Kürzlich hat Bert Habets bekräftigt, dass er den Kern der ProSiebenSat.1 Media SE im Entertainment sieht. Herr Link, Sie wurden schon im März 2020 mit genau diesem Fokus in den Vorstand geholt. Was ist jetzt neu?

Die Fokussierung auf Entertainment ist in der Tat keine Positionierung, um die es im Vorstand Diskussionen gab. Wir haben jetzt klar definiert, in welchen Bereichen wir künftig mehr tun wollen und was im Gegensatz dazu nicht mehr im Mittelpunkt steht für uns. Bei Entertainment und Commerce & Ventures sehen wir Wachstumspotential und gegenseitige Synergien. Bei Dating und der größtenteils in Amerika aktiven ParshipMeet Group eher weniger. 

Überraschend war die Bedeutung, die beim Thema Entertainment Joyn zugeschrieben wurde. Was können Sie dazu sagen?

Joyn steht im Zentrum unserer Entertainment-Strategie, denn Streaming ist unsere Zukunft. Das Zuschauerverhalten zeigt die Tendenz zum Non-Linearen. Das ist der Grund, warum wir sehr lange und intensiv mit Discovery gesprochen haben, um am Ende mit einem sehr partnerschaftlichen Ergebnis die alleinige Kontrolle über Joyn zu bekommen, um es vollständig in die ProSiebenSat.1-Familie zu integrieren. Das war einer der wichtigsten Meilensteine der letzten zehn Jahre für unseren Konzern. Wir werden weiterhin den Aggregator-Ansatz verfolgen und setzen nach wie vor stark auf AVoD, womit wir vor einigen Jahren kritisch beäugt wurden. Jetzt fällt auch anderen auf, wie enorm dieser Bereich wächst, weil das Budget für Abos endlich ist. 

 

"Wir werden für diese Aufgabe, die wir bei Joyn jetzt angehen, Budgets zu Joyn verlagern"

 

Bleibt SVoD bei Joyn erhalten oder fokussieren Sie sich auf AVoD?

Wir fahren weiter zweigleisig. Im kostenpflichtigen Angebot stecken neben exklusiven Programmen auch technische Features wie HD-Qualität oder Werbefreiheit. Da bieten wir dem Publikum die Wahl, aber Priorität hatte immer schon das kostenfreie Angebot, um hier unsere Stärke in der Werbevermarktung auch im Streaming ausspielen zu können.

Wenn man jetzt blumige Worte beiseitelässt: Was genau ändert sich bei Joyn? 

Wir wollen Joyn zur größten frei zugänglichen Entertainment- und Lifestyle-Brand für die gesamte Familie in der DACH-Region machen. Bisher war Joyn jünger positioniert, was u.a. auch an Signature-Programmen wie „Jerks“ und anderen sehr jungen, oft von und mit Content Creators geprägten Formaten lag. Joyn ist damit so erfolgreich, dass wir mit diesen Inhalten ein Publikum ansprechen, das wir immer seltener linear erreichen. Das behalten wir weiter bei, wollen aber verstärkt mit Joyn auch alle anderen Zielgruppen adressieren. Damit ergibt sich auch die Aufgabe, das Zusammenspiel von Joyn und unseren Sendern neu zu denken.

Da werden mehr - und teurere - Produktionen nötig sein als Content Creator-Experimente. Wird das Programm-Budget für Joyn ausgebaut?

Das geht nur mit einem Budget-Shift. Wir werden für diese Aufgabe, die wir bei Joyn jetzt angehen, Budgets zu Joyn verlagern und freuen uns auf alle Ideen für Joyn, die wir von den Kreativen aus der Produzentenlandschaft angeboten bekommen. Auch unsere eigenen Produktionsfirmen arbeiten bereits an neuen Projekten. Da ist viel denkbar, nur eine so teure Produktion wie „Der Schwarm“ würden wir in diesen Zeiten nicht produzieren.

 

"Wir waren in der jüngeren Vergangenheit bei deutscher Fiction nicht immer klar in unseren Ansagen."

 

Aber welche Rolle spielt deutsche Fiction generell bei der Neupositionierung von Joyn? Von dem Genre hatte sich ProSiebenSat.1 zuletzt weitgehend verabschiedet.

Ich bin überzeugt davon, dass wir deutsche Fiction brauchen. Die Menschen möchten Geschichten aus der Nachbarschaft und unserem Land sehen, Joyn hat hier mit edgy Serien wie „Jerks“ und „Intimate“ schon eine gute, eigene Sprache gefunden. Aber wir müssen uns breiter aufstellen mit Geschichten aus der Mitte der Gesellschaft, egal ob zum Lachen, Weinen oder Gruseln. Mehr ins Detail will ich an dieser Stelle noch nicht gehen. Wir werden die nächsten Wochen nutzen, um herauszuarbeiten, was wir wollen und um dem Produzentenmarkt dann sehr klar sagen zu können, wonach wir suchen. Da müssen wir selbstkritisch zurückblicken und feststellen: Wir waren in der jüngeren Vergangenheit bei deutscher Fiction nicht immer klar in unseren Ansagen. Aber so wie wir auch ganz bewusst entschieden haben, unsere Informationsangebote inhouse auszubauen, weil wir eine laute, gewichtige Stimme im Diskurs sein wollen und unsere Bemühungen in den kommenden Monaten ausbauen werden, so wollen wir bei der deutschen Fiction auch ein klares Bekenntnis abgeben.

Wolfgang Link, der Herr der Korrekturen? Von der Streaming-Strategie über die Fiction-Ambitionen bis zum Thema Nachrichten - Sie korrigieren gerade an mehreren Fronten Fehler der Vergangenheit…

Entscheidungen der Vergangenheit waren zu den jeweiligen Zeitpunkten sinnvoll und manchmal auch Ergebnisse der Umstände. Meine Aufgabe ist es, heute zu gestalten und ich bin - um da nochmal anzuknüpfen - überzeugt davon, dass ein Medienunternehmen wie wir der Herr über sein eigenes Informationsangebot in all seinen Spielformen sein muss. Es braucht ein eigenes Team, das dann auch inhouse eine Keimzelle für weitergehende Informationsangebote sein kann.

Eine Nachfrage noch zu Joyn: Ist das Angebot personell gut aufgestellt für die Offensive?

Mit dem Führungsteam bin ich sehr zufrieden. Wir sind bei Joyn gut aufgestellt und haben außerdem jetzt die Chance, es noch näher heranzuholen, mehr Anknüpfungspunkte zu nutzen und das Zusammenspiel innerhalb unserer Entertainment-Company zu intensivieren. 

Wolfgang Link © ProSiebenSat.1

Als Kontrast zu Highend-Serien der Streamer setzten die Sender der ProSiebenSat.1 Media SE auf mehr Eigenproduktionen, jetzt gab es aber mehrere neue Deals mit US-Studios: Kommt eine Hollywood-Renaissance?

An unserer Local-Strategie insbesondere in der Access und Primetime ändert sich nichts, aber Hollywood-Inhalte sind weiterhin wichtiger Teil unseres Programmangebots. Lizenzware gehört zu mehreren unserer Marken und die immer noch starke Spielfilm-Performance in der Primetime zeigt das unveränderte Interesse des Publikums. Der Unterschied zu unseren früheren Deals mit Hollywood: Früher sicherte man sich einen Output-Deal und kaufte damit oft die Katze im Sack. Heute kaufen wir gezielter ein und haben, noch viel wichtiger, umfangreichere Nutzungsrechte. Da ist unser Deal mit NBCUniversal richtungsweisend, weil wir beim sogenannten Windowing alle Möglichkeiten haben, die Programme individuell auszuwerten – und das auf all unseren Plattformen.

Ein Bekenntnis zur Fokussierung auf Eigenproduktionen werden die deutschen Kreativen gerne hören, sind aber besorgt über die insgesamt zurückhaltende Auftragslage. Wie viel Freiraum und Aufträge erlauben denn die Umstände gerade?

Wir alle erleben gerade eine Krise nach der anderen. Erst war es die Corona-Pandemie, dann der Angriff Russlands auf die Ukraine mit seinen direkten und indirekten Auswirkungen auch auf Deutschland. Was die Vorhersagen – anders als bei Corona – erschwert:  Die Pandemie war berechenbarer mit Perspektiven auf Impfstoffe und weniger schwierige Sommermonate. Beim russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist noch kein Ende in Sicht. Aber wir teilen zusammen mit anderen in der Branche die Hoffnung, dass das zweite Halbjahr wirtschaftlich besser wird als das erste – und dass der Krieg so schnell wie möglich beendet wird.

Und was lässt sich bis dahin tun?

Letztlich müssen wir als Medienkonzern schauen, dass wir die Produktionskosten im Rahmen halten. Dafür sind wir in einem sehr konstruktiven, guten Austausch mit der Produzentenallianz, um auf beiden Seiten Kostentreiber zu identifizieren. Den höheren Kosten der Produzenten steht eine angespannte wirtschaftliche Lage gegenüber, die es uns nicht ermöglicht, jede Preissteigerung 1:1 zu tragen. Also müssen wir miteinander reden, damit die Lösung am Ende nicht darin liegt, dass wir den Kreativen weniger Produkt abkaufen. Das erfordert sicher Kreativität.

 

"Wir werden nicht auf Kosten unserer Zukunft sparen"

 

Das sagt die Senderseite. Von Kreativen hören wir: Die Sender hätten es gerne immer billiger, aber alles soll natürlich genauso sein wie bisher. Wie soll das gehen? Sind Sie bereit zu akzeptieren, dass man Einsparungen auch sieht?

Deswegen müssen wir offen miteinander sprechen. Entertainment ist der Kern unseres Unternehmens und wir werden nicht auf Kosten unserer Zukunft sparen. Mit den tragenden Säulen eines Formates muss man behutsam umgehen, der Charakter einer Sendung darf natürlich nicht verloren gehen. Ein Beispiel: Wir haben mit der Reduktion von Showlicht einen Test gemacht, der wirklich eindrucksvoll war. Wir haben zunächst mit 75 Prozent und später mit 50 Prozent Beleuchtung getestet – und der Unterschied war am Ende fast nicht wahrnehmbar. So sparen wir hier einerseits Kosten und produzieren gleichzeitig umweltfreundlicher.

Gerade trifft sich die internationale Branche wieder in Cannes. Welche Bedeutung hat das internationale Formatgeschäft und die Suche nach den nächsten Hits?

In der Tat hat die Bedeutung des internationalen Formatgeschäfts deutlich abgenommen. Früher haben auf den großen Messen mehrere Sender um mehrere Formate gekämpft. Heute gibt es nur gelegentlich noch Programme mit einem besonders reizvollen Versprechen. Zuletzt war es sicherlich „The Masked Singer“, das für ProSieben ein großer Erfolg wurde. Bei Sat.1 freuen wir uns gerade auch über den erfolgreichen Start des „1% Quiz“. Unsere Kolleg:innen von Red Arrow Studios International setzen bei der MIPTV in Cannes große Hoffnungen auf unsere neue Abenteuer-Dating-Show „Stranded on Honeymoon Island.“ Aber ein neuer weltweiter TV-Hit fällt nicht vom Himmel. Wir sind aufgrund der raren Hit-Rate neuer internationaler Formate sehr glücklich, mit Kreativen aus Deutschland heraus Erfolge zu entwickeln wie das mehrfach ausgezeichnete „Wer stiehlt mir die Show?“. Um unabhängiger von internationalen Formaten zu sein, haben wir zuletzt mit Seven.One Studios unsere eigenen Produktionsaktivitäten in Deutschland mit neuen Tochterfirmen ausgebaut, um so mehr selbst entwickeln zu können.

Sie sprachen gerade Sat.1 an. Im Januar feiert der Sender 40. Geburtstag und das ausgegebene Ziel war, den Sender bis dahin zu alter Stärke zu führen. Sind Sie optimistisch, dass das noch gelingt?

Ich behalte den Optimismus, dass wir Sat.1 wieder deutlich stärken können. Der Weg dorthin ist nur etwas länger und oft auch steinig. Das muss man ganz offen sagen. 

Herr Link, herzlichen Dank für das Gespräch.