beispielsweise mit Schmerzmitteln beschäftigen und auch mit Demenz.  Und auch "Wissen vor Acht Erde" läuft weiter mit 20 neuen Folgen 2025.

Für Sie verändert sich künftig also der berufliche Fokus?

Genau, denn die Entscheidung, die dafür notwendig war, mehr Dokus und Reportagen zu drehen, war ja, dass ich nicht mehr so viele Tourtermine spiele. Auch früher schon gab es viele Ideen, die wir aber nicht umsetzen konnten, weil ich extrem viel unterwegs war. Inzwischen habe ich meine Tourtermine auf ausgewählte Projekte und Konzerte reduziert, sodass ich die Freiheit habe, viel flexibler reagieren zu können. Mir wird selten langweilig. In zwei Wochen kommt ein neues Buch heraus, "Der Pinguin, der fliegen lernte".  Nächste Woche werde ich ein MRT geschoben, um zu sehen, wie sich mein Hirn verändert hat. Vor zehn Jahren habe ich mal beim "Quiz des Menschen" Tanzstunden genommen und gezeigt, wie mein Hirn dadurch neue Verbindungen aufbaut. Mal gucken, ob die noch da sind. (lacht)

Ihre Dokumentationen produziert die Firma Bilderfest. Dabei wollten Sie ja auch mal mit einer eigenen Firma unter die Produzenten gehen – zusammen mit Ansager & Schnipselmann, der inzwischen geschlossenen Firma von Frank Plasberg und Jürgen Schulte. Haben Sie Ihre Produktionsambitionen damit zur Seite gelegt?

Ich habe tatsächlich nicht den Ehrgeiz, die Dokus selber zu produzieren – auch, weil über die Jahre, die ich jetzt Fernsehen mache, mein Respekt vor der Teamarbeit, die es bei solchen Projekten benötigt, immer weiter gewachsen ist. Ich kannte das als Solokünstler im kleinen Stab, aber wenn man sich klarmacht, wie viele Menschen bei TV-Produktionen im Hintergrund arbeiten, von der Recherche bis zur Distribution bin ich sehr froh, für "Wissen vor Acht Erde" mit TVision und mit Bilderfest für alle Reportagen sehr professionelle und kreative Partner an meiner Seite zu haben. Warum sollte ich Dinge tun, die ich schlechter kann als andere? Organisieren war nie meine Stärke und wird es in diesem Leben nach allem, was ich über mein Hirn weiß, auch nicht mehr werden.

Herr von Hirschhausen, vielen Dank für das Gespräch.

"Hirschhausen und die Macht des Alkohols", am Montag um 20:15 Uhr im Ersten und bereits vorab in der ARD-Mediathek