Herr Merten, Herr Nasini, wie relevant ist eine internationale Fernsehmesse wie die MIPTV für Bavaria Entertainment? Sie produzieren hauptsächlich für die Öffentlich-Rechtlichen, da sind eingekaufte Formatideen meistens eher verpönt, so scheint es mir.

Arne Merten: Verpönt nicht, aber öffentlich-rechtliche Sender setzen nicht nur auf Lizenzformate, sondern auch auf Eigenentwicklungen. Dafür haben wir unser eigenes Development in Köln. Jetzt sind wir aber hier in Cannes um starke internationale Formate zu finden. Und die werden sowohl öffentlich-rechtliche als auch private Sender interessieren. Wir freuen uns auf den kreativen Austausch.



In Großbritannien laufen „The Voice“ oder „All together now“ bei der öffentlich-rechtlichen BBC. Wäre in Deutschland bei ARD und ZDF auf Anhieb schwer vorstellbar…

Alessandro Nasini: Das kommt auf das Format an. Auch wenn öffentlich-rechtliche Unterhaltung oft von Eigenentwicklung geprägt ist, suchen alle gemeinsam nach starken Shows. Ob Eigenentwicklung oder Lizenz. Wir sind mit der Bavaria Teil des internationalen Produzentennetzwerks Newen und tauschen uns regelmäßig untereinander aus, auch abseits von Messen wie der MIP TV. Das zu nutzen, ist für unsere Strategie bei Bavaria Entertainment eine ganz wichtige Säule neben dem eigenen Development. Wir haben diesmal ja auch eigene Formate mit zur Messe gebracht.

Welche sind das?

Arne Merten: Ganz aktuell im Gepäck haben wir unsere Quizshow „Da kommst du nie drauf!“, unsere ZDF Upcylingshow „Mach was draus“ und als Factual-Perle, international immer wieder gerne gekauft, unsere Promi-Schaf-Show „Mit Bock durchs Land“. Läuft jetzt übrigens bald auch in Spanien.

Achtung, die Königsfrage: Gibt es Trends in der non-fiktionalen Unterhaltung?

Alessandro Nasini: Das letzte große Hitformat, das in Cannes gefeiert wurde, war „Rising Star“ und der frühe Jubel war danach allen eine Mahnung. Ich würde sagen: Alles diversifiziert sich und die Trends stehen dem in nichts nach.

Jaja, aber so leicht kommen Sie mir damit nicht durch. Ich versuchs nochmal: Gibt es denn Verlagerungen beim Appetit der Sender? Oder wird 2019 das Gleiche gefragt wie vor zwei oder drei Jahren?

Alessandro Nasini: Gefragt ist sicher Factual Entertainment. Und da gilt es, die Lebensrealitäten der Zuschauerinnen und Zuschauer zu zeigen. Ich würde sagen: Von Dating haben wir schon einiges gesehen. Jetzt geht es nochmal um Geld-Fragen, Gesundheit oder juristische Beratung. Coaching, aber auch ganz neue Erzählformen. Von großen Trends würde ich dennoch nicht reden. Es geht darum bewährte, relevante Stoffe neu und selbstverständlich maximal unterhaltsam zu erzählen.

Arne Merten: Das mit den Trends ist so eine Sache. Wir hören ja auch jedes Jahr in Cannes „Kochen ist tot“ - und dann gibt es mehr Kochformate als jemals zuvor.

Alessandro Nasini: ARD und ZDF suchen weiterhin die große Umarmung des Publikums. Unterhaltung, die alle anspricht, gewisse Erwartungen erfüllt. Shows, die überraschen, aber auch ein vertrautes Gefühl vermitteln.

Sie arbeiten schon viel für ARD und ZDF, weit weniger für die Privatsender. Kann das so bleiben?

Arne Merten: Wir haben ein starkes Standbein bei den Öffentlich-Rechtlichen und auch einige Marken bei den Privaten, aber es bleibt natürlich eine der Hauptaufgaben, dort die Ausbeute zu verbessern.

Gibt es eigentlich noch Hoffnung auf Shows, in denen keine Fragen beantwortet werden müssen?

Alessandro Nasini: Was haben Sie denn gegen Quiz?

Es ist allgegenwärtig und oft austauschbar.

Alessandro Nasini: Quiz ist erfolgreich. Das kann man nicht wegreden, und wir können und wollen nicht an der Nachfrage vorbei produzieren. Natürlich hat ein erfolgreiches Genre immer auch eine Kehrseite: Es raubt Sendeplätze für Experimente, von denen dann ggf. erwartet wird, direkt mit den bekannten und gelernten Quizshows mithalten zu können. Aber mit unserem neuen Creative Producer Chris Reuther, den wir von der btf zur Bavaria Entertainment geholt haben und unseren Executive Producerinnen Andrea Partscht und Verena Schueren wollen wir erklärtermaßen an neuen Showideen arbeiten.

Sie geben die Spielfreude bei Live-Shows also noch nicht auf?

Alessandro Nasini: Wir arbeiten weiterhin auch an Event-Shows. Sie spielen ja sicher auch auf „Das große Schlüpfen“ an, was in vielerlei Hinsicht lehrreich und schön war. Live-Shows zu kreieren, ist für uns absolut wünschenswert.

Arne Merten: Wir haben mit „Der beste Chor im Westen“ ja auch zum wiederholten Mal eine große Show ganz ohne Quizfragen für den WDR realisiert, die das Genre der Musikshows regional und emotional umsetzt. Und auch das Format lebt von der Live-Ausstrahlung.

Alessandro Nasini: Auf „Der beste Chor im Westen“ sind wir sehr stolz. Die Show gibt normalen Menschen, wie sie jeder in seiner Nachbarschaft oder Verwandtschaft kennt, eine große Bühne, was es auf natürliche Art sehr emotional macht. Und die Live-Ausstrahlung macht es zum Ereignis. Ich bin überzeugt, dass die Kraft des linearen Fernsehens genau darin liegt: In den Live-Events, die Macher und Zuschauer zeitgleich an etwas teilhaben lassen. Ich wünsche mir, dass mehr Sender auf diese Stärke des linearen Programms gegenüber On-Demand-Konkurrenten setzen.

„Da kommst Du nie drauf!“ wandert in komprimierter Form in den Samstagvorabend. Jubelt man da, wenn eine Primetime-Show zum Vorabendformat wird?

Alessandro Nasini: Bei der starken Marke freuen wir uns natürlich, wenn der Sender sich aktiv Gedanken macht, wie man die Marke erweitern kann. Die Primetime-Show läuft ja weiterhin am Mittwochabend. Und wenn wir mit „Da kommst Du nie drauf!“ fürs ZDF Pioniere am Samstagvorabend sein können, freuen wir uns auf die Herausforderung und die sechsteilige Staffel im Sommer. Das wird eine kürzere, schnellere Version ohne den Kern der Sendung zu verlieren. Ich glaube, es ist ein gutes Signal für alle Produzenten in diesem Genre, dass das ZDF am Samstagvorabend einen Sendeplatz für Shows öffnet.