Herr de Mol, Ihre neue Reality-Show "Utopia" läuft erfolgreich in den Niederlanden und startet bald auch in den USA. Wie groß ist das internationale Interesse an dem Format?
Wir verhandeln momentan mit Sendern aus 15 Ländern. Aber das dauert seine Zeit, weil die "Utopia"-Logistik sehr kompliziert ist, der Produktionsaufwand und die Kosten sehr hoch. Das Format muss für jedes Land völlig neu budgetiert werden. Aber ich gehe davon aus, dass wir bis zum Sommer etwa zehn Länder mit unterschriebenen Verträgen haben werden.
Ist Deutschland auch dabei?
Auch in Deutschland führen wir Gespräche, aber ich fände es unseriös, zum jetzigen Zeitpunkt mehr dazu zu sagen. Für mich ist ein Deal erst dann ein Deal, wenn er ausverhandelt und unterschrieben ist. Grundsätzlich kann ich mir "Utopia" im deutschen Markt gut vorstellen. Schließlich war auch "Big Brother" dort ein Riesenerfolg.
Mal abgesehen von "Promi Big Brother" im vorigen Jahr...
Na ja, das zählt nicht. Ich glaube sowieso nicht an Promi-Versionen von "Big Brother" oder "Utopia". Ich glaube an echte Menschen.
Was ist denn aus Ihrer Sicht das Erfolgsrezept von "Utopia"?
In den Niederlanden und vielen anderen Märkten gab es lange Zeit kein neues großes Reality-Format mehr. Mein Gefühl hat mir gesagt, dass es wieder an der Zeit ist. Wir machen bei Talpa jeden Montagabend mit unserem Kreativteam ein Brainstorming, diskutieren über aktuelle Trends und das, was in der Welt passiert. Dabei kehrte zuletzt ein Motiv in unterschiedlichen Ausprägungen immer wieder: Viele Menschen sind unzufrieden mit ihrem gegenwärtigen Leben, haben Zukunftsängste, fürchten Krisen und beklagen andererseits zu viele Regeln und Beschränkungen. Also haben wir uns gefragt: Wie wäre es, wenn wir 15 Menschen die Möglichkeit geben, eine neue kleine Welt zu erschaffen, in der sie alle Regeln und Gesetze selbst entwickeln? Ich war von Anfang an überzeugt, dass das interessantes Fernsehen liefern kann.
Einige niederländische Journalisten und Blogger halten das schlicht für "Big Brother 2.0".
Wenn jemand das so sieht – kein Problem! Hauptsache, er schaltet ein! (lacht) Ich sehe es nicht so. Ich glaube, "Utopia" ist nicht vergleichbar mit "Big Brother". Aber ich habe auch keine Lust und keinen Grund, mich zu verteidigen.
Was ist der größte Unterschied?
Bei "Utopia" liegt die große Unsicherheit für uns als Produzenten darin, dass wir viel weniger Eingriffsmöglichkeiten haben als früher bei "Big Brother". Bei "Big Brother" gab es Spiele und Aufgaben, wir hatten Gewinner und Verlierer. Wenn es ein bisschen langweilig wurde, konnten wir immer sagen: Jetzt machen wir ein Spiel! Dafür gab es bei "Big Brother" aber auch nicht die Notwendigkeit zu arbeiten und Geld zu verdienen, weil Essen und Trinken für die Bewohner immer da waren. Wenn sie hier bei "Utopia" nicht arbeiten, gibt es kein Geld und kein Essen. Dann haben sie ein Problem. Das ist der Grundmotor, der dafür sorgt, dass viel passiert.
Die Grundidee des Formats ist ja durchaus philosophisch. Inwieweit kann eine tägliche Reality-Show das überhaupt transportieren?
Wir haben in den ersten drei Monaten gemerkt, dass die Leute über die Mühen des Alltags manchmal vergessen, was ihre eigentliche Aufgabe ist – nämlich eine neue Gesellschaft zu entwickeln. Da hilft uns der Mechanismus, dass die Online-Community und die Bewohner von "Utopia" einmal im Monat einen neuen Bewohner rein- und einen alten rauswählen. Über diese neuen Leute kommt immer wieder neue Energie rein. Die haben die Show vorher im TV gesehen und sagen dann: Schämt euch! Ihr habt die Grundidee völlig aus den Augen verloren! Außerdem ist "Utopia" keine geschlossene Gesellschaft. Es gibt offenen Kontakt mit der Welt draußen. Die Bewohner sind zum Beispiel per E-Mail erreichbar, da bekommen sie viele Impulse und Kritik von den Zuschauern.
Für die US-Version, die im August bei Fox startet, sehen Sie also keinen großen Änderungsbedarf?
95 Prozent des Formats bleiben unverändert. Allerdings werden wir den Rahmen für die Bewohner zu Beginn nicht mehr ganz so luxuriös gestalten: Statt 10.000 Euro Startkapital hier in Holland werden es dort wahrscheinlich 5.000 Dollar. Und die Kiste, in der sie persönliche Gegenstände mitbringen dürfen, wird auch ein ganzes Stück kleiner.
"Meine großen Erfolge waren allesamt
Formate, bei denen die Sender am Anfang
gesagt haben: Muss das sein?"
John de Mol
Ist der Bedarf an neuen Reality-Formaten in anderen TV-Märkten denn wirklich so groß wie in den Niederlanden?
Wenn ich mit meinem Kreativteam über neue Ideen nachdenke, dann fragen wir uns nie: Welcher Markt hat welchen Bedarf? Wenn man ein wirklich originelles und einzigartiges Konzept entwickelt, gibt es immer einen Bedarf dafür. Meine großen, weltweiten Erfolge waren allesamt Formate, bei denen die meisten Sender am Anfang gesagt haben: Muss das sein? Oder auch: Daran glauben wir nicht! Natürlich sind TV-Sender grundsätzlich eher risikoscheu. Nach meiner Erfahrung kommen die ganz großen Erfolge fast immer aus einer Ecke, die keiner erwartet.
Diese Risikoscheu der Sender, verbunden mit erheblichen Einsparungen, hat sich zum Leidwesen vieler Produzenten in den letzten Jahren noch verstärkt.
Das ist halt die Infrastruktur von privatem Fernsehen. Das ist ein Geschäft und kein Kulturinstitut. Aber besonders in großen Märkten – und dazu zählt Deutschland – ist die Bereitschaft zum Risiko tatsächlich sehr gering ausgeprägt. Gleichzeitig wächst das Bedürfnis nach bezahlbarem Programm, das seinen Erfolg schon woanders bewiesen hat. Davon profitieren wir, ehrlich gesagt, denn unsere Position in Holland ist einzigartig. Wir haben bei Talpa ein ausgezeichnetes, erfahrenes kreatives Team. Ich habe über 30 Jahre Fernseherfahrung, die nötige finanzielle Kraft und Zugang zu drei Fernsehsendern, um neue Ideen auszuprobieren. Wenn es dann funktioniert, komme ich mit einem erprobten Format um die Ecke.