Dass die ganz große Euphorie rund um die einst angekündigte Informationsoffensive bei ProSiebenSat.1 längst verflogen ist, hatten wir bereits vor einigen Monaten an dieser Stelle beleuchtet. Und es ist durchaus ironisch, dass man die Nachrichten in Unterföhring mittlerweile selbst produziert, Sat.1 sich die neue Reportagereihe "Ronzheimer - Wie geht's, Deutschland?" aber von i&u TV zuliefern lässt - und ganz nebenbei ja auch auf Paul Ronzheimer setzt. Ein Journalist, der bislang vor allem in den Diensten von "Bild" bzw. Axel Springer stand und steht.
Die gute Nachricht: Für die Zuschauerinnen und Zuschauer ist es in der Regel egal, welche Produktionsfirma ein Format produziert - am Ende zählt eben doch meist das Ergebnis. Und das ist in diesem Fall richtig gut. Ronzheimer geht in der ersten Ausgabe der Reihe direkt dorthin, wo es weh tut: Nach Thüringen. Um sich mit dem Rechtsruck in Deutschland zu beschäftigen. Dort spricht er mit Menschen vor Ort und geht der Frage nach, wie der Aufstieg der AfD gelingen konnte und mit welchen Inhalten die Partei bei den Wählerinnen und Wählern überzeugt.
Ronzheimer ist unterwegs in Greiz, dem Wahlkreis von AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke. Dort spricht er mit Menschen, die er zufällig auf der Straße trifft, aber auch mit Sympathisanten und Gegnern der AfD. Oder um es besser zu formulieren: Ronzheimer versucht, mit den Sympathisanten der AfD zu sprechen. Zwar findet der Journalist immer wieder auch Personen, mit denen er sich vergleichsweise normal unterhalten kann. Aber nicht nur einmal wird er im Verlaufe der netto rund eineinhalbstündigen Sendung angeschrien, beleidigt oder auch bedroht.
Das ist teilweise schwer auszuhalten, zeigt aber sehr eindrücklich, wie weit die Spaltung der Gesellschaft und die Indoktrinierung durch Rechts schon vorangeschritten ist. Ronzheimer profitiert sichtbar davon, dass er normalerweise nicht in Städten in Thüringen unterwegs ist, sondern in Kriegsländern wie der Ukraine oder auch Syrien. Er lässt sich auch durch die ständigen Provokationen nicht aus der Ruhe bringen und fragt auch die, die ihn nur wüst beschimpfen, nach den Gründen. Eine Antwort erhält er zwar selten, aufschlussreich für die Menschen vor den TV-Geräten ist es trotzdem, weil es zeigt: Diese Personen wollen gar nicht diskutieren. Und schon gar nicht wollen sie andere Meinungen zulassen, obwohl sie die Meinungsfreiheit für gewöhnlich hoch hängen.
Aber auch die vergleichsweise zivilisierten Gespräche lassen tief blicken. Ein großes Thema bei den AfD-Anhängern: Flugzeuge. Ein Polizist im Ruhestand, der ein Sommerfest der AfD plant, meint, es würden Flugzeuge mit asylsuchenden Menschen aus Afrika direkt in Erfurt landen. Ein anderer springt von Verschwörungserzählung zu Verschwörungserzählung und landet ziemlich schnell bei Kondensstreifen, die es ja eigentlich gar nicht geben könne…
Höcke will nicht mit Ronzheimer sprechen
Es ist harter Tobak, den Sat.1 nicht nur Paul Ronzheimer da zumutet, sondern auch den Zuschauerinnen und Zuschauern. Und dennoch ist vor allem Ronzheimer der ideale Host der Sendung, denn er weicht keinen Millimeter zurück und lässt den Menschen auch ihre Lügen nicht durchgehen. Dabei ist er immer nett, aber bestimmt. Als der pensionierte Polizist gegen ARD und ZDF schießt, reitet der "Bild"-Journalist nicht direkt zur Verteidigung aus, bringt das Gespräch aber auf die fragwürdigen bis teils auch strafrechtlich relevanten Aussagen von Björn Höcke.
Dass Höcke selbst nicht mit Paul Ronzheimer reden will (auch nicht, als er direkt vor ihm steht und den Politiker mit Fragen konfrontiert), ist keine Überraschung. Zu sehr betrachtet die AfD Journalistinnen und Journalisten als Feinde, allen voran in Thüringen. Das wird auch klar, als man sieht, wie Höcke Ronzheimer attestiert, er sei "therapiebedürftig". Kurz danach spricht Ronzheimer in Greiz mit einem Linken-Politiker und aus einem vorbeifahrenden Auto (Kennzeichen enthielt die Buchstaben AH) ruft jemand "Du bist scheiße". Ob damit der Politiker oder der Journalist gemeint war, ist unklar - aber das ist ganz offensichtlich der Alltag in Thüringen im Jahr 2024.
Nicht wirklich klar wird, wieso der Sendungstitel ("Ronzheimer") am linken Bildschirmrand eingeblendet, aber dabei immer geteilt ist ("Ronz heim er ."). Und ob der Journalist in Ostfriesland tatsächlich seinen eigenen Vater treffen muss, um zu zeigen, dass die AfD auch im Westen stärker wird, sei mal dahingestellt. Das sind aber allenfalls Nuancen in einer sonst starken Reportage, deren bester Moment ganz am Ende kommt.
Und plötzlich steht da Wladimir Klitschko
Ronzheimer hat eine handvoll Menschen eingeladen, gemeinsam in einem kleinen Gasthaus über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu sprechen. Die Mehrheit von ihnen will, dass Deutschland seine Hilfen einstellt und vor allem keine Waffen mehr liefert. Mit dabei ist auch ein Vertreter der AfD. Und nachdem Ronzheimer kurz alle Seiten abgeklopft hat, zaubert er Wladimir Klitschko aus dem Hut. Und auch wenn es keine handfesten Ergebnisse gibt, kann man nur hoffen, dass die Ausführungen des ehemaligen Profisportlers aus seiner Heimat einen Denkanstoß gegeben haben.
Dass Ronzheimer plötzlich Wladimir Klitschko an den Tisch mit potenziellen AfD-Wählern setzt, ist ein starker, weil einerseits überraschender, aber eben auch nachvollziehbarer Move. Es ist eine Maßnahme, die weh tut. Einerseits für die Zuschauerinnen und Zuschauer, aber hoffentlich auch für die Menschen in der Runde. Weil sie nur so aus ihrer Bubble mit vorgefertigten Meinungen herauskommen.
Insofern haben Sat.1, i&u TV und Paul Ronzheimer einen starken Auftakt in die neue Reportagereihe hingelegt, bei der alle Beteiligten als Gewinner hervorgehen. Sat.1 wird aufgeladen durch eine neue Art der Relevanz in der Primetime. i&u TV beweist, dass man nicht nur Infotainment kann. Und Paul Ronzheimer wird sich durch das Format sicherlich neue Gruppen an Menschen erschließen, die mit seinen Recherchen in Kontakt kommen.
Sat.1 zeigt "Ronzheimer - Wie geht's, Deutschland?" montags um 20:15 Uhr.