Fast 30 Jahre lang verantwortete der Norddeutsche Rundfunk (NDR) innerhalb der ARD den Eurovision Song Contest. Nun gibt der Sender diese Aufgabe ab - an den SWR, der ab 2026 die Federführung übernehmen wird, wie jetzt bekannt wurde. Die ARD verweist darauf, dass die Landesrundfunkanstalten zunehmend ihre Kräfte bündeln, um sich "zu spezialisieren und damit an Schlagkraft zu gewinnen". Während sich der NDR unter anderem weiter auf Quiz- und Spielshows, Family-Entertainment, Satire und Comedy für die ARD konzentrieren wird, wandert die Zuständigkeit für die größte Musikshow Europas somit in den Südwesten.

Clemens Bratzler © SWR/Patricia Neligan Clemens Bratzler
Über einen Rückzug des NDR war schon lange spekuliert worden - und auch wenn 2024 ein ordentlicher zwölfter Platz heraussprang, hielt sich das strategische Interesse an einer weiteren Verantwortung für den deutschen ESC-Vorentscheid in Hamburg nach regelmäßig überschaubaren Ergebnissen und der damit einhergehenden öffentlichen Schelte offenbar in Grenzen. Zwischenzeitlich war der MDR als mögliche neue Heimat gehandelt worden, der sich wegen der angespannten Finanzlage jüngst jedoch ein umfangreiches Sparprogramm auferlegt hat. Stattdessen soll nun also der SWR die Strippen ziehen - ein Wechsel, für den der Sender eigenen Angaben zufolge jedoch kein zusätzliches Geld ausgeben wird. "Um das finanziell ohne zusätzliche Mittel leisten zu können, haben wir intern umgeschichtet und werden mit anderen ARD-Häusern kooperieren", sagte SWR-Programmdirektor Clemens Bratzler.

Christine Strobl © ARD/Laurence Chaperon Christine Strobl
ARD-Programmdirektorin Christine Strobl sagte: "Der ESC ist das größte Show-Event der ARD – ein Symbol für ein weltoffenes Europa und ein echter Lagerfeuermoment, der Millionen über alle Generationen hinweg begeistert, ob im klassischen TV oder in der Mediathek. Dies ist maßgeblich dem NDR zu verdanken, der die Marke mit enormem Einsatz immer weiterentwickelt hat und nun in Zusammenarbeit mit Stefan Raab einen sicher grandiosen Schlusspunkt setzen wird. Ich bin dem SWR dankbar, dass er bereit ist, diese wichtige Aufgabe zu übernehmen und den ESC erfolgreich in die Zukunft zu führen."

Der Zeitpunkt überrascht

Gleichwohl überrascht der Zeitpunkt der Bekanntgabe, schließlich gehen die Vorbereitungen für den nächsten Vorentscheid derzeit in die heiße Phase. Zusammen mit Stefan Raab und der Kooperation mit RTL hatte der NDR jüngst noch einmal einen neuen Anlauf unternommen, an jene erfolgreiche Phase anzuknüpfen, die 2010 in Lena Meyer-Landruts ESC-Sieg gipfelte. Sollte Raabs neuer Schützling nun in Basel gewinnen, würde übrigens noch einmal der NDR das internationale Finale im kommenden Jahr verantworten. Ob eine weitere Zusammenarbeit mit Raab denkbar ist, wenn die Federführung zum SWR wechselt, ist jedoch völlig unklar. Sowohl Raab als auch Christine Strobl hatten bereits deutlich gemacht, dass einzig der Sieg zählt. "Nichts weniger als der Sieg rechtfertigt eine solche Zusammenarbeit", unterstrich Strobl kürzlich noch einmal (DWDL.de berichtete).

Frank Beckmann © NDR/Hendrik Lüders Frank Beckmann
Ähnlich äußerte sich nun auch NDR-Programmdirektor Frank Beckmann. "Das Ziel ist klar: Gemeinsam mit Stefan Raab und RTL holen wir die Trophäe nach Deutschland", sagte er am Montag und machte zugleich deutlich, dass der Abschied durchaus schwerfällt. "Wer einmal die ESC-Luft geschnuppert hat, den lässt sie nicht mehr los. Der ESC ist mehr als ein musikalischer Wettbewerb, er ist mehr als die größte Unterhaltungsshow Europas", so Beckmann. "Der ESC ist ein Zeichen für den Wunsch nach Gemeinsamkeit, für ein friedliches Zusammenleben, für wechselseitigen Respekt, für Vielfalt und Diversität. Und wer hätte gedacht, dass es gerade in diesen Wochen wieder notwendiger wird, an diese Werte zu erinnern?"

"Mit großer Leidenschaft" habe man den Wettbewerb über viele Jahre betreut. "Wir haben mit Lena gewonnen, aber auch oft hintere Plätze belegt. Viele strategische Überlegungen wurden angestellt, doch der ESC bleibt immer auch ein bisschen unkalkulierbar – und das ist auch gut so", sagte Strobl. "Wir haben uns in der ARD versprochen, Schwerpunkte zu setzen. Wir suchen nach Synergien und Arbeitsteilungen. Das bedeutet zuweilen auch, Liebgewonnenes loslassen zu müssen – so wie den ESC."

Der SWR will mit den inhaltlichen Planungen für die zukünftige Gesaltung des Eurovision Song Contests nach eigenen Angaben im Frühsommer beginnen. Man übernehme die Federführung "mit großer Vorfreude, aber mindestens genauso viel Respekt", sagte SWR-Programmdirektor Clemens Bratzler - wohl wissend, dass die Aufgabe keine leichte sein wird. "Uns ist bewusst, dass wir in große Fußstapfen treten und die vielen Fans zu Recht ebenso anspruchsvoll wie kritisch sind."

Mehr zum Thema