Als Tim Raue im vorigen Jahr auf Christian Rachs Spuren wandelte und bei RTL drei Folgen lang den "Restaurantretter" gab, wollte das Publikum mit dem prominenten Koch nicht so recht warm werden. Von weiteren Rettungsmissionen hat man seither nichts mehr gehört. Die Zeit hat Raue allerdings offensichtlich dazu genutzt, mit der Produktionsfirma Warner Bros. noch einmal über seine eigenen Stärken nachzudenken. Herausgekommen ist "Star Kitchen", ein neues Format, das ganz bewusst nicht darauf abzielt, in Schieflage geratene Restaurants den Weg zu weisen, sondern jene zu unterstützen, die weit über dem Niveau gutbürgerlicher Sportplatz-Restaurants liegen.
Der Name der Sendung, die vor einigen Tagen bei Prime Video gestartet ist, wurde freilich nicht zufällig gewählt. Jene Köchinnen und Köche, die im Zentrum der sechsteiligen Doku-Reihe stehen, haben entweder entweder bereits einen Michelin-Stern erkocht oder wollen unbedingt ihren ersten bekommen. Das Kochen muss Raue, selbst 2-Sterne-Koch, den Protagonisten also gewiss nicht mehr beibringen. Doch genau das ist es, was den Reiz von "Star Kitchen" ausmacht: Es sind nicht die offenkundigen Küchen-Katastrophen, die Raue aus der Welt schaffen muss, sondern allenfalls kulinarische Nuancen, die es mit Bedacht zu verändern gilt.
Und so muss dann auch in "Star Kitchen" weder ein klassischer Kochkurs abgehalten werden noch ein Bautrupp anrücken, um die Gasträume in vorzeigbaren Zustand zu versetzen. Stattdessen handelt es sich vielmehr um respektvoll erzählte Porträts, die von den gänzlich unterschiedlichen Werdegänge und Herangehensweisen der Köchinnen und Köche erzählen – stets verbunden mit dem klaren Ziel vor Augen, kulinarisch immer besser zu werden. So wie die 28-jährige Luisa Jordan, die in der Küche des Wellness-Hotels ihrer Familie auf den ersten Stern hinarbeitet. Den besten Pulpo seines Lebens habe er bei ihr gegessen, offenbart Raue der Köchin im persönlichen Gespräch. Was aber die Kartoffeln und der schwarze Teller sollten, habe er nicht verstanden.
Beim Besuch im Frankfurter Restaurant "Seven Swans" wiederum, dem einzigen rein veganen Restaurant mit Stern, lobt Tim Raue den ersten Karotten-Gang in höchsten Tönen. Glamourös sei er, vielschichtig, dicht – und überhaupt, die Textur mache unglaublich viel Spaß. Was jedoch die auf Eis gelegte Gurke sollte, die beim nächsten Gang zum Kohlrabi-Teller gereicht wird, kann er nicht nachvollziehen. "Der Kohlrabi spricht für sich", lässt der prominente Restaurantgast wissen.
Man muss sich schon sehr für die Spitzenküche interessieren, um nachzuvollziehen, worum es Raue geht. So gesehen will "Star Kitchen" dann auch nicht so recht zur zunehmenden mainstreamigen Ausrichtung von Prime Video passen, orientiert sich die neue Reihe doch offenkundig weniger an den klassischen "Restaurantretter"-Formaten als vielmehr am Netflix-Hit "Chef's Table"; Geigen-Gezwirbel inklusive. Das spricht allerdings freilich mehr für als gegen den Neustart, der sich, verbunden mit starken Bildern, viel Zeit nimmt, um der Leistung seiner insgesamt fünf Protagonisten gerecht zu werden. Und ganz nebenbei geht es immer wieder auch um Raue selbst – um seine Kindheit, Ausbildung und Lebensanschauung. "Tim Raue", sagt Raue über sich, "hat viele Facetten."
Nur manchmal verliert sich "Star Kitchen" etwas zu sehr im Fokus auf die Michelin-Sterne. Fast schon redundant wird deren Stellenwert und all der Druck, den die Sterneküche mit sich bringt, immer und immer wieder hervorgehoben. Da wäre weniger mehr gewesen. Das gilt fürs Fernsehen eben wie für so manchen Teller.
"Star Kitchen mit Tim Raue", bei Prime Video