"Wir hören euch." "Wir nehmen eure Kritik ernst." "Wir sitzen das nicht aus." Zumindest das Social-Media-Team von "ttt - titel thesen temperamente" hat kurz vor Weihnachten noch alles gegeben, um die Lage nach der Berufung von Thilo Mischke zum neuen Moderator des ARD-Kulturmagazins zu beruhigen und sich ein paar Tage Zeit für eine Aufarbeitung des Themas zu erkaufen. In den Tagen zuvor war die Kritik aus dem Kulturbereich an der Personalie zunehmend lauter geworden.
Entzündet hatte sie sich an seinem Buch "In 80 Frauen um die Welt" aus dem Jahr 2010, in der er von einer Wette erzählt, derzufolge der namensgleiche Ich-Erzähler auf einer Weltreise mit 80 Frauen schlafen soll. Den Titel bezeichnete er später als Fehler, das Buch trotz seines misogynen Inhalts aber noch 2021 explizit nicht. In der Folge "Die Causa TTThilo Mischke" des Podcasts "Feminist Shelf Control" (Quellen-Sammlung) haben die Journalistinnen Annika Brockschmidt, Rebekka Endler sowie zahlreiche Mithelferinnen weitere sexistische Äußerungen Mischkes auch in jüngeren Jahren zusammengetragen.
Die Beruhigungs-Pille des "ttt"-Teams von kurz vor Weihnachten wurde dann dadurch konterkariert, dass auch zwischen den Jahren von der ARD weiter munter Statements auftauchten, in denen sie offenbar schon unabhängig von der angekündigten Aufarbeitung an Mischke festhielt, was wiederum Kritikerinnen und Kritiker nur als Provokation verstehen konnten. Und so formierte sich der Protest über den Jahreswechsel weiter.
Nun haben über 100 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner aus dem kulturellen Bereich - Autorinnen, Schriftsteller, Literaturwissenschaftlerinnen, Musiker, Regisseurinnen und weiter Künstler - in einem Offenen Brief an die ARD gewandt darin erklärt, dass sie eine Zusammenarbeit mit Thilo Mischke als "ttt"-Moderator für sich selbst ausschließen. Da sich Mischke nicht vom ausreichend vom Buch distanziert und sich auch danach "mehrfach öffentlich sexistisch und rassistisch geäußert" habe, sei man "bestürzt über diese Personalentscheidung der ARD, mit der die Kultursendung 'ttt - titel thesen temperamente' nachhaltig beschädigt wird". Weiter heißt es: "Wir wünschen uns für das Kulturfernsehen enthusiastische und an Kultur interessierte Moderator*innen, die sensibel und empathisch in der Lage sind, auf Gegenwartsdiskurse zu antworten und der Komplexität aktueller Kulturdebatten gerecht zu werden." Den kompletten Offenen Brief gibt's beim "Tagesspiegel".
Fragt man bei der ARD nach, will man sich aktuell noch nicht zum Offenen Brief äußern - man darf aber davon ausgehen, dass es intern gerade kein ruhiger Start ins Jahr ist, denn längst steht auch die ARD selbst im Kreuzfeuer der Kritik. Der Journalistinnenbund etwa verweist auf den "Baukasten gegen Sexismus", mit dem die ARD vor einigen Monaten angekündigt habe, für eine Unternehmenskultur stehen zu wollen, in der Sexismus, sexuelle Belästigung und überholte Rollenklischees keine Chance haben. "Ganz offenbar haben die vereinbarten Maßnahmen noch nicht gegriffen", kritisiert so die Vorsitzende des Journalistinnenbundes Friederike Sittler. "Anders lässt sich die Verpflichtung von Thilo Mischke als Moderator des Kulturmagazins 'ttt' nicht erklären."
Der Journalistinnenbund fordert in dem Zusammenhang Thilo Mischke selbst zum Verzicht auf die Moderationstätigkeit auf. "Uns geht es aber als Frauen in den Medien auch darum, dass die ARD darüber nachdenkt, wie es zu einer solchen Entscheidung kommen konnte. Die in der ARD bereits vereinbarten Maßnahmen müssen verbindlich umgesetzt werden, damit Sexismus und überholte Rollenklischees tatsächlich keine Chance mehr im öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben", so Friederike Sittler. Nötigenfalls müssten personelle Konsequenzen auf der Ebene der für die Entscheidung Verantwortlichen gezogen werden.