Manche Erwartungshaltungen hängen so hoch, dass sie fast nur enttäuscht werden können. Ikonische Marken wie Apple können ein Lied davon singen – wenn etwa die nächste iPhone-Generation bloß graduelle Verbesserungen statt revolutionär neuer Features aufweist. Was fürs Hardwaregeschäft gilt, trifft erst recht auf die Content-Sparte zu. Mit "Severance", "Slow Horses" oder "Silo" hat Apple TV+ die Latte für intelligente High-End-Serien extrem hochgelegt – und das zu einem Zeitpunkt, als andere Streaming-Anbieter längst auf der Kostenbremse standen und auf Mainstream-Kurs steuerten.
Dass man sich mit der Sondierung des deutschen Markts viel Zeit ließ und dazu die Apple-typische Geheimniskrämerei an den Tag legte, vergrößerte die Spannung nur noch. Vor diesem Hintergrund verwunderte es, als bekannt wurde, dass das erste heimische Original auf eine ganze Schar breit etablierter TV-Gesichter setzt. Die Prämisse von "Where's Wanda?" hätte freilich immer noch genug Potenzial für eine innovative Erzählung gehabt.
Immerhin war eine düstere Komödie in Aussicht gestellt, in der das spurlose Verschwinden der 17-jährigen Wanda Klatt (Lea Drinda) zu absonderlichen Aktivitäten ihrer besorgten Eltern führt. Denn Carlotta (Heike Makatsch) und Dedo Klatt (Axel Stein) fühlen sich von der Polizei in Gestalt der leitenden Kommissarin Michelle Rauch (Nikeata Thompson) nicht genug bei der Suche nach ihrer Tochter unterstützt, weshalb sie auf eigene Faust ermitteln. Als Wandas Pullover in einem Altkleidercontainer auftaucht, fangen Carlotta und Dedo an, die Häuser im Umkreis auszuspionieren. Erst mit dilettantischen Einbruchsversuchen, doch schon bald – als Mitarbeiter einer Elektrofirma getarnt – durch systematisches Verwanzen der halben Kleinstadt. Dabei werden sie Zeugen von allerhand ungeahnten Geheimnissen ihrer Nachbarn.
Gleich in den ersten Minuten des Achtteilers wird klar: Die Macher haben sich unheimlich viel vorgenommen, werfen so viele Bälle gleichzeitig in die Luft, dass selbst aufmerksame Zuschauer mitunter überwältigt sind. Leider fangen sie zu viele davon im weiteren Verlauf nicht wieder ein. Es mag daran liegen, dass der ursprüngliche Autor Zoltan Spirandelli ("Tatort", "Der letzte Bulle") mit seinem Writers' Room nach eigenem Bekunden eine Drama-Serie entwickelt hatte, die der Brite Oliver Lansley ("Flack", "Doctor Who") sodann gemäß Apple-Etikett zur "Dark Comedy" weiterverarbeitete. Jedenfalls wirkt das Ergebnis allzu oft wie Stückwerk, aus dem immer wieder originelle Einfälle hervorragen, die jedoch nicht stringent miteinander verknüpft sind.
Dass die Erzählung durch permanente wilde Zeitsprünge irgendwo zwischen Tag 0 und Tag 100 seit Wandas Verschwinden strukturiert ist; dass der jeweilige Tag nicht einfach per Schriftgenerator eingeblendet, sondern jedes Mal kunstvoll ins Realbild integriert wird; und dass Wandas Off-Stimme trotz ihres ungeklärten Verbleibs als allwissende, altkluge Erzählerin durch wesentliche Teile der Handlung führt, sind für sich genommen schöne Stilmerkmale. In ihrer Gesamtheit erzeugen sie jedoch ein überladenes Kuddelmuddel und nicht die offenbar beabsichtigte ironisch-distanzierte Märchentonalität. An erkennbare Genrevorbilder wie die Krimigroteske "Fargo" reicht "Where's Wanda?" nicht heran.
Das liegt auch daran, dass der Genre-Mix zwischen Komik, Emotionalität und Thrill selten mit Leichtigkeit, sondern oftmals bemüht und unentschlossen daherkommt. Wenn Carlotta und Dedo sich beispielsweise als Elektroinstallateure einschleichen und das selbst den unmittelbaren Nachbarn nicht komisch vorkommt, dann strahlt das den ungewollten Vibe von 80er-Jahre-Sketch-Comedy aus. Wenn Carlotta als verzweifelte Mutter in einer TV-Talkshow auf absurde Weise vorgeführt wird und dann vor laufender Kamera ausrastet, wirkt das zu unrealistisch, um zu berühren, und bei weitem nicht witzig genug, um die Fremdscham im Zaum zu halten. Erst in der zweiten Hälfte der Staffel kommt so etwas wie ein erzählerischer Sog auf, der neugierig macht auf die durchaus eigenwillige Auflösung von Wandas Geschichte.
Mit sichtbarer Liebe zum Detail und Sinn für Skurrilität setzen die drei Regisseure Christian Ditter ("Biohackers"), Tobi Baumann ("Faking Hitler") und Facundo Scalerandi ("How to Sell Drugs Online [Fast]") die fiktive Kleinstadt Sundersheim in Szene. Gegen die Schwächen im Drehbuch kommen weder sie noch das prominente Ensemble an. Insbesondere bei Makatschs und Steins Elternfiguren fragt man sich über weite Strecken, ob fühlende Wesen aus Fleisch und Blut oder slapstickhafte Knallchargen intendiert sind. Die Antwort fällt alle paar Minuten anders aus. Durchgehend stark behaupten sich dagegen Lea Drindas selbstbewusst-emanzipierte Titelfigur sowie Nachwuchsentdeckung Leo Simon als ihr liebenswert unverstellter Bruder Ole.
Mit einem Budget von über 20 Millionen Euro – das sind rund 2,5 Millionen pro 45-Minuten-Episode – dürfte "Where's Wanda?" wohl die teuerste deutsche Comedy-Serie aller Zeiten sein. Gemessen am Aufwand ist der Ertrag tatsächlich eher enttäuschend.
"Where's Wanda?", bei Apple TV+