Isolation ist Folter. Wer ohne Kontakt zur Außenwelt verbringen muss, wird mit der Zeit seltsam, kauzig, wenn nicht gar verrückt. Je länger, desto absonderlicher – da passieren dann die komischsten Dinge. „Ich bin jetzt seit über 130 Jahren hier“, sagt Igor zum Beispiel im Untergeschoss einer verlassenen Villa, als er dem sichtlich irritierten Eddie am Fuß knabbert, „das macht was mit einem“. Vor allem aber macht es was mit dem Angeknabberten, dass der Isolationshäftling nicht nur in seine Zehen, sondern Halsschlagader gebissen hat.

Deshalb wird besagter Eddie zur Titelfigur einer absolut außergewöhnlichen Gruselkomödie. „Der Upir“ ist nämlich eine Art Vampir auf Probe. Um wieder ein Mensch mit Spiegelbild zu werden, muss er dem ausgelernten Blutsauger 30 Tage, verteilt auf acht Folgen à 25 Minuten, zu Diensten sein. Und das ist von so absurder Albernheit, dass man nach ein paar Minuten bereits dringend wissen will, ob Regisseur Peter Meister („Das schwarze Quadrat“) womöglich alte Zehen geraucht hat, bevor er sich selber im Auftrag von Joyn die Drehbücher geschrieben.

Nach seiner ewigen Gefangenschaft im Keller eines Berliner Vorstadtanwesens öffnet die Maklerin des großstadtgestressten Eddie darin das Verlies, in dem der ausgehungerte Igor buchstäblich Blut leckt. Warum er sein Mittagessen nicht zum Vampir, sondern Upir macht, wird hier ebenso wenig vertieft wie die Bedeutung des merkwürdigen Wortes. Ist aber beides auch ein bisschen egal. Denn während der abgesetzte Boss einer Bande Blutsauger versucht, mithilfe seines Lehrlings in der lokalen Hierarchie erneut aufzusteigen, feuert Peter Meister ein Feuerwerk pfiffiger Ideen und Dialoge ab.

Alltagsuntote wie der abgerissene Kalle (Arnd Klawitter) haben darin Zahnerektionsprobleme. Der Geisterjäger Uwe (Bernhard Schütz) erforscht derweil an Eddies gebissenem, aber irgendwie lebendigen Kumpel Andi (David Scheid) die Geheimnisse des Vampirismus anno 2024, den Igors Langzeitliebe Thekla (Andrea Sawatzki) mit einer saftigen Ladung Sex versieht. Man sieht schon – Irrsinn schützt keinesfalls vor Prominenten. Im Gegenteil: manche lockt er förmlich an.

Während der Untoten-Azubi Fahri Yardim seine Lieblingsrolle als Fähnchen im Wind der schusseligen Selbstüberschätzung perfektionieren darf, wird Eddies Herr und Meister von Rocko Schamoni mit gelbem Gebiss im Luden-Pelzmantel verkörpert: ein verhinderter Popstar mit Telefonstreichfimmel, der am Hamburger Schauspielhaus so rigoros die Regeln des traditionellen Theaters zerdeppert, dass Doku-Soaps bei RTLzwei dagegen grimmepreiswürdig sind und Ballermannschlager blitzgescheit. Wobei dieser Vergleich nicht nur hinkt, sondern stolpert.

Denn „Der Upir“ mag ja mitunter billig aussehen; thematisch lose verknüpft mit Taika Waitits Vampir-WG-Groteske „5 Zimmer Küche Sarg“ und Jemaine Clements Anschlussserie „What We Do in the Shadows“, ist er ein fast dreistündiges Fest des elaborierten Dilettantismus, das weit mehr im Programm hat als populär besetzte Skurrilitäten. So wunderbar beleiläufig Pointen hier als Schlagfertigkeit verkauft werden, so bizarr die Serie bis in kleinste Nebensächlichkeiten Bedeutung suggeriert, so funkensprühend der Clash of Civilizations toter, halbtoter oder untoter Freaks und Geeks, Hipster und Loser gezeichnet wird – am hellsten funkelt die Serie, wenn sie vom Alltag dazwischen erzählt. Und damit zu Aenne Schwarz.

Ein gut gebuchter Film- und Fernsehstar, der als Ensemblemitglied renommierter Bühnen so virtuos die Regeln des traditionellen Theaters auslotet, dass „Der Upir“ eigentlich eine Nummer zu lachhaft ist für ihre Qualität. Einerseits. Denn andererseits setzt sie eben die gezielt zum Wohle seiner Erträglichkeit ein. Sobald die Burgschauspielerin am Tag vorm 41. Geburtstag ins Bild gerät, kriegt der Firlefanz plötzlich Substanz. Ihre Julie bildet nicht nur den Ruhepol des durchdrehenden Eddie; sie ruft die Erzählung im Alleingang zur Ordnung.

Als ihr Langzeitfreund das Gruselkabinettsduo Igor und Andi mit zur Überraschungsparty für Eddie bringt, klingen Fragen wie „hast nicht so Bock?“ oder „was hast’n du da für Vögel angeschleppt?“, als kämen sie direkt aus einer realen Berliner WG. Und als sie ihm mit der geballten Kraft ihrer Mimik klarzumachen versucht, dass der Sex gerade eben wohl doch nicht so dolle war, ist die vielleicht viertbeste Bettszene der Filmgeschichte.

Nicht, dass der Humor ringsum missraten wäre. Im Gegenteil. Andis Antwort am Esstisch zum Beispiel, sein Tattoo bedeute „Chinesisch für Japan“, ist wie Kalles Hinweis, mit der Höhensonne im Abstellraum habe er „früher Nazi-Vampire gefoltert“ brüllend lustig. So richtig famos wird „Der Upir“ jedoch erst, wenn sich Eddie auf einer äußerst authentischen GenZ-Feier als Boomer outet oder ein Polizist bei der Verkehrskontrolle „habt ihr gesoffen oder irgendwelche Rauschmittel konsumiert?“ fragt, als sei es mit versteckter Kamera gefilmt.

Wenn der verschrobene Kirmespunk des Wiener Bänkelsängers Voodoo Jürgens dazu durch den Aberwitz kriecht, zeigt sich also erneut, dass Deutschland doch Horror kann. „Der Upir“ reicht schließlich an „Oderbruch“ oder „Pauline“ heran, die Schockelemente zuletzt als Vehikel anderer, oft größerer Themen eingesetzt haben. Im komödiantischen Fach gelang das zuletzt Marvin Krens Berliner Zombiefilm „Rammbock“ oder dem legendären Splatter-Spaß „Staplerfahrer Klaus“. Wie vor fast 25 Jahren überstrahlt Peter Meisters amüsanter Anarchismus somit all die trübsinnige Mystery von „Hausen“ bis „Dark“. Dafür danke schön!

"Der Upir" startet am Mittwoch, 18.9. bei Joyn