Die meisten Menschen kennen Celine Dion wohl nur als den Superstar, der sie ist. Perfektes Make-Up, schöne Kleider und eine durchdringende Stimme, die man unter vielen immer wieder erkennen würde. Letzteres hat der Sängerin zu einer Weltkarriere verholfen, Celine Dion gehört zu den ganz großen ihres Fachs. Vor einiger Zeit hat sie sich aber von der Bühne verabschiedet, weil sie unter dem Stiff-Person-Syndrom leidet, einer äußerst seltenen Autoimmunerkrankung. Dion hat unkontrollierte, spastische Anfälle und musste aufgrund der Krankheit vor wenigen Jahren ihre Welttour abbrechen.
In der Dokumentation "I Am: Celine Dion" (Prime Video) gewährt die Sängerin nun einen Einblick in ihr aktuelles Leben. Was man dort sieht, hat so gar nichts mit der glamourösen Show-Welt zu tun, in der sich Celine Dion lange bewegte. Man sieht eine 56-jährige Frau, die durch ihre Krankheit gekennzeichnet ist. Eine, die sich wieder zurückkämpfen will, das aber vermutlich nicht schaffen wird. Zumindest ein Comeback samt Welttournee scheinen äußerst unwahrscheinlich.
Celine Dion öffnet sich gegenüber Regisseurin Irene Taylor Brodsky in allen Facetten ihres Lebens - und genau das macht die Doku so einzigartig und sehenswert. Da sieht man dann, welche Medikamentenrationen die Sängerin regelmäßig zu sich nehmen muss. Gleichzeitig erzählt sie, wie sehr sie die Bühne und die Menschen vermisst; wie sehr sie die Lügen rund um frühere Konzert-Absagen belastet haben und dass sie nicht mehr lügen wolle. Mehrfach bricht der Weltstar vor laufender Kamera in Tränen aus, zeigt sich dabei aber immer mit klarem Kopf und teilweise auch selbstironisch. Als sie erfährt, dass ihr Sport-Therapeut gleich ihre Füße massiert, geht sie diese erst einmal schruppen.
Das alles zeigt: Celine Dion ist herrlich normal geblieben. Mit ihren Kindern nimmt sie ein Video für einen Angestellten auf, der erkrankt ist. Gemeinsam wünschen sie ihm gute Besserung, die Inszenierung des Videos ist der Sängerin sehr wichtig. Alles soll perfekt sein. Natürlich wird auch gesungen. Für ein solches Video reicht das noch, für die große Bühne aber eben nicht mehr. "I needed medicine to function", sagt sie über die Vergangenheit. Und: "The show must go on". Heute hat die Sängerin einen gesünderen Ansatz gefunden und beutet ihren Körper nicht mehr bis zur völligen Erschöpfung aus.
Die Sache mit dem normal sein ist natürlich etwas anders, wenn man ein globaler Superstar war und ist. Da steht Celine Dion dann plötzlich in einer ganzen Lagerhalle, in der nur Dinge von ihr und ihrer Familie aufbewahrt werden. Verschiedene Kleider, Schuhe und Schmuck, aber auch Spielzeuge der Kinder. Das zeigt eindrucksvoll, welche Marke Celine Dion ist. Zwischendurch erzählt die Sängerin von ihrer Kindheit und ihren 13 Geschwistern, man sieht Interview-Ausschnitte aus allen Zeiten ihrer Karriere.
Und immer wieder zeichnet Regisseurin Irene Taylor Brodsky den Kontrast: Da wird gezeigt, wie Celine Dion früher mit einem Stuhl über die Bühne gewirbelt ist - und direkt danach, wie sie heute Gymnastik macht, um fit zu bleiben und der Krankheit etwas entgegenzusetzen. Dadurch ist "I Am: Celine Dion" kein ausufernder Trip durch die Karriere eines Weltstars, sondern ein intimer Einblick in das Leben der Sängerin.
Am Ende der Doku kommt es zu einem Highlight, das zeigt, wie nah Freud und Leid manchmal beieinanderliegen. Dion steht im Studio und will nach zwei Jahren wissen, ob sie es noch kann. Sie ist unzufrieden und versucht es immer wieder und tatsächlich hört sie sich an wie: Celine Dion. Sie selbst macht nie den Eindruck, als wäre sie glücklich mit den Aufnahmen. Kurz darauf sieht man, wie Dion einen mehrminütigen, spastischen Anfall hat. Betreuer sind vor Ort und helfen der Sängerin durch die Situation.
Nach dem verletzlichsten Moment folgt der stärkste
Es ist die vielleicht am meisten besprochene Szene der gesamten Doku, denn sie zeigt ganz authentisch, welchen Einfluss die Krankheit auf das Leben von Celine Dion mittlerweile hat. Der gesamte Anfall wurde nicht nur gefilmt, sondern ist auch in der Doku zu sehen. Das ist gleichzeitig faszinierend und erschreckend, aber vor allem maximal authentisch. Nicht umsonst gibt’s am Anfang der Doku einen Warnhinweis. Man hört Celine Dion weinen und wimmern. Und als sie wieder zu sich kommt, sagt sie als erstes, dass die Kameras im Raum bleiben sollen. Das alleine ist eine so starke Szene, dass es dafür eigentlich Preise hageln müsste. Die Verletzlichkeit und Stärke, die die Sängerin damit in einer Szene zeigt, sind selten erreicht selbst bei maximal authentischen Dokus.
Celine Dion kann damit auch anderen am Stiff-Person-Syndrom erkrankten Personen ein Vorbild sein indem sie zeigt: Ihr seid nicht allein. Manchmal bekommt man in der Doku allerdings den Eindruck, als wäre der Film bereits ein Nachruf auf die Sängerin. Das ist er aber ganz und gar nicht, wie Celine Dion nur wenige Minuten nach ihrem Anfall eindrucksvoll beweist. Da steht sie, noch gekennzeichnet von dem Vorfall kurz zuvor, und schmettert den Song "Who I Am" von Wyn Starks mit einer solchen Leidenschaft, dass es einem kalt den Rücken hinunterläuft.
Was für eine Frau. Was für eine Dokumentation.
"I Am: Celine Dion" ist bei Prime Video verfügbar.