Man muss Reed Midem gratulieren. Den Buzz, den der weltgrößte Messeveranstalter mit der Premiere von Canneseries auslöste, war durchaus beachtlich. Zahlreiche Medien weltweit berichteten über das neue Festival an der Côte d’Azur, das angesichts des großen Serien-Hypes den Nerv der Zeit zu treffen scheint. Und wer in den vergangenen Tagen durch Cannes schlenderte, kam an Canneserie ohnehin nicht vorbei: Fast kein Laden, dessen Front kein buntes Fähnchen zierte; kaum ein Restaurant, das sich keinen rosa Teppich vor die Pforte legte.
Tatsächlich gelang es Reed Midem, durch all die Promo-Power den Eindruck zu erwecken, Canneseries sei die Schwester des traditionsreichen Filmfestivals – dabei war es doch nur der Wurmfortsatz der MIPTV. Tatsächlich hat das neue Festival herzlich wenig gemein mit der Veranstaltung, auf die auch in wenigen Wochen wieder die Filmwelt blicken wird. Wer Glamour suchte, wurde nur selten fündig, was keineswegs nur auf das regnerische Wetter zurückzuführen ist. Und das war gewiss nicht das einzige Dilemma.
Auch in den vergangenen Jahren hatte die Fernsehmesse vor dem Hintergrund der wachsenden Bedeutung von Serien diverse Screenings integriert. So gesehen war das Zeigen neuer Produktionen alles andere als neu. Anders als bisher entschieden sich die Messeveranstalter nun aber dazu, einen großen Wettbewerb auszurufen und die Vorführungen auch der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dadurch waren die Veranstaltungen zwar gut besucht, doch ein großer Teil der Fernsehmacher, die nach Cannes gekommen waren, um Geschäfte zu machen, war vom zusätzlichen Trubel schnell genervt.
So sorgte Reed Midem beispielsweise dafür, weite Teile des großen Platzes vor dem bislang der Messe vorbehaltenen Palais abzusperren, um Canneseries mit seinem unübersehbaren Pink Carpet ins rechte Licht zu rücken. Umwege und lange Gesichter unter Messebesuchern waren die Folge. Wer die Screenings verfolgte, musste wiederum unweigerlich die Frage stellen, ob die zehn Produktionen im Wettbewerb wirklich die Speerspitze der aktuellen Serienkunst bilden – gewiss keine leichte Beurteilung. Erst recht, wenn als Basis für die Wertung ausschließlich Pilotfolgen dienen.
Das gilt gewissermaßen auch für den deutschen Beitrag, die ZDF-Serie "Die Protokollantin" mit Iris Berben, die im Rahmen von Canneseries schon am Wochenende ihre Weltpremiere feierte. Gut produziert und gut besetzt, ja. Aber preisverdächtig? Als beste Serie machte letztlich das israelische Drama "When Heroes Fly" das Rennen, das im Dschungel Kolumbiens spielt. Immerhin konnte die ebenso kurzweilige wie kreative Preisverleihung, die am Mittwochabend von einem französischen Pay-TV-Sender live übertragen wurde, zumindest ein wenig für manchen Ärger der vergangenen Tage entschädigen.
Was also bleibt von Canneseries? Nach Séries Mania und Série Serie hat Frankreich jetzt also ein weiteres Serien-Festival – eines, auf das wohl nur wenige ernsthaft gewartet haben, und dessen Stellenwert angesichts seiner stimmigen Konkurrenten bei genauem Hinsehen ziemlich gering ist. Dass in der Öffentlichkeit der gegenteilige Eindruck entstanden ist, ist vor allem ein Marketing-Coup der Veranstalter, die mit ihrer Festival-Premiere mehr Schein als Sein verursachten. Zumindest das war an Canneseries preiswürdig.