Stereotypen, das wird bei aller Kritik oft verdrängt, waren ursprünglich Druckplatten zur Vervielfältigung von Wort und Bild, also wesensverwandt mit Klischees, die vorgestanzte Grafiken reproduzieren. Beides dient demnach der Erleichterung repetitiver Prozesse und hätte daher auch am Bildschirm ein besseres Renommee verdient als das, Vorgefertigtes bloß wiederzukäuen – wie bitte schön sollen Streamingdienste und Sender, nur ein Beispiel, islamischen Terrorismus glaubhaft darstellen, wenn nicht mit stereotypen Klischees?

Seit 9/11 ein Standardthema (inter)nationaler TV-Krimis, geht er folglich bei praktisch jedem Regisseur aufs Konto phänotypisch mittelsüdöstlicher Migranten mit Bärten. Selbst der Schablonen-Schredder Matthias Glasner hat mehrere davon im Serienpersonal, wenn er das neue Wahrzeichen seiner alten Heimat Hamburg zum fiktiven Angriffsziel macht. Ins Visier gleich dreier Ermittlungsbehörden gerät deshalb der afghanische Drogenbaron Gol Rahmani – ausweislich seiner Visage, Behaarung, Schlägertypen aber auch so was von terrorverdächtig, dass ihm die Polizei Landsmann Raza (Ivar Wafaei) als Spitzel unterjubelt.

Der Sohn eines verwitweten Professors, arbeitet trotz Einser-Abitur als Hilfskraft einer Flüchtlingseinrichtung, hat aber noch weit größere Sorgen: nach zerfeierter Nacht wird er wegen Drogenbesitzes verhaftet und droht neben dem Job seine Freundin zu verlieren, deren abgelaufene Duldung die BKA-Ermittlerin Holly (Elisa Schlott) und ihr BND-Kollege Gabriel (Jürgen Vogel) als Druckmittel einsetzen. Im Tausch gegen Straffreiheit für sich und Asyl für Sadia (Bayan Layla), setzen sie Raza auf etwas an, das zu Beginn jeder Episode des ARD-Sechsteilers „Informant“ konkretere Formen annimmt.

Die Elbphilharmonie wird darin zeitgleich mit einem Café attackiert. Alarmstufe Paris, das der IS am 13. November 2015 ebenso dezentral angegriffen hatte. Während ein neuntägiger Countdown Richtung Anschlag heruntertickt, erleben wir deutsche Sicherheitsbehörden also im Ausnahmezustand. Oder wie es der NDR gewohnt stereotyp im Untertitel seiner Koproduktion von Filmpool mit ARD-Degeto und dem norwegischen Sender NRK ausdrückt: „Angst über der Stadt“.

Wer sich jetzt noch daran erinnert, dass Glasner – dessen Kinodrama „Sterben“ gerade preisgekrönt wurde – mit seinem Hauptdarsteller nicht nur 2006 das überragende Vergewaltiger-Psychogramm „Der freie Wille“, sondern neun Jahre später die unterirdische Cop-Ballade „Blochin“ gedreht hat, könnte durchaus Angst hinter der Stirn kriegen. Immerhin spielt Jürgen Vogel Gabriel Bach, wie Jürgen Vogel jede Figur spielt: Ein liebenswerter Chaot mit fleckiger Vergangenheit, der beim Versuch, aus dem Dunkel ins Licht zu gehen überall aneckt, aber nie anhält.

Diesmal hat der Schmerzensmann des deutschen Krimis obendrein Gesundheitsprobleme. So hüftsteif, wie sein lebenswunder Cowboygang, sind allerdings auch Sätze wie „das Erste, was ich in dem Job gelernt habe, ist Haltung“ oder „je wohler er sich mit den Schweinen fühlt, desto besser wird er sich mit ihnen suhlen“. Raschelnde Drehbuchprosa, die mit seiner Doppelmimik aus mal traurigem, meist grimmigem Trotz um die Deutungshoheit billiger Klischees und haltloser Stereotypen kämpft.

Warum etwa der maulfaule Undercover-Cop mit tellergroßem Neonazi-Tattoo eine Geschichtsprofessorin (Claudia Michelsen) zur Frau hat, die nichts von seiner Parallelexistenz in der braunen Szene plus Beziehung zur – wie fast alle Frauen – bildschönen Rechtsrocksängerin Marion (Katharina Schlothauer) ahnt, ist da kaum weniger rätselhaft als eine Anwältin der Islamisten-Szene, die ihre Mandanten in High-Heels besucht, allen Ernstes „Asylantenheim“ sagt. Und merke: Wenn zwei sich um einen Revolver streiten, löst sich immer (immer (immer)) ein (Bauch-)Schuss.

All die Plattitüden sind jedoch rein formelle Makel einer verblüffend cleveren Thriller-Serie mit Courtroom-Aspekten zur Bürokratie-Kritik. Denn darüber hinaus gelingt es Glasner, das britische Original „Informer“ von Oscar-Gewinner Sam Mendes fesselnd einzudeutschen. Auch, weil sich andere an Vogels breitem (gern oberkörperfreiem) Kreuz vorbei ins Rampenlicht spielen. Ivar Wafaei etwa. Wie der afghanische Berliner seine Figur von Angst und Zweifel über Panik und Galgenhumor bis Euphorie und Rausch durch alle Aggregatszustände erzwungener Spitzel schlingern lässt – das ist einer ersten Hauptrolle absolut würdig.

Und bildet den impulsiven, ja fiebrigen Kontrast zum nüchternen Kompetenzgerangel, das die LKA-Chefin Kuhlenkampf (Gabriela Maria Schmeide) mit dem BKA-Macker Braun (Nico Holonics) und der BND-Amazone Triebel (Sabrina Ceesay) im Neonlicht kühler Kommandostände unter Tage spiegelausfechten. Auch dank der Musik von Sven Rossenbach und Florian van Volxem, die anstelle des genretypischen Manipulationstechno bei Gefahr mit nervösem Free-Jazz und bei Entspannung mit plödderndem Slow-Jazz arbeiten, atmet „Informant“ also doch eher einen Hauch „Homeland“, als andauernd „Blochin“ abzuhusten.

Da wirkt es sogar gerechtfertigt, dass die ARD zur Weltpremiere beim Filmfest Hamburg rund 500 Gäste plus Crew, Cast, Programmdirektorin Christine Strobl in die Elbphilharmonie geladen hatte. Auf großer Leinwand wirkt der wuchtige Stoff schließlich noch etwas eindrücklicher als am Flatscreen. Und die Stereotypen klischeeanfälliger Fernsehthemen wie Polizei, Terror, Flucht, Islam ein bisschen weniger lästig.

Der Sechsteiler "Informant – Angst über der Stadt" steht in der ARD-Mediathek zum Abruf bereit. Das Erste zeigt am 16. und 17. Oktober je drei Folgen ab 20:15 Uhr.