In unregelmäßigen Abständen ereignet sich im deutschen Fernsehen ein besonderes Schauspiel. Vorrangig in Berliner TV-Studios werden dann eilig zwei Stühle in die Kulisse geschoben, ehe die Bühne bereitet ist für einen einstündigen Solo-Auftritt des Bundeskanzlers.
Am Sonntagabend war es wieder soweit. Erstmals hatte Caren Miosga die Ehre, Olaf Scholz in ihrer noch recht jungen Talkshow zu begrüßen. Ein Interview vor einem Millionenpublikum, unmittelbar im Anschluss an den quotenstarken "Tatort" – und noch dazu in einer Woche, in der der Kanzler mit dem Rauswurf seines Finanzministers, nur wenige Stunden nach Donald Trumps Wiederwahl zum amerikanischen Präsidenten, nichts weniger als das Ende der Ampel-Koalition besiegelte. Ohne Zweifel ein kleiner Coup für Miosgas Reaktion.
Ob das Gespräch gelungen war, mögen andere beurteilen. Auffällig ist jedoch einmal mehr die Form, denn im deutschen Fernsehen scheint es so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz zu geben, wonach dem Bundeskanzler bei Talkshow-Auftritten allenfalls von Moderatorinnen – oder in Ausnahmen von eingeladenen Bürgerinnen und Bürgern – Widerspruch droht, nicht aber von Politikerinnen und Politikern der Opposition. Auf die trifft der Regierungschef vor der Kamera allenfalls bei den meist ebenso starren wie ermüdenden TV-Duellen, wenn die nächste Wahl unmittelbar bevorsteht.
Abseits davon hat Scholz seit dem Beginn seiner Amtszeit vor knapp drei Jahren bei ARD und ZDF neben den obligatorischen Sommerinterviews - noch so einer skurrilen Besonderheit des deutschen Fernsehens - einmal Anne Will Rede und Antwort gestanden, einmal Sandra Maischberger, gleich zwei Mal Maybrit Illner – und nun eben auch Caren Miosga. Das letzte Kanzler-Solo vor seinem Auftritt bei Miosga liegt übrigens gerade einmal zwei Wochen zurück. Damals hatte er sich anlässlich ihrer tausendsten Sendung in Maybrit Illners Studio eingefunden, um, gewohnt stoisch, eine Stunde lang die Fragen der Moderatorin zu den Krisenherden im Land und außerhalb zu beantworten.
Doch weshalb laufen die Gespräche stets zu ritualisiert ab; fast so, als gäbe es einen unausgesprochenen Automatismus? Weshalb bekommt Scholz, ebenso wie schon seine Vorgängerin Angela Merkel, die vor allem gerne die Sonntagabend-Bühne von Anne Will nutzte, um ihre Botschaften unters Volk zu bringen, in den Talkshows stets eine Sonderbehandlung in Form solcher Einzelgespräche; eine Art Extrawurst? Ob Koalitions-Aus, Krieg oder Corona - wenn sich Krisen zuspitzen, lässt sich in aller Regel die Uhr nach dem nächsten Kanzler-Solo stellen.
Tatsächlich dürften die Sender ein Stück weit davon abhängig sein, wann aus dem Kanzleramt die Bereitschaft für einen Besuch des Chefs signalisiert wird. Um eine konkrete Vorgabe handelt es sich bei derartigen Einzelgesprächen aber nicht, versichert das ZDF. "Auftritte des Bundeskanzlers in Talkshows kommen durch Anfragen der jeweiligen Redaktion an den Regierungssprecher zustande. Die Redaktionen entscheiden eigenständig darüber, wie sie das Format gestalten und wie viele Gäste teilnehmen", erklärt ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten auf DWDL.de-Nachfrage. Mit Blick auf die jüngste Illner-Sendung erklärte Schausten indes, die Redaktion sei "überzeugt, dass ein Einzelgespräch in der aktuellen politischen Situation für die Zuschauer einen größeren Mehrwert bietet".
Im Gegensatz zu Illners Talkshow setzt Caren Miosga auch bei ihren sonstigen Sendungen häufig auf Eins-zu-Eins-Interviews, weshalb der Auftritt des Bundeskanzlers hier nicht so ganz so ungewöhnlich erscheint. Darauf verweist auch die ARD-Programmdirektion auf DWDL.de, angesprochen auf das jüngste Scholz-Solo. "Im konkreten Fall von 'Caren Miosga' ist das Konzept der Sendung ja primär auf Einzelgespräche ausgelegt, die – abhängig von Thema und Relevanz – durch Diskussionen mit weiteren Experten oder Journalisten ergänzt werden können", heißt es. "Einzelgespräche mit hochrangigen politischen Persönlichkeiten sind ein zentrales Merkmal der Sendung und wurden bereits gleichermaßen mit Friedrich Merz als CDU-Kanzlerkandidat und voraussichtlich wichtigster Herausforderer des Bundeskanzlers bei den anstehenden Bundestagswahlen geführt." Dabei folgten die Redaktionen aller ARD-Talksendungen "strikt journalistischen Standards".
Und dennoch: Vielleicht bietet die vorgezogene Neuwahl einen Anlass, über die künftigen Gesprächsformen mit Scholz oder seinem möglichen Nachfolger nachzudenken. Sicher, Solo-Interviews besitzen den Vorteil, tief in aktuelle Themen einzutauchen und dem Kanzler die Möglichkeit zu geben, seine Sicht der Dinge in Ruhe darzulegen. Sie verhindern aber auch harte Sachdebatten mit dem politischen Gegner. Dabei täten gerade die dem politischen Diskurs in Deutschland derzeit ziemlich gut.