Herr Berben, wir erreichen Sie in Los Angeles. Was beschäftigt Sie dort?

Ich komme gerade aus einem Geschäftsführer-Meeting bei Upgrade Productions, unserer neuen US-Firma, die wir Anfang des Jahres zusammen mit Matt Brodlie und Jonathan Kier gegründet haben. Es ging um die ersten vier internationalen Serienprojekte, die in Japan, Südamerika, Spanien und Polen in Vorbereitung sind und die auf der MIPCOM vorgestellt werden. Es bedarf etlicher Abstimmungen, weil Upgrade bei diesen lokalen, nicht-englischsprachigen Projekten als Koproduzent die weltweiten Rechte außerhalb des jeweiligen Heimatmarkts übernimmt und dann TV- oder Streaming-Partner aus anderen Teilen der Welt dazu bringt. Außerdem beschäftigt mich die Pre-Production von "Smilla's Sense of Snow". Parallel zu den Streaming- und TV-Aktivitäten in den USA stehen wir mit "In the Lost Lands", einer großen englischsprachigen Kinoproduktion nach dem Roman von George R.R. Martin, unmittelbar vor Drehbeginn in Europa.

Entwicklung und Verkauf aus LA heraus, Umsetzung in Europa – ist das Ihr neues Erfolgsrezept, um internationale Serien möglichst groß aufzusetzen?

So neu ist das gar nicht, jedenfalls nicht im Kinobereich. Denken Sie an die großen internationalen Stoffe der Constantin Film wie "Der Name der Rose", "Das Parfüm", "Die Päpstin", "Monster Hunter", "Resident Evil". Es gehörte schon immer zur DNA der Constantin, auf großer internationaler Ebene zu produzieren. Insofern verstärken wir jetzt die logische Weiterentwicklung des Konzerns in Richtung der europäisch-internationalen Serie. "Smilla" hat im Januar Drehstart, momentan findet die Vorbereitung in Dänemark, Island und Osteuropa statt. In Tschechien drehen wir "Hagen" und in Italien laufen die Vorbereitungen für die Roland-Emmerich-Serie "Those About to Die".

Nach welchen Kriterien wählen Sie Entwicklungs- und Drehort aus? LA fürs Prestige, Europa fürs günstigere Produzieren?

Smilla's Sense of Snow © Constantin Film 1997 als Film, jetzt als Serie: Constantin legt "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" neu auf
Nehmen wir "Smilla's Sense of Snow" und "Those About to Die" als Beispiele – beide englischsprachig, beide über LA aufgesetzt. Da spielt einerseits die inhaltliche Komponente eine Rolle: "Smilla" spielt nun mal in Skandinavien und Nordeuropa, der Gladiatoren-Stoff im alten Rom. Wenn man näher an die Originalumgebung herangeht und nicht alles künstlich nachbauen muss, wirkt sich das positiv aufs kreative Ergebnis aus. Aber natürlich geht es immer auch um die Kosten. Selbst unsere US-Produktionen, die in Amerika spielen, werden meist außerhalb der USA gedreht. Man bekommt fürs gleiche Budget deutlich mehr Production Value auf den Screen, wenn man beispielsweise in Osteuropa statt in Amerika dreht. Wir haben zuletzt sehr gute Erfahrungen in Krakau gemacht. "Der Palast" war unser erstes Projekt dort, gefolgt von den US-Filmen "Perfect Addiction" und jetzt gerade Paul W.S. Andersons Fantasy-Verfilmung "In the Lost Lands". Da gibt es hervorragend ausgebildete Crews, eine sehr gute Infrastruktur und ein Fördersystem, das zuverlässig funktioniert.

Aber US-Partner und globale Streamer lassen sich in LA vermutlich besser gewinnen als von München aus, zumal für englischsprachige Projekte?

Wenn Sie die Projekte hier in den USA entwickeln, haben Sie den großen Vorteil, dass Sie schon zum Zeitpunkt der Entwicklung viele Gespräche mit möglichen Auswertern führen können, die alle hier vor Ort sind. Für "Those About to Die" hat die High End Productions, ein Produktionsunternehmen von Herbert Kloiber zusammen mit der Constantin Film, die gesamten europäischen Rechte erworben. AGC hat in Los Angeles Peacock als Domestic-Auswerter gewonnen. Und was Internationalität und Sprache angeht, gibt es nach wie vor eine simple Regel: Man kann größere, teurere Projekte realisieren, wenn sie von vornherein für den internationalen Markt angelegt sind – und wenn sie dazu noch auf Englisch gedreht werden, steigt in den allermeisten Fällen die Chance auf Verwertung in möglichst vielen Ländern. Daran hat sich trotz aller Vielsprachigkeit bei den Streamern nicht viel verändert.

 

"Die großen Streamer werden nicht mehr alles für immer kaufen können, weil es für sie finanziell nicht mehr zu stemmen ist"
Oliver Berben, Stv. Vorstandsvorsitzender, Constantin Film

 

Sie haben eben schon das Modell der internationalen Koproduktion angesprochen. Sie scheinen bei Ihren Großprojekten mit Vehemenz auf viele Partner in verschiedenen Ländern zu setzen. Ist die Auftragsproduktion für eine einzige Plattform für Sie passé? 

Wir machen beides und verschließen uns erstmal keinem Modell. Aber es liegt quasi in den Genen der Constantin, dass wir Rechte kreieren und behalten wollen und müssen. Und das widerspricht nun mal Buyout-Deals, egal ob sie mit Streamern oder Fernsehsendern geschlossen werden. Perspektivisch sehen wir Buyouts auf dem Rückzug, übrigens nicht nur bei der Constantin, sondern im gesamten Markt. Wir glauben vielmehr daran, dass die produzentische Kraft im Sinne aller Beteiligten – auch der Auswerter – besser eingesetzt wird, wenn die Produzenten wissen, dass sie für ihren eigenen nachhaltigen Erfolg arbeiten. So kommt man weg von dem alten Prinzip: Ich muss möglichst billig produzieren, damit ich einen hohen Deckungsbeitrag erreiche. Denn das Ziel sollte ja sein: Ich produziere so gut, dass sich mein Projekt hoffentlich oft und langfristig verkaufen lässt.

Das heißt auch, dass der Aufwand für Produzenten steigt.

Richtig. Die Tendenz geht derzeit eindeutig zu kleinteiligeren, auf verschiedenen Auswertungsformen basierenden Deals. Das kann sehr komplex werden, wenn Sie mit jedem Auswerter in jedem Territorium einen 40-seitigen Vertrag haben und alle unterschiedlich sind. Gerade für kleinere Produktionsfirmen wird das schwierig, weil sie den enormen Legal- und Finanzierungsbedarf gar nicht leisten können.

Aus Ihrer Sicht lohnt sich der Mehraufwand aber, weil Sie zum Partner auf Augenhöhe werden?

Mit der Augenhöhe ist das immer so eine Sache. Mit Unternehmen wie Amazon oder Apple jemals auf Augenhöhe zu verhandeln, ist angesichts der Größenunterschiede eher illusorisch. Aber man kann zumindest eine gewisse Gleichstellung im Sinne des Projekts erzielen. Man spricht nicht mehr nur im Verhältnis von Auftraggeber zu Auftragnehmer miteinander. Und bei allen großen Streamern, die nicht Amazon oder Apple heißen, also nicht Teil eines noch viel größeren Tech-Konzerns sind, ist ja absehbar, dass sie schlicht und ergreifend nicht mehr alles für immer kaufen können, weil es für sie finanziell nicht mehr zu stemmen ist, wenn sie eine gewisse Sättigung beim Abonnentenwachstum erreicht haben.

 

"Noch vor einem Jahr konnte fast jeder – Entschuldigung – jeden Mist produzieren und fand garantiert einen Abnehmer dafür"
Oliver Berben, Stv. Vorstandsvorsitzender, Constantin Film

 

Diese Sättigung schlägt schon auf den Markt durch, weil Netflix, Warner Bros. Discovery, Sony Pictures und andere ihre Eigenproduktionen reduzieren und Stellen abbauen. Kann man da als Produzent optimistisch bleiben, wenn es bald weniger zu produzieren gibt?

Ich bleibe beim Optimismus. Als Pessimist sind Sie in der Produktionsbranche falsch aufgehoben. Was Sie zutreffend beschreiben, würde ich nicht ausschließlich als Problem bezeichnen, sondern als gesunde Marktbereinigung. Das ist wie an der Börse: Wenn alle Kurse in einer Hype-Phase ganz oben sind, folgt irgendwann die notwendige Abkühlung. Seien wir ehrlich: Noch vor einem Jahr konnte fast jeder – Entschuldigung für die Formulierung – jeden Mist produzieren und fand garantiert einen Abnehmer dafür. Es war nicht mehr so wichtig, ein Drehbuch möglichst gut zu entwickeln – Hauptsache, es war schnell genug fertig, um das vorgegebene Drop Date eines Streamers einzuhalten. Das goldene Zeitalter des Streaming, von dem manche noch immer reden, ist längst vorbei. Es geht jetzt um den nächsten Schritt: Wie sieht unser Ökosystem nach Ende von Hype und Überhitzung aus? Wie können wir nachhaltige Entwicklungen anstoßen, die auf Jahre hinaus Bestand haben werden? Das Gute daran ist, wie gesagt, dass die großen Studios und Streaming-Dienste nicht mehr alles für immer verlangen werden. Daraus ergeben sich spannende neue Partnerschaften und Potenziale für Koproduktionen.

Gehen wir recht in der Annahme, dass Sie sich in LA auch den Kopf über die Zukunft von "Resident Evil" zerbrechen, nachdem Netflix Ihre Serienadaption nach nur einer Staffel abgesetzt hat?

Resident Evil © Netflix Zu weit weg vom Markenkern: "Resident Evil" als Netflix-Serie
Wir machen uns jetzt natürlich Gedanken darüber, was der nächste richtige Schritt für diese immer noch ikonische IP der Constantin sein wird. Mein persönliches Hauptanliegen bei der "Resident Evil"-Serie war nach der vorangegangenen Kinoproduktion von 2021 schlicht die Frage, wie stark die Marke noch ist. Immerhin reden wir ja von einem der ältesten Videospiele, und auch unsere Verfilmungen sind über 20 Jahre gelaufen. Insofern bin ich für die intensive Zusammenarbeit mit Netflix sehr dankbar. Denn wenn man sich von den Amerikanern eines gut abschauen kann, dann ist es das Auffrischen und Wiederbeleben von Marken. Wie stark die Marke "Resident Evil" noch ist, konnte man daran ablesen, dass die Serie bei Netflix auf Anhieb weltweit eingeschlagen ist.

In der Tat stand sie zu Beginn in vielen Ländern ganz oben in den Netflix-Hitlisten, ist dann aber recht schnell abgefallen. Was ist da schiefgelaufen? Und warum gibt es keine zweite Chance, wenn doch offensichtlich so viel Interesse bestand?

Am Ende muss man nüchtern feststellen, dass die Art und Weise, wie Netflix "Resident Evil" platzieren wollte, nämlich bewusst sehr stark im weiblichen Young-Adult-Segment, vom eigentlichen Kern der Marke zu weit weg war. Die Marke ist eben doch etwas älter und männlicher. Nach vorn gerichtet folgt daraus die spannende Überlegung, wie man es in den nächsten zwei bis drei Jahren schafft, die Zielgruppe vielleicht doch noch etwas zu erweitern. Wenn so ein Titel weltweit auf Platz 1 geht, liegt das ja an der IP, daran, dass so viele Menschen den Titel kennen und sehen wollen.

Haben Sie denn Netflix während der Entwicklung nicht darauf hingewiesen, dass Young Adult schwierig werden könnte?

Doch, natürlich. Wir haben ewige Gespräche zur Positionierung geführt. Deshalb hat es auch – neben der Pandemie – so lange gedauert, bis wir drehen konnten. Unser US-Chef Robert Kulzer und ich haben immer wieder gesagt: Ihr müsst euch genau überlegen, wo der Markenkern liegt und wie weit man sich von ihm entfernen kann. Auf Basis von 20 Jahren Kinoauswertung und über einer Milliarde Dollar Box Office haben wir ja recht gute Erfahrungswerte, wer ins Kino kommt und wer nicht. Es war aber der ausdrückliche Wunsch von Netflix, auszuprobieren, ob wir den Transfer der Marke hin zu einem jungen, weiblichen Publikum hinkriegen. Und ich will auch deutlich sagen: Ich finde den Versuch nicht strafbar. Unser Interesse geht jetzt logischerweise wieder stark in Richtung Kino, denn die wirtschaftlich interessantere Auswertungsform ist im Erfolgsfall immer die Kinoauswertung, gerade bei weltweiten Marken. Insofern sind wir gar nicht so unglücklich über die Situation.

Herr Berben, herzlichen Dank für das Gespräch.

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