Im Frühjahr 1992 habe ich zum ersten Mal geheiratet. Der Blick auf die Bilder von damals zeigt einen Popper, als es die gar nicht mehr gab, mit schwungvoller Seitentolle in wilden Anzügen. Die waren damals pastellig, mitunter aus Viskose. Wie die Krawatten, die ebenso bunt wie breit waren. Ich galt nicht nur als sehr frech (ich war 27), ich galt auch als ein gutgekleideter, dem großspurigen zugewandter, etwas lindnerhafter Vielredner. Vielleicht lehne ich diese Art von Mann heute so gerne ab. Ich kenne den Typus. 

Genau zu diesem Zeitpunkt warf ich meine volle Kraft in die Werbezeitenvermarktung der Regionalprogramme von Radio Television Luxemburg, kurz RTL genannt. In Köln arbeitet man bis heute „beim RTL“. Unter dem nur unwesentlich älteren, Napoleon genannten Luxemburger Marc Conrad entstand just zu diesem Zeitpunkt das bis heute stehende Rückgrat des Senders, die „Access Prime“. Was heute gängige Begriffe sind, war damals absolutes Neuland. 

Kai Blasberg © privat Kai Blasberg
„Der Zuschauer von RTL braucht keine Armbanduhr. Er soll am Programm die Uhrzeit erkennen“ war Conrads Prämisse. Er hatte damit einen Bombenerfolg. Den anfangs, schließlich sind wir in Deutschland, so niemand sah. Als ich am Tag nach dem D-Day, ich glaube, es war der 11.Mai, die Räumlichkeiten der Werbeagentur EuroRSCG betrat, kam mir eine Welle der Ablehnung frontal entgegen. „Schämt Euch“ war noch das Harmloseste. Startete doch „Explosiv“ mit der kühlen Barbara Eligmann in den Vorabend. Und in dieser ersten Sendung erbrachen sich englische Erstsemester beim Alkoholexzess in Eimer. Und da es Fernsehen war, sah man es. Damals einer der vielen Tabubrüche, die heute als Kindergeburtstag gebrandet sind. Das solle etwa jetzt jeden Abend kommen? 

Ebenso startete „Gute Zeiten – schlechte Zeiten“. Heute für Fans nicht wegzudenken, war es damals skandalös, mit ungelernten „Schauspielern“ eine Soap-Opera täglich ausstrahlen zu wollen. Welch eine Zumutung im Land der dichten Denker. Da konnte doch die darin eingebettete Nachrichten-Sendung „RTL aktuell“ auch nur Schund sein. Denn die moderierten damals schon seit ein paar Tagen die heute Gefeierten. Peter Kloeppel, eine Mischung aus Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer und dem stets freundlichen Schalterbeamten der Sparkasse, ein viel besserer Schwiegersohn als der eigene, und seine Studio-Maid, die Lieblingsfreundin aller deutschen Boomermädchen und das heimliche Postergirl der Reihenhaussiedlungen, Ulrike von der Groeben, geborene und hochersehnte Elfes, gehörten von nun an zur Familie. 

Jeden Abend zu Gast, teils mit fürchterlichsten Botschaften, doch immer seriös, trotz Lockerheit, immer bester Laune, auch wenn es keinen Grund dazu gab, und vor allem: immer da. Das soll sich jetzt also auch ändern? Sind die denn schon so alt? Die Antwort: ja! Und Ulrike sogar noch älter als Peter. Kann das denn sein. Wir schauen in den Spiegel und sagen: „Hm. Könnte sein. Isso“. Und danken für die Milde, die Ihr uns schenkt. Denn mit Euch ist unser Altern erträglicher. Und vielen, vielen Dank an die Direktion „beim RTL“. Denn Ihr habt ja angeblich den Jugendwahn im deutschen Fernsehen erfunden und schenktet uns Vielgeborenen dann doch die Teilhabe am gnadenvollen Zerfall. Wenn Peter und Ulrike gehen, dann ist es viel erträglicher, selbst auch daran zu denken . Und doch fragen wir uns: Was kommt? Und: was war?

1992 war laut dem Kaiser Franz die deutsche Nationalmannschaft, sie war unter ihm kurz zuvor Weltmeister geworden, über Jahre hinweg unschlagbar. Wie immer, wenn der jüngst verblichene Beckenbauer firlefranzte, hielt seine Vorhersage weniger als ein Jahr. Und der zuständige Bundes-Berti war der kümmerliche Antipode des Kaisers. So, wie von dem gewollt. 1992 waren wir Deutschen gerade wiedervereinigt. Und schon ein bisschen ernüchtert. 1992 gab es kein Internet und keine Handys, man druckte auf Tintenstrahldruckern, aber mehr als Word-Dateien waren nicht drin in den Computern. 1992 war Porsche fast pleite. Und Helmut Kohl Kanzler. 

Wenn man sich verabredete, sagte man Wochen vorher dem Treffen zu und niemand kam in den Sinn, die Verabredung nicht wahrzunehmen. Bill Clinton wurde Präsident der USA und in Rostock-Lichtenhagen wüteten deutsche Kleinbürger gegen Ausländer. Der Balkankrieg wütete auch. Und niemand half militärisch. Oder erst, als es viel zu spät war. Und völkerrechtswidrig. Aber da gab es ja schon immer das deutsche Maß. Zweierlei genannt. Zumindest aber kamen viele Flüchtlinge, als die noch nicht Geflüchtete zu nennen waren. Deutschland nahm sie auf und sie integrierten sich prächtig. Olympische Spiele gab es auch. 

Als Peter Kloeppel und Ulrike von der Groeben im April 1992 erstmals als Duo auftraten, war Klaus Doldingers Titelmelodie von „Das Boot“ in der Version von U 96 auf Platz eins. „Die Akte“ von John Grisham war das meistverkaufte Buch und „Die Schöne und das Biest“ der meistbesuchte Kinofilm. Das klingt alles ganz normal. Und auch sehr bekannt. „Jugend ist ein Zustand der Seele“ ist eines meiner Lieblingsaphorismen. 

Und es stimmt. Ulrike Elfes und 67 Jahre alt passt einfach nicht zusammen. Und doch gehen sie jetzt. Jetzt, wo der 82-jährige Joe Biden gezwungen werden muss, Einsicht walten zu lassen, was beim 78-jährigen Doofmann Trump vergebene Liebesmüh ist. Jetzt, wo der 72jährige Putin Krieg um Krieg entfacht, um Wahrnehmung zu ernten und sich der dann 70jährige Fritze Merz als Kanzler trollen will. Ständig sollen wir Bürger uns an Neues gewöhnen. 

1992 wussten wir, wer der Deutsche-Bank-Chef ist, wer der von Mercedes. Heute wissen wir das nicht mehr. So gehen die vertrauten und beliebten Gesichter. Und die vertrauten unbeliebten bleiben. Das kann doch so nicht richtig sein. Kann Kloeppel nicht Kanzler? Und wäre Ulrike von der Groeben nicht eine tolle Familienministerin mit Sport im Ressort? Oder, Ihr bleibt einfach das, was Ihr so toll macht? Sind wir nicht nach Japan die älteste Nation der Welt und haben Euch so schlicht verdient? Ich darf das fragen. Nur Eines aber ist gewiss:  2056 werde ich keine Kolumne über die scheidenden Hosts „vom RTL“ schreiben. Warum? Es wird niemand mehr lesen können. Und die Nachfolger sind so alt wie Joe Biden.