Der Streit zwischen der ehemaligen RBB-Intendantin Patricia Schlesinger und dem Sender um Ruhegeld und Schadenersatz in Millionenhöhe geht in die nächste Runde. Nach knapp zweieinhalbstündiger Verhandlung vor dem Landgericht Berlin scheiterte am Mittwoch zunächst eine Güteverhandlung. Bis Ende Mai soll nun ein Mediationsverfahren eine Lösung bringen.
Das öffentliche Interesse an dem Fall war schon vor Verhandlungsbeginn deutlich. Rund 60 Zuhörer:innen drängten sich in den eigentlich für Zwangsversteigerungen vorgesehenen Gerichtssaal, am Einlass bildeten sich Schlangen, Kameras und Fotografen begleiteten Schlesingers persönliches Erscheinen, das vom Gericht angeordnet worden war.
In der Verhandlung bot Schlesingers Seite einen Teilvergleich an: eine Zahlung des Ruhegelds erst ab 1. Juli 2024. Die frühere Intendantin sei in diesem Zuge bereit, auf rund 330.000 Euro zu verzichten (abzüglich des zwischenzeitlich erzielten Verdiensts). Nach Angaben ihres Anwalts würde dieser Betrag die meisten Rückforderungen des Senders abdecken – mit Ausnahme der umstrittenen variablen Vergütungen in Höhe von 1,69 Millionen Euro und der Kosten für das gescheiterte digitale Medienhaus.
Der RBB zeigte sich jedoch zurückhaltend und verwies auf eine notwendige Konsultation des Verwaltungsrats. Man nehme dieses Gremium "heute wesentlich ernster als Herr Wolf das gemacht hat", hieß es – eine Anspielung auf den früheren Verwaltungsratsvorsitzenden, gegen den wie auch gegen Schlesinger noch staatsanwaltschaftliche Ermittlungen laufen.
Während der Verhandlung kam auch die finanzielle Situation der Ex-Intendantin zur Sprache. Nach Angaben ihrer Anwälte habe sie seit ihrem Ausscheiden beim RBB über neun Monate von Februar bis November 2023 anderweitige Einkünfte von etwa 25.000 Euro brutto monatlich erzielt.
Gleichwohl betonte der Anwalt, seine Mandantin sei durch den Fall "extrem stigmatisiert" worden, was die Erzielung eigenen Einkommens erschwere. Sie sei auf Ruhegeld angewiesen, habe hohe Kosten.
Das Gericht hatte während der Verhandlung angedeutet, der Auffassung zu folgen, dass eine vertraglich festgelegte Ruhegeldzusage an Schlesinger durch den RBB nicht einfach vollständig ausgesetzt werden könnte.
"Missverhältnis" zwischen Leistung und Zahlung?
Der RBB wiederum verweist auf rund 80 einzelne Pflichtverletzungen, die Schlesinger zur Last gelegt werden. Besonders strittig: die Frage nach der Zustimmung des Verwaltungsrats zu diversen Ausgaben und Zulagen, insbesondere in Zusammenhang mit dem ARD-Vorsitz. "Es gibt keinerlei Beschlüsse des Verwaltungsrats zu den Zulagen, und die wären notwendig gewesen", argumentierte die Sendervertretung. Schlesinger habe damit ihre Pflichten missachtet und dem Sender Schaden zugefügt.
Zudem müsse bewertet werden, ob insbesondere vor dem Hintergrund des Gebots der Wirtschaftlichkeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk "anständig" gewesen sei, was Schlesinger sich an Vergütungen vom ersten Tag ihres Anstellungsverhältnisses an versprechen ließ, oder ob ein "Missverhältnis" zwischen Leistung und Zahlung vorliege.
Der aktuelle Rechtsstreit ist nur die jüngste Entwicklung in einer Affäre, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in eine seiner schwersten Krisen stürzte.
Vor 877 Tagen, am 22. August 2022, sprach der RBB-Verwaltungsrat die fristlose Kündigung gegen Schlesinger aus. Eine Woche zuvor war sie bereits als Intendantin abberufen worden. Vorausgegangen waren Medienberichte über mutmaßliche Compliance-Verstöße, fragwürdige Beraterverträge und die dienstliche Abrechnung privater Essen.
Die Dimension des Falls spiegelt sich auch in den Gerichtsakten wider: Rund 5.000 Seiten umfasst inzwischen die Akte zum Verfahren. Formal geht es zunächst um Schlesingers Klage auf ein monatliches Ruhegeld von 18.384,54 Euro – zunächst nur für einen Monat eingeklagt, um den Streitwert niedrig zu halten. Der RBB reagierte mit einer Widerklage, in der zunächst die Erstattung von Kosten für private Essen, Reisen und Dienstwagennutzung gefordert wurde.
Inzwischen aber hat der Sender seine Forderungen massiv ausgeweitet: Schlesinger soll für sämtliche seit 2019 geleistete Bonuszahlungen und ARD-Zulagen aufkommen, insgesamt mehr als zwei Millionen Euro. Zusätzlich soll sie für die Kosten des gescheiterten "Digitalen Medienhauses" haften, das den Sender laut Landesrechnungshof gut 6,8 Millionen Euro kostete.
Staatsanwaltschaft ermittelt weiter
Parallel zur zivilrechtlichen Auseinandersetzung laufen weiter die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft untersucht seit August 2022 den Verdacht der Untreue und Vorteilsannahme – nicht nur gegen Schlesinger, sondern auch gegen ihren Ehemann sowie den ehemaligen Verwaltungsratsvorsitzenden Wolf-Dieter Wolf.
Nach aktuellen Medienberichten wurde der Kreis der Beschuldigten inzwischen auf weitere ehemalige Mitglieder der RBB-Geschäftsleitung ausgeweitet.
Nach dem gescheiterten Güteversuch sollen nun bis zum 31. Mai 2024 Mediationsgespräche eine Lösung bringen. "In der Tat würden wir auch über eine Gesamtlösung sprechen", signalisierte der Sender vorsichtige Kompromissbereitschaft.
Schlesingers Anwalt drängt auf eine zügige Einigung. Die Summe, auf die seien Mandantin zu verzichten bereit wäre, überstiege (abgesehen von den Zulagen) sogar die geltend gemachten Forderungen. Dies stelle seiner "Auffassung nach ein ausgewogenes Angebot" dar.
Der Fall zeigt exemplarisch die Herausforderungen bei der Aufarbeitung von Führungsfehlverhalten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk: Einerseits steht der RBB unter Druck, Schaden von den Beitragszahlern abzuwenden. Andererseits muss das Gericht komplexe Fragen von Organverantwortung und Arbeitnehmerrechten klären. Eine schnelle Lösung scheint trotz des nun eingeleiteten Mediationsverfahrens nicht in Sicht.