Herr Welbers, Sie sprachen kürzlich in einem Interview mit „Blickpunkt:Film“ davon, die Branche sei in einer neuen Phase. Welche Phase ist das denn?

Wir haben gerade eine Phase des totalen Booms für fiktionale Programme hinter uns, in der alles umsetzbar  und allein der Fachkräftemangel dem Ganzen Grenzen zu setzen schien. Mit vielen neuen Plattformen, die sich erst einmal etablieren wollen, kamen auch Aufträge, die sicher mehr als Marketingausgabe für die Produkteinführung zu bewerten waren, denn als refinanzierbare Programminvesitition. 

Und das ist vorbei?

Jetzt spüren wir die Vorboten der Rezession, da braucht man gar nicht um den heißen Brei drum herum zu reden. Die zu erwartende Rezession wird auch ein größeres Problem für die Branche werden, als die Energiekrise es schon ist. Studio-Betreiber spüren sie möglicherweise auch schon. Wenn also einerseits die Kostenexplosion weiter geht, aber Auftraggeber gerade nicht mehr Geld investieren können, wird das dazu führen, dass Produzentinnen und Produzenten sagen: Dann müssen wir abbrechen, weil die Durchführung eines Projekts ein Verlustgeschäft bedeutet. Den einzigen positiven Aspekt, den diese Situation haben kann, ist der, dass die Bereitschaft wächst, miteinander zu sprechen und neue Modelle auszuprobieren.

Und bei diesen neuen Modellen wollen Sie mit der neugegründeten Bravado Media mitmischen?

Wenn man es ganz nüchtern betrachtet, gibt es in dieser sich abzeichnenden Situation nur zwei Möglichkeiten insbesondere für die Öffentlich-Rechtlichen als große Fiktion-Produzenten in Deutschland: Entweder sie lassen einfach schlicht weniger produzieren oder sie machen die Rechte-Debatte auf und erkennen an, dass Produktionen einen Wert haben, der über eine Ausstrahlung hinaus geht und belassen deshalb mehr Rechte an Serien und Filmen bei den Produzenten. Allerdings wissen viele Produzenten in dem Moment, wo ihnen die Türe zur Verwertung von Rechten aufgemacht wird, erstmal nicht unbedingt, wie sie die monetarisieren können. 

Sie können helfen, nehme ich an?

Dieses Knowhow anzubieten ohne direkt an einen Vertrieb gebunden zu sein, ist eine der Perspektiven für Bravado Media - positioniert zwischen Herstellung und Vertrieb von Fernsehproduktionen. Bei der Beta Film habe ich gelernt, anderen dabei zu helfen, etwas auf die Beine zu stellen und bei der ndF haben wir selbst viel auf die Beine gestellt, inklusive einem Projekt wie „Der Schwarm“. Ich habe mit der Zeit gemerkt: Dazwischen fühle ich mich am wohlsten. Ich muss nicht alles selber machen, möchte aber Stoffe an die ich fest glaube, realisiert sehen.

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Sie haben zwei internationale Töchter der ndF mehrheitlich übernommen. An welchen Projekten arbeitet Bravado Media derzeit?

Genau, wir legen nicht bei Null los sondern sind vom Start weg gut beschäftigt. In Italien sind wir mit der Viola Film auf der Seite des Service-Produzenten tätig und unterstützen dort drei laufende Leonine-Projekte. In Italien sind wir führender Partner für deutsche Produktionen und wollen dort in Zukunft auch noch einen Schritt weiter gehen und amerikanische Produktionen vor Ort unterstützen. Aber wir produzieren auch selbst, unsere zweite Serie „Everybody is perfect“ bzw. mit italienischem Titel „Avvocato Malinconico" feiert an diesem Donnerstag bei RAI Premiere. Bei unserer belgischen Tochter Bravado Fiction stehen wir noch eher am Anfang, arbeiten da jetzt mit Jan Theys zusammen, den man in Deutschland u.a. für seine Serie „Undercover“ kennt. Da sind wir in der Entwicklung von „On the Ropes“ für Canal+ in Frankreich. Das beschäftigt mich gerade sehr und ich merke, ich kann viele der Erfahrungen, die wir mit „Der Schwarm“ gesammelt haben, nutzen. Auf der Koproduktionsseite haben wir das RAI-Projekt „Stranded“, wo wir eine Gap-Finanzierung übernommen und Mediawan als Distributor an Bord geholt haben. Die Hauptrolle spielt mit Rike Schmid eine deutsche Schauspielerin.

Und es ist trotzdem kein Europudding?

Nein, das kommt nicht aus der alten Denke der europäischen Koproduktionen, die besetzt wurden, weil aus den Heimatterritorien der Schauspieler Geld geflossen ist. Es passte hier viel mehr sehr gut zur Story von „Stranded“, über die ich jetzt nicht zu viel verraten will. Rike Schmid spricht auch italienisch. Das war eine inhaltliche Entscheidung, die von allen begrüßt wurde. 

Koproduktionen oder Verkäufe zwischen Deutschland und Italien bzw. Frankreich gibt es häufiger, selten aber mit Spanien. Warum eigentlich?

Spanisch ist wie Englisch eine Weltsprache und eröffnet schon ohne Koproduktion einen Weltmarkt. Das ist mit Italienisch anders. Da gibt es eine lange Tradition des Austauschs zwischen dem deutschen und italienischen Fernsehen. In Italien lief vor Jahrzehnten schon „Derrick“ hoch und runter und bei uns wiederum „Allein gegen die Mafia“. So etwas gab es nicht mit Spanien. „Derrick“ lief dort nie. Wir waren damals mit der Beta und dem Verkauf von „Kommissar Rex“ die Ersten in Spanien. Die Krimi-Kultur ist in Italien einfach auch ausgeprägter als dort. Dabei wäre es verlockend eine intensivere Zusammenarbeit hinzubekommen, denn die Affinität der Deutschen zu Spanien gibt es ja. Ich könnte mir bpsw. Kooperationen und Koproduktionen wie wir sie mit „Sophie Cross“ mit Frankreich und Belgien umsetzen, auch für den spanischen Markt gut vorstellen.

Was ist eigentlich die deutsche Qualität, die bei Koproduktionen für Partner so attraktiv ist?

Neben dem Geld? (lacht) Da gibt es mehrere Antworten. Es ist natürlich auch das Geld, weil wir der größte Fernsehmarkt in Europa sind. Aber viel entscheidender ist für viele Partner die Tatsache, dass kaum ein Markt so effizient produzieren kann wie Deutschland. Warum? Das hat auch damit zu tun, dass wir keinen Tax Credit haben. Bei uns gibt es eben keine Incentivierung für höhere Budgets. Das führt zu mehr Kostendisziplin bei den Produktionen.

Moment, Sie würden sich demnach keine Incentivierung von Produktionen in Deutschland wünschen?

Ich möchte es mal so sagen: Man kann nicht alles haben. Tax Incentivierung ist eine Wirtschaftsförderung und wir haben sie in Deutschland bereits in einem europaweit nicht vergleichbaren Ausmaß über das starke öffentlich-rechtliche Fernsehen, das mit enormen Budgets in die deutsche Kreativwirtschaft investiert. Wenn jetzt ein Tax Credit käme, wer würde ihn denn bekommen? Geht das Geld dann wirklich zusätzlich in die Produktionen? Oder kassieren den Auftraggeber, die dafür ihre Investitionen kürzen? Wenn die Produktionslandschaft mit direkten Steuergeldern unterstützt würde, gäbe es sofort die Debatte, ob man dann nicht bei ARD und ZDF sparen könne, was am Ende für die Auftragslage im besten Fall ein Nullsummenspiel wäre.

 

"Es wäre falsch zu behaupten, wir bräuchten Tax Incentives um wettbewerbsfähig zu sein."

 

Interessante Betrachtungsweise, ungewöhnlich.

Natürlich gibt es Produzenten, die das anders sehen. Aber de facto funktioniert unser Markt doch. Es wäre falsch zu behaupten, wir bräuchten Tax Incentives um wettbewerbsfähig zu sein. Um die deutsche Effizienz werden wir beneidet, die Studios sind ohnehin voll und der Fachkräftemangel jetzt schon ein Problem. Ich persönlich sehe deshalb keinen Grund über fehlende Tax Incentives zu klagen. In kleinen Ländern ist das was anders. Natürlich locken die damit, weil sie so überhaupt erst Knowhow, Produktionen und Auslastung erreichen. Und auch in Italien beauftragt die RAI nicht mehr viel, Mediaset gar nix mehr. Da müssen dann Steuergelder her, wenn man Projekte umgesetzt sehen will. 

Internationale Koproduktionen werden in Deutschland oft für die Mediatheken, die Sparte oder den späten Abend produziert. Es wirkt so als hätten sie nicht den gleichen Ruf wie originär deutsche Produktionen. Oder ist das ein falscher Eindruck?

Nein, da ist was dran. Wir haben in Deutschland nach wie vor die Besonderheit des TV-Movies, der viele Sendeplätze dem Seriellen nimmt. In Italien werden TV-Movies wiederum eher als ineffizient bewertet, weil zu viel Geld für nur einen Abend ausgegeben wird. Aber das deutsche Publikum insbesondere von ARD und ZDF hängt sehr an Gewohnheiten und die werden eher selten aufgebrochen, um auch mal Platz zu machen für ungewöhnliche Programme, insbesondere Serien. Und gerade bei Koproduktionen wird entweder spät am Abend oder gleich für die Mediathek produziert. Da gibt es immer noch einen Hemmschuh, weil man es sich noch leisten kann, jeden Abend originär allein produziertes Primetime-Programm zu zeigen. Andere Länder haben schon früher erkannt, dass Koproduktionen ihnen Primetime-fähige Programme liefern, die bei geteilten Kosten eben günstiger sind. Wir reden von prestigeträchtigen Programmen, nicht altem Euro-Pudding. Eine kleine Hürde gibt es aber tatsächlich.

Welche?

Deutschland ist immer noch Synchronisationsland und bei internationalen Koproduktionen muss dann viel synchronisiert werden. Aber es hat sich was getan, die Lust auf Originalversionen ist größer geworden. „Der Schwarm“ haben wir zu 70 Prozent auf englisch und den Rest in den jeweiligen Sprachen der Charaktere gedreht. Wahrscheinlich wird es dann auch beim ZDF zwei Versionen geben: Die komplett synchronisierte und die Originalfassung, bei der Untertitel zum Einsatz kommen. Im Ausland wiederum helfen dann solche Projekte auch, um mehr Offenheit für die deutsche Sprache zu erreichen.

Der Schwarm © ZDF Studios Haben "The Swarm" in Cannes beim ZDF Studios-Empfang vorgestellt: Eric Welbers, Markus Schäfer und Frank Doelger

Was wird beim „Schwarm“ eigentlich schwieriger: Die Erwartungen in Deutschland oder im Ausland an dieses europäische Mammut-Projekt zu erfüllen?

Ganz sicherlich die Erwartungen in Deutschland, weil es an dem Bestseller gemessen wird, dessen Kern die Leserinnen und Leser begeistert hat und dem die Serie in nichts nachstehen wird. Der Sog dieser Geschichte und der Spiegel, den wir vorgehalten bekommen, ist nur noch aktueller geworden. An vielen Stellen haben wir die Geschichte deshalb auch aktualisiert. Ein so erfolgreiches Buch lässt über all die Jahre die Fantasie der Leserinnen und Leser schweifen, die sich alle ihr eigenes Bild von „Der Schwarm“ gemacht haben. Diese Vorstellungen müssen wir mit unserer Interpretation einfangen. Ich weiß natürlich, dass das nie bei allen gelingt.

Ist der Erfolg dann jetzt nur eine Frage des Budgets für die Visualisierung?

Nein, natürlich nicht.

Aber sonst fängt es ja oft mit der Frage an: Interessiert das Thema? Und kann das Buch überzeugen? Die beiden Fragen sind mit dem Bestseller von Frank Schätzing beantwortet. Deswegen die Frage, ob der Erfolg der Serie jetzt nur eine Frage des Budgets ist…

Nein, die erste Staffel von „Game of Thrones“ hatte mit Abstand das niedrigste Budget der Serie und wir wissen alle, was aus dieser Serie geworden ist. Würde heute jemand sagen, dass die erste Staffel schlechter ist als die letzte? Ganz bestimmt nicht, oder? "Der Schwarm" lässt sich nicht über das Budget definieren. Aber es war wichtig, diese Geschichte unter Wasser erzählen zu können und das braucht Technik und Geld, um das so sehenswert umzusetzen, ebenso bei den Desastern. Wäre die Serie besser geworden, wenn man das Budget nochmal verdoppelt hätte? Ich glaube nicht. Also stolz auf das Budget… das klingt falsch. Aber ich bin stolz, dass wir wahrscheinlich im Budget bleiben (lacht)

Also findet man es ganz gut, wenn davon geredet wird, dass es die teuerste deutsche Serienproduktion wird? Oder zuckt man kurz zusammen, angesichts der damit geweckten Erwartungshaltung?

Da überwiegt der Stolz, dieses Projekt mit einer langen Vorgeschichte jetzt realisiert zu haben und das mit vier ausländischen Partnern, die an einen deutschen Bestseller glauben. Aber das Thema ist einfach global. Ich denke auch, dass die Serienadaption diesem Buch viel gerechter wird als ein Kinofilm es hätte sein können und ich freue mich mit dem ZDF einen Partner gefunden zu haben, der genau das erkannt hat. Für das ZDF kommen wir damit auch zur richtigen Zeit. Es begeistert mich zu sehen, wie umfassend das ZDF den "Schwarm" begleiten wird, mit allein fünf Dokumentarfilmen rund um die Geschichte. Das wird ein großer Aufschlag im nächsten Jahr. 

Herr Welbers, herzlichen Dank für das Gespräch.