Filmemacher von Weltrang erkennt man oft an ihrer Ästhetik. Wes Andersen etwa stellt seine Figuren in die Bildschirmmitte, wo Woody Allen stets alle durcheinanderreden lässt, während Quentin Tarantinos Charaktere lieber Monologe halten, bevor sie grausam töten. Bei Lars von Trier zappelt permanent die Kamera, mit der Dominik Graf sein Personal, zu dem bei Martin Scorsese meist Robert de Niro zählte und bei Alfred Hitchcock er selbst, notorisch ran zoomt.

Kein Regisseur hat jedoch mehr Wiedererkennungswert als Roland Emmerich. Andauernd zerdeppert er die halbe Welt oder wenigstens ganz New York. Jedes Bild ein Gemälde, jede Frau eine Göttin, jeder Soundtrack eine Art Bach-Wagner-Overdrive, übertönt vom Lieblingsgeräusch des schwäbischen Blockbusterwarts in Hollywood: hörbare Gewalt. In Roland Emmerichs erster Fernsehproduktion klingt er oft nach Stahl auf Stahl. Schon nach 25 Sekunden schneidet ihre Hauptfigur dazu irgendwem die Kehle durch.

Ein Akt, der eigentlich in aller Stille erfolgt. Beim lärmenden Roland aber wirkt es, als würde Tenax (Iwan Rheon) sein Langschwert schleifen. Ein irrealer Klang in verbürgter Umgebung, wo Gladiatoren ihr Ende mit der Losung – Asterix-Kundige kenne das: „Morituri te salutant“ begrüßten, zu Deutsch „die Todgeweihten grüßen dich“ oder in der Version des englischen Titels dieser internationalen Koproduktion: „Those About to Die“. Und damit zum Kern einer wahrhaft monumentalen Serie, die in den USA bei Peacock läuft und hierzulande bei Prime Video.

Er befindet sich im Rom 79 A.D., dessen Volk der greise Kaiser Vespasian (Anthony Hopkins) nach Jahren politischer Unruhe mit Brot und Spielen bei Laune hält. Gar nicht so leicht, wenn Roms Bürgertum tagein tagaus ordinärem Müßiggang frönt, während Sklaven alle Arbeit tun. Für diese Balance bauen letztere für ersteres ein gigantisches Stadion für Tier- und Menschenkämpfe: das Colosseum. Wer heute die ewige Stadt durchstreift, lernt in deren Mitte: Es ist solider als die Moral ihrer Entstehungsepoche, in der Dekadenz, Ranküne, Korruption und vor allem Geld regieren.

Vier Adelsgeschlechter haben damit den Circus Maximus aufgeteilt, mit dem es auch der Glücksspielkönig Tenax zu Reichtum und Einfluss brachte. Sein Wettbüro liegt im Kellergewölbe, wo Pferde und Kutscher, Dompteure und Löwen, Huren und Söhne im Flackerlicht rußender Kerzen ein Schattenreich bevölkern, das die Sonne vergleichbarer Serien und Filme nur selten ausgeleuchtet haben. Es hätte also etwas Großes im Kleinen werden können, was Creator Robert Rodat mit seiner Erfahrung aus Überwältigungsprosa der Marke „Soldat James Ryan“ ersonnen hat.

Zu dumm, dass High End Productions, ein Joint Venture von Oliver Berbens Constantin mit Herbert G. Kloiber, ihr Budget von stattlichen (aber nicht fürstlichen) 140 Millionen Euro für zehnmal 50 Minuten in der legendären Cinecittà Emmerich überantworten. Seit seinem Abschlussfilm „Das Arche Noah Prinzip“, der 1977 fünfzigmal mehr als die erlaubten 20.000 Mark gekostet haben soll, beweist er schließlich, wie gleichgültig ihm historisch-physikalische Regeln sind, sobald sie ins Sperrfeuer seiner Eskalationsspirale geraten.

Auch in der altrömischen also landen pro forma ein paar handlungsrelevante Platzhalter. Neben Wettkönig Tenax zwischen Kaiser Vespasians Thronfolger Titus (Tom Hughes) und dessen Bruder Domitian (Jojo Macari), sind es der numidische Gladiator Kwame (Moe Hashinn), seine Mutter (Sahra Martins-Court) plus zwei Handvoll Patrizier wie die intrigante Antonia (Gabriella Pesson), denen wir beim Verteidigen ihrer Pfründe zusehen. Einige – wie "Game of Thrones"-Bösewicht Rheon aka Ramsey Bolton – hat Emmerich dabei clever besetzt. Einerseits.

Denn andererseits fiele es kaum auf, wenn er sie wie 90 Prozent der Szenenbilder nicht spielen, sondern animieren ließe. Statt den unterirdischen Alltag zu skizzieren, reiht sich nämlich nur ein Wagenrennen ans nächste, unterbrochen von einer immensen Zahl blutiger Raubtier- und Männerkämpfe. Viele davon sind raffiniert inszeniert, verglichen mit „Independence Day“ 28 Jahre zuvor allerdings eher biederes CGI-Handwerk als KI-Quantensprünge. Was erträglicher wäre, würden Emmerich und Co-Regisseur Marco Kreuzpaintner („Beat“) nicht absolut jedes einzelne Klischee aus den Archiven historischer Sandalen-Stoffe zerren.

Wie so oft ist jemand aus dem Pöbel von Adel, weiß es nur noch nicht. Die Kutschenhetzjagden sind digitale Remakes der Kulissenraserei von „Ben Hur. Jeweils ein knappes Dutzend Charaktere, Intrigen, Blutbäder ist antiker Geschichtsfiktion von „Die zehn Gebote“ über „Gladiator“ bis hin zum HBO-Epos „Rom“ entliehen. Und manches davon unterschreitet das dramaturgische Niveau der deutschen Netflix-Serie „Barbaren“ deutlich, in der Römer bei aller künstlerischen Freiheit immerhin authentisches Vulgär-Latein sprechen.

Hier ist es modernes Englisch mit Akzenten aller Art, die den Sprechanteil noch irrelevanter machen. Wer solche Serien mag – und das sind sehr, sehr viele – stört sich auch nicht daran, dass böse Angreifer im Actionkino anno 2024 die Guten unverzagt nacheinander attackieren und stets 15 Zentimeter über Kopfhöhe zuschlagen. Auch Historythriller-Fans könnte es aber stören, dass Green-Screen-Installationen bedenklich oft nach „Terra X“ aussehen.

Und anders als beim „Game of Thrones“ laufen Hauptdarsteller schon deshalb bis zum Ende durchs Blut überflüssiger Nebenfiguren ins Staffelfinale, weil selbst Salven fataler Wirkungstreffer nur Kratzer auf leading characters hinterlassen. Immerhin kriegt man all das gar nicht mit, weil Andrea Farris nimmermüde Filmmusik sämtliche Sensoren verstopft. Noch so ein Erkennungsmerkmal von Roland Emmerichs spätantiker, ziemlich spannender, unfreiwillig komischer, Testosteronbombastballermannaction für große Jungs bei ihrer Krönungsmesse „Those About to Die“.