Gegen 15.30 Uhr schweiften kurz einmal die Gedanken ab: Wie ist es eigentlich um die Statik eines Zirkuszelts bestellt? Und wie viel Pyrotechnik passt hier noch rein? Die AdAlliance feuerte zum Start ihres Screenings für die Angebote von RTL Deutschland wortwörtlich ein Spektakel ab, das die gesamte Manege füllte - und dann auch im lautesten Applaus des Tages mündete. Ein wildes Screening der Kölner, ohne Raab, aber mit u.a. Elton und Tim Mälzer, kommentiert von Frank Buschmann und Jan Köppen. Spätestens da waren sie vergessen, die traurigen Versuche über einen Livestream im Browserfenster, die „Magic of Total Video“ vermitteln zu wollen.
Mit dem ersten Screenforce Festival in Düsseldorf hat sich die Gattungsinitiative der TV-Branche in Deutschland bei ihrer jährlichen Präsentation neu erfunden, wieder einmal. Aber nie war es so nötig wie diesmal. „Ganz oder gar nicht: Wer braucht diese Screenforce Days?“, titelte DWDL vor einem Jahr nachdem sich die einst als Leistungsschau der deutschen Bewegtbildbranche etablierten Screenforce Days auch 2023 nur zu einem Online-Event von beschränkter Relevanz und Wertschätzung durchringen konnte. Unser Urteil: Dieses Gattungsevent stehe am Scheideweg.
Ein Jahr später nun das große Comeback mit einem überzeugenden Konzept. TV findet sich endlich wieder geil! Das ist eine durchaus bemerkenswerte Kehrtwende angesichts der weiterhin angespannten Stimmung im Werbemarkt. Wenn aber nicht einmal die Medienhäuser und ihre Vermarkter selbst mit Enthusiasmus für das eigene Medium eintreten; wie will man es von Kundinnen und Kunden erwarten? Deswegen war dieser selbstbewusste Auftritt in Düsseldorf ein sehnsüchtig erwarteter Startschuss für viele in der Branche.
Mit einem Festivalgelände rund um das Zirkuszelt der eigentlichen Screenings, versehen mit Food Trucks, Bars, Gauklern, den Ständen der Medienhäuser und allerlei Aktivitäten - vermittelte das Screenforce Festival schon auf den ersten Blick eine neue Tonalität, jünger und dynamischer als frühere Screenforce Days im Kölner Coloneum. Fernsehen kann cool. Das überraschend gute Wetter tat seinen Teil dazu. Keine Frage: Das große Comeback, es hätte auch ins Wasser fallen können. Ist es aber nicht - und wurde zu einem mit Lust & Laune gesetzten Ausrufezeichen.
Den Startschuss dafür gab ProSiebenSat.1 mit dem ersten Screening des Tages, das zur Erheiterung am Morgen besonders auf Comedy in einigen Einspielern und prominente Sendergesichter in der Manege setzte, darunter Jörg Pilawa, Paul Ronzheimer, Katrin Bauerfeind, Chris Tall, Sebastian Pufpaff, Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf. Mit einer satten Überziehung zerschoss man allerdings gleich jedes Timing für den Rest des Tages, doch damit sollten die Unterföhringer nicht alleine bleiben. Frech, die Schlussworte von Markus Breitenecker: Damit sei das Screenforce Festival beendet. Man könne nach Hause gehen.
Durch das Rahmenprogramm und die nötigen Umbaupausen des vollen Tagesprogramms führten mal mehr, mal weniger gelungen Palina Rojinski und Michael Kessler mit einigen Einlagen, unterstützt durch den einzig wahren Wolfram Kons, der etwas später am Vormittag nicht nur sprichwörtlich als Screenforce-Inventar auf die Bühne geschoben wurde und wie auch in den Vorjahren einige Talks zwischen den Screenings übernahm. Bei einem davon kam es zum überraschend amüsanten Schlagabtausch zwischen Matthias Dang (RTL Deutschland) und Markus Breitenecker (ProSiebenSat.1).
Gründe für Zwist zwischen Köln und Unterföhring gibt es natürlich genug: Einmal die noch nicht ganz aufgearbeitete Personalie Carsten Schwecke - und der am Donnerstag offen ausgetragene Kampf um das Genre der Stunde, denn ohne Reality-TV geht 2024 nichts, das wurde beim Screenforce Festival sehr deutlich. ProSiebenSat.1 reklamierte die Krone des Reality-TV gleich zum Auftakt am Vormittag für sich, was wiederum Matthias Dang in einem Talk mit Kollege Breitenecker - eigentlich zum Thema AdTech - auf die Palme brachte und auf frotzelnde Art eskalierte.
Doch auch RTLzwei bzw. Vermarkter El Cartel Media sehen sich - u.a. mit Harald Glööckler in der Manege - wenig überraschend als „Home of Reality“, gefolgt nach der Mittagspause vom großen Bruder RTL Deutschland, wo man sich wortgleich ebenso als „Home of Reality“ bezeichnet. Auch Paramount setzte beim einmal mehr musikalisch besonders überzeugenden Visoon-Screening auf Reality und Warner Bros. Discovery stellte zum Finale eines langen Screening-Tages mit TLC den laut Studie diversesten TV-Sender Deutschlands vor - ebenso dank Reality TV.
Mehr als anderthalb Stunden länger als geplant ging das Screening-Programm im Zirkus-Zelt, das jedoch auch dank Showacts von u.a. Zoe Wees, Tim Bendzko und „The Voice Kids“-Finalistin Lana Melody trotzdem das Publikum hielt. Die lockere Festival-Atmosphäre der ganzen Veranstaltung sorgte jedoch bei Bedarf auch für ein entspanntes Kommen und Gehen, weil im Zirkuszelt ohnehin nicht genug Platz war für alle Gäste des restlos ausverkauften Branchenevents. Ein schöner Erfolg für Screenforce-Chef Malte Hildebrandt, der am Abend dann auch ebenso entspannt wirkte wie Fabian Tobias, dessen Team von EndemolShine Germany das Screenforce Festival produzierte.
Vielleicht schaffen die beiden großen Vermarkter und der überraschende Überziehungschampion Disney Advertising im nächsten Jahr ja etwas mehr Disziplin beim Timing - dann wäre sogar Platz für noch das ein oder andere Screening mehr. Schön waren wiedererkennbare Handschriften, etwa in der selbstironischen Inszenierung von RTLzwei oder dem vollen Einsatz von Franjo Martinovic und Kai Ladwig bei Visoon, wo man seit Jahren den Markenspagat zwischen Welt und Paramount meistert. Dass ARD Media teilnahm am Festival, diesmal jedoch nicht präsentierte - kam angesichts der hemmungslosen Überziehungen sehr gelegen. Reality TV hätte ja eh gefehlt, scherzte man dort.
Doch am Ende ist das aus den Fugen geratene Timing nur Detailkritik nach einem Tag der wahrlich abwechslungsreichen Präsentationen unterschiedlicher Art, die aber fast immer geprägt waren von einem Selbstbewusstein, das in der TV-Branche in den vergangenen zwölf Monaten nicht immer spürbar war. Und es gibt dann doch noch mehr als Reality: Hängen bleiben mahnende Worte zur Bedeutung von TV-Journalismus von Frank Hoffmann (Welt) oder der neuen "RTL Aktuell"-Viererkette. Neue Liebe zur Fiktion hier und dort, leise Töne bei Vox ausgerechnet von Tim Mälzer. Hollywood spielt bei den großen Gruppen eine weniger wichtige Rolle, kommt dafür bei Disney und Warner Bros. Discovery größer zur Geltung als je zuvor. Auch wenn bei WBD noch die MAXimale Ausbaustufe fehlt in Deutschland.
Das Fazit? Den Gästen gefiel es, das war beinahe einhelliges Feedback bei der anschließenden Party auf dem Festivalgelände, wo sich das DWDL-Team noch bis in den späten Abend hinein umhörte. Unter den Gästen waren neben Werbekundinnen und -kunden sowie Media-Agenturen übrigens auch einige weitere Branchenvertreter, so z.B. Netflix-Vermarktungschefin Susanne Aigner, dieses Jahr (noch?) als Zaungast. Mit Warner Bros. Discovery bzw. Discovery kennt sie die Screenforce Days schon lange - und war ebenso angetan vom neuen Konzept wie einige anwesende Produzentinnen und Produzenten, die vor allem Optimismus aus Düsseldorf mitnehmen.
Und die amüsantesten Streithähne des Tages, Matthias Dang und Markus Breitenecker, gehen auch mit Gewinn nach Hause: Als Antwort auf den üblichen Joyn-Hoodie des ProSiebenSat.1-Kollegen Breitenecker hatte Dang eine Überraschung im Gepäck und überreichte ihm schon am Vormittag ein für den Sommer angemesseneres T-Shirt mit „Join RTL+“ bedruckt. Im Gegenzug trug Dang dann zum großen Screenforce-Finale am späten Nachmittag Breiteneckers Joyn-Hoodie. Auch ein Happy End irgendwie.