Nur wenige Menschen haben Deutschland so sehr geprägt wie Angela Merkel. In wenigen Tagen wird die ehemalige Bundeskanzlerin 70 Jahre alt und die ARD nutzt das, um noch einmal auf die Karriere Merkels zurückzublicken. "Angela Merkel – Schicksalsjahre einer Kanzlerin" geht der Frage nach, wer die Frau, die nicht nur die CDU, sondern auch Deutschland maßgeblich verändert hat, ist, was sie angetrieben hat und was von den 16 Jahren Merkel-Kanzlerschaft bleiben. 

Als Zielgruppe hat man, wie bei so vielen ARD-Produktionen in letzter Zeit, das junge Publikum auserkoren. Deshalb ist aus der Doku eine fünfteilige Serie geworden, die in der Mediathek abrufbar ist. Im Ersten läuft in der kommenden Woche lediglich eine 90-minütige Fassung der Doku-Reihe am Programmrand. 

Die Produktionsfirma LOOKSfilm und die federführenden ARD-Anstalten RBB, MDR und SWR (alle anderen ARD-Sender saßen auch mit im Boot) versuchen sich an einem Spagat. Der Fokus auf ein eher junges Publikum zeigt sich unter anderem bei der Auswahl der Gesprächspartner: Zu Wort kommen YouTuber LeFloid, Journalist Tilo Jung, die ehemalige Piraten-Geschäftsführerin Marina Weisband oder auch die Klimaschutzaktivistin Carla Reemtsma. Hinzu kommen die Merkel-Biografin Evelyn Roll und langjährige Wegbegleiter wie Annegret Kramp-Karrenbauer und Thomas de Maizière.

Und auch sonst merkt man der Doku-Serie an, dass sie anders sein will als vergleichbare Produktionen. Die Produzentinnen Birgit Rasch und Ramona Bergmann sprechen von einem "leicht zugänglichen Ansatz mit schnellen Schnitten, poppigen Farben, gewitzten Pointen und Musik aus den letzten drei Jahrzehnten". Vor allem das poppige fällt durch die prägnante Musikauswahl schnell auf. 

Angela Merkel - Schicksalsjahre einer Kanzlerin © rbb/SWR/MDR/Looksfilm/picture alliance/Ulrich Baumgarten/Armin Linnartz/CC BY-SA 3.0 DE Bunt und laut will die ARD-Doku über Angela Merkel gerne sein, so wie hier das Key Visual

Was bei anderen Produktionen vereinzelt eingesetzt wird und im besten Fall ein lustiger Seitenhieb auf den Inhalt ist, ist in der neuen Merkel-Doku Alltag. Da werden die Zuschauerinnen und Zuschauer fast durchgängig mit Pophits beschallt, die mal mehr oder weniger gut zum Gezeigten passen. Angela Merkel lebt ihr Leben in der DDR - Girl’s Just Wanna Have Fun. Als sie Helmut Kohl stürzt - Murder on the Dancefloor. Schmiergeldaffäre in der CDU - Gangsta’s Paradise. Merkel wird CDU-Chefin - Oops!…I Did It Again. Merkel ist fast Bundeskanzlerin - Hung Up ("Time goes by so slowly"). Merkel entledigt sich alter CDU-Granden - Maneater. Als es um die jungen Wilden in der CDU geht, hört man Limp Bizkit. Tokio Hotel (Durch den Monsun) und Helene Fischer (Atemlos) dürfen in diesem Potpourri der Popmusik natürlich nicht fehlen. 

Anbiederung durch Popmusik 

Bei allem Verständnis für eine zielgruppengerechte Ansprache: Mit dieser völligen Überdosierung von Popmusik wird man das junge Publikum wohl eher nicht abholen. Im Gegenteil: Die Doku fühlt sich dadurch in Teilen wie eine Anbiederung an die Zielgruppe an und auch die Ernsthaftigkeit geht ein Stück weit verloren. Zumal es sonst eben doch eine recht klassische Doku-Serie ist, die sich aus Archivmaterial und Interview-Szenen speist und bei der die Off-Sprecherin sehr präsent ist. Es ist ein Rundumschlag durch die Ära Merkel. Sie selbst hat man übrigens nicht für ein Interview gewinnen können. Ein weiteres großes Manko, hätte man von ihr doch gerne gewusst, wie sie heute auf bestimmte Ereignisse blickt. An dieser Stelle bedient man sich an alten Merkel-Interviews. 

Aber auch auf der harten, inhaltlichen Ebene weiß "Angela Merkel – Schicksalsjahre einer Kanzlerin" nur bedingt zu überzeugen. So wird im Zusammenschnitt zwar immer wieder deutlich, wie Merkel geglaubte Sicherheiten (auch die der eigenen Partei) über Bord geworfen hat, um sich neu zu orientieren. Und auch wie sie sich in ihrem Stil von ihren männlichen Vorgängern unterschied. Nur: Neu ist das alles nicht. Angela Merkel ist gerade einmal vor zweieinhalb Jahren aus ihrem Amt geschieden. Sie selbst und ihre Amtsführung sind noch sehr im kollektiven Gedächtnis verankert, sodass die Doku dem nun nur wenig Neues hinzufügen kann. 

Sixt-Werbung und "Titanic"-Cover

Als es in einem Teil der Doku darum geht, wie sexistisch Merkel teilweise in den Anfangsjahren behandelt wurde, liefert das einen spannenden Blick in das damalige Deutschland. Edmund Stoiber machte sich im Fernsehen über Bande über das Aussehen Merkels lustig. Immer wieder muss sich Merkel abfällige Kommentare anhören. Dass in der Doku dann aber ausgerechnet Fotos einer Sixt-Werbung und ein "Titanic"-Cover zu sehen sind, ist vielleicht nicht der beste Beweis für diesen Sexismus. Gut ist die Doku immer dann, wenn es möglichst konkret wird. An einer Stelle berichtet Merkel-Biografin Evelyn Roll sehr detailliert, wie die Kanzlerschaft Angela Merkel über die Zeit verändert hat und woran man das erkennen konnte. 

Das Erbe Merkels erscheine inzwischen in einem neuen Licht, heißt es von den Macherinnen und Machern der Doku. "Und doch wird es vermutlich eine ganze Generation dauern, bis klar sein wird, wie radikal Angela Merkel die politische Kultur dieses Landes verändert hat", sagen die Produzentinnen. Das stimmt. Und vielleicht ist das auch der beste Grund dafür, warum man mit der Doku-Serie noch etwas hätte warten sollen. 

Oder um es wie in der Doku mit einem Song auszudrücken: Warum hast Du nicht nein gesagt?

"Angela Merkel – Schicksalsjahre einer Kanzlerin" steht ab sofort in der ARD-Mediathek zum Abruf bereit. Eine 90-minütige Fassung der fünfteiligen Doku-Serie ist am Montag, den 15. Juli, ab 22:30 Uhr im Ersten zu sehen.