Autos sind eine fantastische Erfindung. Rund 69 Millionen von ihnen waren Anfang 2024 in Deutschland zugelassen. Sie sorgen für Mobilität, gelten als Symbol von Freiheit. Und sind offenkundig unverzichtbar für startende Sat.1-Dailys. Sie haben Dr. Sarah König und ihre Tochter Leo von der Großstadt ins beschauliche Wiesenkirchen gebracht und somit den Grundstein für die Handlung von "Die Landarztpraxis" gelegt. Ein Transporter indes war es, der Hanna Stein und ihren Sohn Benni in einer der ersten Szenen der Daily "Das Küstenrevier" von Rostock ins kleine Örtchen Küstritz brachte. Nur folgerichtig, dass die dritte Daily, die Sat.1 für den 19-Uhr-Slot hat produzieren lassen, ebenfalls in einem Auto beginnt.
Am Steuer sitzt Dr. Lea Wolff. Während Sarah König die Mission hatte, dem Vater ihrer Tochter von deren Existenz zu erzählen, ist die Hauptfigur der neuen Sat.1-Daily nun auf der Suche nach ihrer Tochter, die vor genau 20 Jahren das Licht der Welt erblickte. Stringenter als die beiden anderen jüngsten Sat.1-Dailys verfolgt "Die Spreewaldklinik" diesen Handlungsbogen. Auch deshalb fühlt sich das neue tägliche Format zu Beginn eher wie ein ausgebreiteter ZDF-Herzkino-Film an. Hier ist die Handschrift der produzierenden Firma ndF deutlich, die für den öffentlich-rechtlichen Anbieter unter anderem "Bergdoktor" und "Bergretter" umsetzt.
Und auch optisch muss sich das Format nicht verstecken. Natürlich: Die Region im Spreewald hat da ihren Teil gewaltig dazu beigetragen. Und dennoch: Es verdient Hochachtung, wie hochwertig das vollständig On-Location entstandene Projekt aussieht, insbesondere wenn man bedenkt, dass die insgesamt 80 bestellten Episoden der ersten Staffel in rund 110 Drehtagen aufgenommen werden. Das gilt für die zahlreichen Außendrehs ebenso wie für die Bilder, die in der "echten" Spreewaldklinik entstanden sind. Das Krankenhaus, einer der Haupthandlungsorte der Serie, gibt es bekanntlich wirklich und die Sat.1-Serie entstand dort parallel zum laufenden Betrieb, wie schon Senderchef Marc Rasmus beeindruckt berichtete.
Recht schnell wird Hauptfigur Lea in diesem Krankenhaus anheuern, denn ein junges Mädchen, das dort arbeitet, feiert gerade seinen 20. Geburtstag. Erstaunlich lang dauert es bei der Ärztin, bis der Groschen fällt. Ihre erstaunlich abweisende Jugendliebe Paul hat das Kind offenbar doch alleine groß gezogen – und zudem offenbar Interesse daran, dass Lea Wolff sich schnell wieder in ihr Auto setzt und abhaut. Es geht um "Geheimnisse", die eine ganze Familie zerstören könnten und nicht zuletzt um die magische Verbindung zwischen einer Mutter und ihrem Kind.
Was etwas schwülstig klingt, ist in bester Telenovela-Manier gut umgesetzt. "Die Spreewaldklinik" ist daher eindeutig das viel stimmigere Format als es "Das Küstenrevier" im Winter war. Es ist weniger experimentell als die Ermittler-Serie aus dem hohen Norden, macht daher aber auch weit weniger Fehler. Und es hat am Reißbrett einige Entscheidungen getroffen, die mit Blick auf die ersten Folgen aufzugehen scheinen. Zum einen hat man sich zwei nicht unprominente ehemalige Gesichter der RTL-Serie "Alles was zählt" (ebenfalls nach 19 Uhr linear zu sehen) an Bord geholt. Hauptfigur Lea wird von Sina-Valeska Jung gespielt, die 2021 und 2022 als Caroline Albrecht in der Eislaufsoap zu sehen war. Zwischen 2016 und 2018 war zudem Daniel Buder Teil von "AWZ", im neuen Sat.1-Format ist er Leas Love-Interest Dr. Erik Behrens.
Leas Tochter wird indes von Isabel Hinz gespielt. Hinz war 2022 für eine Nebenrolle Teil von "GZSZ", wo ihre Rolle Gina durchaus Potential für weitere Geschichten gehabt hätte. Neben den drei mit Soap-Erfahrung wurde zudem Personal gecastet, das auch über die Genre-Grenzen hinaus bestens bekannt ist. So spielt Muriel Baumeister die Klinikchefin und Karsten Speck ("Hallo Robbie") einen im Krankenhaus arbeitenden Mediziner. Während die Verortung in einem Krankenhaus dafür sorgt, dass die (medizinischen Geschichten) gerne mal heftiger ausfallen als in der "Landarztpraxis", gleicht sich die überschaubare Cast-Größe, die schon bei der "Landarztpraxis" für eine in dieser Form bisher eher seltene Fokussierung geführt hat.
Natürlich: Auch beim Sat.1-Neustart ist zu erwarten, dass vermutlich irrwitzige Irrungen und Wendungen dazu führen, dass Handlungsbögen gestreckt werden. Dass die Auflösung von "Geheimnissen" wie angekündigt nicht so schnell vonstatten geht wie es nach logischem Menschenverstand vielleicht möglich wäre. Die Richtung aber stimmt. Und so scheint Sat.1 diesmal auf gutem Wege zu sein, seine Erfolgsidee zu vervielfachen. Gut möglich also, dass das blaue Cabrio, das Lea Wolff in den Spreewald gefahren hat, nicht das letzte Fahrzeug war, das für Sat.1 in eine neue Serienwelt gestartet ist.
"Die Spreewaldklinik", ab sofort montags bis freitag, 19 Uhr in Sat.1 und vorab bei Joyn.