Erst die Corona-Pandemie, dann der Ukraine-Krieg mit der noch immer anhaltenden Wirtschaftskrise - und nun auch noch ein neuer Kriegsschauplatz in Nahost. Die Welt ist, so scheint es, im Dauerkrisenmodus, und mit ihr auch die Wirtschaft. Euphorie und Aufbruchstimmung sind vor diesem Hintergrund wohl kaum zu erwarten, wenn sich die Fernsehbranche in den kommenden Tagen wieder in Cannes trifft, um im Umfeld der MIPCOM Geschäfte zu machen und Kontakte zu knüpfen. 

Markus Schäfer © ZDF Studios Markus Schäfer
"Die Gesamtsituation ist derzeit herausfordernd und geprägt von wirtschaftlichen und politischen Unsicherheiten", fasst Markus Schäfer, Geschäftsführer von ZDF Studios, die Lage zusammen und zählt gleich eine ganze Liste an Fakoren auf, die das Distributionsgeschäft derzeit beeinflussen. "Kriegerische Auseinandersetzungen in der Ukraine und Israel, die unklare politische Lage in den USA, anhaltende Inflation und explodierende Zinsen, sinkende Werbe- und Aboerlöse bei privaten Sendern und Streamern, Akzeptanz- und Finanzierungsfragen bei öffentlich-rechtlichen Sendern in Europa, Entlassungswellen und Umstrukturierungen bei Geschäftspartnern führen zu einer Zurückhaltung bei Investitionen und eingefrorenen Budgets." 

Zudem halte der Wandel von klassischen linearen Sendern hin zu digitalen Verbreitungsformen unvermindert an. Auf diese Weise erkläre sich, warum der Distributionsmarkt in einer Phase des Umbruchs und der Konsolidierung ist. Auch die meisten Streamer befinden sich aktuell in einer Konsolidierungsphase. Weil diese ihre Investitionen in Content erheblich reduzieren, bleiben aktuell viele Programme unverkauft. Und nicht nur das: "Gleichzeitig beginnen die Streamer ihrerseits, ihre Originalproduktionen im Markt anzubieten, was das Überangebot weiter verstärkt", sagt Schäfer.

Oliver Bachert © Beta Film Oliver Bachert
Aus Sicht von Oliver Bachert, Chief Distribution Officer bei Beta Film, war die aktuelle Entwicklung lange erwartbar. "Die letzten Jahre haben international sehr viele Programmstunden auf den Markt gespült, die nicht immer qualitativ überzeugt haben", stellt er gegenüber DWDL.de klar. "Eine Konsolidierung des Marktes ist deshalb überfällig, denn die Ressourcen sind begrenzt: finanziell bei Sendern und Plattformen, bei der Verfügbarkeit der Kreativen und auch in Bezug auf das Zeitbudget der Zuschauer und Zuschauerinnen."

Sascha Schwingel © MG RTL D / Boris Breuer Sascha Schwingel
Für Sascha Schwingel, der in seiner neuen Position als CEO der UFA nach Cannes reist, könnte sein erster Aufschlag gewiss einfacher sein. "Wir erleben eine kreativ spannende und unternehmerisch fordernde Zeit", sagt er. "Denn inzwischen sind auch alle globalen Streamer im deutschsprachigen Markt angekommen. Der Wettbewerb um Zuschauer und Nutzer bleibt intensiv. Entsprechend ausgeprägt ist die Nachfrage an außergewöhnlichem Programm in hoher Qualität bei weiter wachsender Videonutzung." Das sei zwar eine gute Nachricht für Kreativhäuser wie die UFA, doch Schwingel sieht gleichzeitig auch ein "hohes Kostenbewusstsein aller Player in einem wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich unsicherem Umfeld". Der Gegenwind sei für alle deutlich spürbar.

Claire Jago © Banijay Claire Jago
Wie geht's für die Branche also weiter? Trotz aller Krisen gibt es dieser Tage auch optimistische Aussagen zu hören. Etwa von Claire Jago, EVP Sales & Acquisitions EMEA bei Banijay Rights. "In Anbetracht der Produktionskosten und der steigenden Inflation gibt es natürlich Herausforderungen für alle, die weltweit im Vertriebsgeschäft tätig sind", sagt sie auf DWDL.de-Anfrage. "Wir bei Banijay sind jedoch in der glücklichen Lage, über starke Marken und einen umfangreichen Multigenre-Katalog von Titeln zu verfügen, der uns dabei hilft, alle größeren Herausforderungen des heutigen Marktes zu meistern." Zudem sei man "äußerst anpassungsfähig", betont Jago, die sowohl im Scripted- wie auch im Unscripted-Bereich noch immer einen Bedarf ausmacht. Zudem hätten einige High-End-Factual-Shows inzwischen genauso hohe Produktionsbudgets wie fiktionale Titel.

Nick Percy © BBC Studios Nick Percy
Auch Nick Percy, President Global Markets bei BBC Studios, sieht eine "nach wie vor große Nachfrage nach unverwechselbaren, hochwertigen Inhalten" und verweist im Gespräch mit DWDL.de nicht nur auf die Zusammenarbeit mit globalen Partnern, sondern auch auf "enge und langfristige Partnerschaften mit lokalen Partnern". Dadurch bestehe die Möglichkeit, die Aktivitäten zu verstärken. Als Beispiel dafür nennt Percy die neue Serie "The Famous Five", bei der das ZDF kürzlich als Koproduzent eingestiegen ist.

Auf dem Lerchenberg, bei ZDF Studios, übt sich auch Markus Schäfer in Zweckoptimismus. Lizenzkäuferinnen und -käufer suchten derzeit vor allem "sehr passgenaue Programme, die möglichst risikoarm" seien. "Unser ZDF-Studios-Katalog bietet hier eine Menge geeigneter Programme, sodass wir uns dem aktuellen Abwärtstrend des Marktes in gewissem Umfang entziehen können." Lichtblicke gebe es zudem im Entertainment-Bereich, wo Schäfer ein wachsendes Interesse an klassischen Formaten ausgemacht hat, sagt er etwa mit Blick auf "Wetten, dass..?". Dass sein Haus in den vergangenen Jahren im Kinderbereich in verschiedene Sprachfassungen investiert habe, erschließe zudem gerade jetzt international neue Marktchancen. "Wir bieten ein One-Stop-Shopping gedubbter Programme auf geringerem Preisniveau als wichtige Alternative zu einer teuren Neuproduktion zuzugüglich Sprachfassungskosten."

Im Fiktionalen wiederum entwickelt sich das Programmangebot aus Sicht von Beta-Film-Manager Oliver Bachert indes in zwei Richtungen: Auf der einen Seite Leuchtturmproduktionen wie "Estonia", eine Serie über das skandinavische Fährunglück, die hierzulande bei Seven.One zu sehen sein wird, oder auch die internationale ZDF-Koproduktion "Concordia", die auf der MIPCOM ihre Premiere feiern wird. Auf der anderen Seite wiederum Produktionen, die eher in den Bereich 'easy watching' fallen, wie etwa "Sisi" oder die ARD-Serie "WaPo Elbe", für die es großes Interesse aus Italien gebe.  

Auch der neue UFA-CEO gibt sich betont optimistisch und sieht gar den richtigen Moment, "um Genre-Grenzen zu verschieben und kreativ andere Wege zu probieren mit großer Lust darauf, neben der Weiterentwicklung unserer starken Marken auch Neues zu erfinden", so Sascha Schwingel. Die Voraussetzungen dafür seien gut. "Der Markt", sagt auch Oliver Bachert, "bleibt dynamisch. Langweilig wird es nicht." Zumindest daran besteht in diesen Tagen kein Zweifel.

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