Herr Richter, ist das Distributionsgeschäft 2023 wieder back to normal oder gibt es nach den Erfahrungen der Pandemie ein New Normal im Geschäft?
Wir sind weitgehend back to normal, das haben die diesjährigen London Screenings, bei denen alle Distributoren eine erfolgreiche Bilanz gezogen haben, und Series Mania in Lille gezeigt. Aber klar, alle haben auch gelernt durch die Zeit der Pandemie. Es gibt nicht nur bei solchen Events hybride Modelle, um Kunden online ganz anders anzusprechen als früher.
Gilt „Back to normal“ auch in Bezug auf das Geschäft selbst? Zu Beginn der Pandemie liebäugelten einige US-Player mit einer radikalen vertikalen Integration - wollten nichts mehr verkaufen, alles selbst verwerten.
Das hat sich wieder geändert. Die Studios haben den Wert des Distributionsgeschäfts erkannt und handeln wieder auf dem internationalen Markt. Ein 100prozentiger ´Walled Garden´, wo alle Inhalte innerhalb eines Studio-Ökosystem verbleiben, war offenbar ein nur vorübergehendes Gedankenspiel. Und was sich auch geändert hat: Plattformen werden flexibler bei Deals, programmieren gezielter. Es muss nicht immer gleich die ganze Welt sein, sondern gibt bei Zukäufen und Koproduktionen mehr Deals für einzelne Territorien. Das ermöglicht uns und dem Markt mehr Flexibilität im Geschäft.
Auf das Streaming-Zeitalter hatte Fremantle International, wie auch andere Produzenten und Distributoren, zunächst mit mehr Investitionen in die Highend-Fiction reagiert. Ist das immer noch das alles entscheidende Genre?
Inzwischen werden weit mehr Genres nachgefragt und die Vielfalt in der Nachfrage ist natürlich toll für uns als breit aufgestelltes Produktionshaus. Es gibt weiterhin viel Bedarf an Drama-Serien. Hier in Deutschland launchen wir in Kürze unsere UFA-Serie „Sam, ein Sachse“ als erstes Disney+ Original für den internationalen Markt. In Italien arbeiten wir für AppleTV+ an einer Serie rund um Ferrari. Das sind Premium-Programme mit sehr hohem Aufwand. Aber das Spektrum erweitert sich: Amazon hat für Freevee in Großbritannien und einige andere Länder die Rechte an „Neighbours” erworben. Die australische Soap war im englischen Fernsehen über Jahrzehnte erfolgreich. Jetzt hat „Neighbours“ dort eine neue Heimat im AVoD.
Ungewöhnlich, dass sich eine Plattform die Rechte an einer langlaufenden Serie sichert und diese übernimmt…
Richtig, das wäre vor wenigen Jahren noch nicht vorstellbar gewesen. Gesucht werden zunehmend populäre Programme und hier können wir Freevee eine große „Neighbours“-Fanbase liefern, die übrigens noch dazu Werbung gewohnt ist. Ideal für Freevee also. Die Streamer entdecken den Mainstream, ein klarer Trend. Deswegen gibt es auch Bewegung im Unterhaltungsbereich, wo wir in Italien einen Durchbruch haben: Dort produzieren wir die nächste Staffel von „Italia's Got Talent“ für Disney+, für Netflix produzieren wir sehr erfolgreich „Too hot to handle“ und das inzwischen in zahlreichen Versionen, auch hier in Deutschland. Das ist ein Reality-Format, das wir für Netflix kreiert haben. Wir sehen also auch im Non-Scripted sowohl den Appetit nach neuen, wie auch etablierten Marken. Viele Streamer, die anfangs mit Premium-Positionierung und Fokussierung auf Drama gestartet sind, haben die Genres längst erweitert und suchen auch aufgrund ihrer Größe nach Programmen, die den Mainstream ansprechen. Nur so können sie weiterwachsen. Da sind auch Factual-Programme gefragt - von Premium-Dokumentation zu den Themen TrueCrime und Sport. Eine weitere Entwicklung, die wir als Fremantle International sehr gut bedienen können.
Anfangs wurde viel darüber geschrieben und gesprochen, wie Streaming den Markt revolutioniert. Entpuppt es sich dann jetzt doch mehr als Evolution?
Die Revolution war und ist vor allem eine technische, sie hat die Art und Weise, wann, wo und wie wir konsumieren, massiv erweitert. Und diese Veränderung hatte auch enormen Einfluss auf die Qualität und Vielfalt der Inhalte. Es gibt eigentlich keinen großen Sender mehr, der sich nicht als Marke versteht, die auch on demand verfügbar sein muss. Ob ein Format erfolgreich ist, entscheidet sich immer seltener schon am nächsten Morgen, sondern erst unter Einbezug der nonlinearen Abrufzahlen, wenn sie verfügbar sind. Live-Programme sind da natürlich eine Ausnahme, die in der Regel linear geschaut werden. Hinzu kommt der aktuelle Trend zu AVoD oder FAST-Channel, was im Grunde eine Rückkehr zu früheren Verhaltensmustern ist. Für manche Nutzer ist es dann doch manchmal bequemer, die Programmauswahl nicht selbst zu treffen.
Wie viel Fantasie steckt für Sie und Ihr Geschäft denn im Streaming 2023? Vergangenes Jahr gab es mal den sogenannten Netflix-Schock und auch Disney evaluiert gerade, wie viel man wirklich investieren sollte.
Spannende Frage. Wir erleben gerade einen Reset im Streaming insbesondere bei den von Hollywoodstudios kontrollierten Plattformen, weil diese ihre zwischenzeitlich radikale Position des ´Walled Garden´ korrigiert haben. Kinofilme kommen wieder ins Kino und Hollywoodstudios verkaufen auch wieder Programme, verwerten sie nicht nur inhouse. Hinzu kommt der Blick der Finanzmärkte, die im Frühjahr 2022 aufgeweckt wurden und von der Betrachtung des möglichen Wachstums auf eine kritischere Betrachtung des EBITDA gewechselt ist. Das heißt nicht, dass keine Fantasie mehr im Streaming steckt, aber es wird rationaler.
Also eher weniger Programm als mehr?
Die Schlagzahl der Programme erwarte ich mittelfristig auf unverändertem Niveau, der Wettbewerb bleibt intensiv, nimmt eher noch zu. Also brauchen alle Programm. Darauf sind wir mit unserer Expertise in allen relevanten Genres bestens vorbereitet. Allein in den vergangenen 12 Monaten haben wir in fantastische Produktionsfirmen wie Element, LuxVide, 72Films und Wildstar investiert. Hinzukommen Talent-Deals wie zum Beispiel mit Edward Berger, Oscar-Preisträger für „Im Westen nichts Neues“ und Regisseur unserer UFA-Serie „Deutschland 83“, um gemeinsam neue Projekte zu entwickeln.
Wenn wir jetzt mal ins lineare Fernsehen schauen, dann waren Shows zuletzt ein bevorzugtes Mittel um insbesondere live eine Dringlichkeit zu erzeugen. Wie steht es um dieses Genre, das Fremantle ja sehr nahe ist?
Es begeistert die Menschen und schenkt Ihnen Ablenkung grad in so unübersichtlichen Zeiten wie diesen – und ist vitaler als je zuvor. Wir sehen bei immer mehr großen Sendern die Entwicklung der Programmierung weg von Sendeplätzen für Serien hin zu non-fiktionaler Unterhaltung. Damit entgeht mancher der Materialschlacht der teuren Drama-Serien und fokussiert sich auf ein Genre, das sehr lokal ist, weil es von lokalen Akteuren und Talenten lebt. Shows sind lokal - und noch dazu mit einem variableren Preispunkt im Vergleich zu Highend-Fiction. Wir sind u.a. mit „Family Feud“ und „The Price is right“ in den USA einer der größten, wenn nicht der größte Gameshow-Produzent. Das hohe Volumen macht die einzelne Show dann natürlich günstiger. Die gleiche Formatidee lässt sich je nach Budget und Markt ökonomisch oder extravagant umsetzen.
Herr Richter, dann zum Abschluss noch die Frage: Was sind denn die Hotpicks von Fremantle International in diesem Frühjahr? Welche Programme stellen Sie gerade ins Schaufenster?
Im Drama-Bereich haben wir C*A*U*G*H*T “, eine mit Sean Penn and Matthew Fox unfassbar prominent besetzte Serie. „Lustig und laut“, produziert für STAN in Australien und ITV in UK. Dann „Nightsleeper“, eine Trainheist-Serie für die BBC, über die ferngesteuerte Entführung des Nachtzugs von Glasgow nach London. Hier sehen wir großes Interesse. „Platform 7“ ist eine Murder Mystery-Serie für ITV und „Sullivan’s Crossing“ ist ein Weekly Drama nach Bestseller-Vorlage. Hier haben wir einen TV-Partner in Kanada und inzwischen auch den USA, den wir in Kürze bekannt geben können. Viel Drama also. Im Factual-Bereich haben wir die Dokumentation „On the line“, die wahre Geschichte des Vaters von Serena und Venus Williams. Wir machen eine Doku über eine prominente Designerin, die wir schon bald ankündigen können und produzieren für Channel 4 den Dreiteiler „Evacuation“ über die letzten Tage der britischen Armee in Bagdad. Eine hohe Bandbreite. Und dann gibts auch ein neues Entertainment-Format namens „The Piano“, das um die Welt gehen wird. Da bin ich mir sicher.
Herr Richter, herzlichen Dank für das Gespräch.