Gut geklaut ist halb geklickt. Wem es an Ideen mangelt, bedient sich gerne an denen anderer, kopiert sie bedarfsgerecht und kreiert im besten Fall sogar Mehrwert. Doch während das deutsche "iTeam" verglichen mit der britischen "IT Crowd" mit "miserabel" noch freundlich verrissen wäre, vom "Married With Children"-Klon "Hilfe, meine Familie spinnt" ganz zu schweigen, war "Stromberg" bisweilen witziger als "The Office". Bastian Pastewkas Versuch, Bryan Cranstons Meth-Koch Walter White in "Morgen hör ich auf" als Geldfälscher zu germanisieren, lag da irgendwo in der Mitte von Original und Fälschung.
Dort also, wo Moritz Bleibtreu bei Amazon Prime in einen Achtteiler einsteigt. Dessen Berliner Service-Type Viktor Kudinski installiert bei eigenartiger Endkundschaft elektrische Endgeräte, fährt im uralten Kleinbus von Mitte übers Westend oder Lichtenberg bis Krumme Lanke die Bezirke der Metropole ab und erlebt allerlei Absonderlichkeiten, vor allem menschliche. Klingt eigentlich ganz originell… Wer sechs Jahre rückwärts und 300 Kilometer nordwestlich abbiegt, dürfte sich allerdings schwer an die Hamburger Service-Type Schotti erinnert fühlen.
Anders als "Viktor Bringt’s" verdingte sich der "Tatortreiniger" zwar nicht am mechanischen, sondern mausetoten Objekt. Auch er aber traf beim Beseitigen bizarrer Leichenfunde auf Hinterbliebene, mit denen einige der aberwitzigsten Dialoge deutscher Fernsehfiktion entstanden sind. Bei "Viktor bringt’s" orientiert sich der vielfach prämierte Werbetexter Marcus Pfeiffer auf einem seiner seltenen Filmausflüge also ebenso unüberhör- wie sehbar an Mizzi Meyer, deren "Tatortreiniger" praktisch jeden deutschen Branchenpreis abräumen konnte.
Für den Eberhoferkrimis-Regisseur Ed Herzog lag die Messlatte daher nicht nur hoch, sondern außer Sichtweite. Während Meyer ihrem Schotti 31 Gemälde von surrealer Wahrhaftigkeit malte, in denen die Bandbreite der verkapselten Gesellschaft individueller Daseinsentwürfe schmerzhaft selbstentlarvend hervortrat, trifft Pfeiffers Viktor vorerst acht billige Stereotypen einer hypothetischen Diversität. Zum Auftakt etwa die heillos künstliche Hirnforscherin (Caroline Peters), mit der Viktor beim Anbringen eines Flachbildschirms schlüpfrige Sottisen über Bohrer, Dübel, Löcher und Saugen im Dachgeschosspenthouse austauscht.
Witzig…
So sehr ungefähr wie die Pointen des Bundeswehrveteranen (Heino Ferch), der sich in Folge 2 einen Kaiman (tihi) als Haustier hält, Armeephrasen (wer sentimental ist, macht Fehler) drischt und – als Viktor lautstark eine Frage in sein defektes Hörgerät wiederholt – allen Ernstes die Zote "jetzt schreien Sie doch nicht so!" aus der Kaiserzeit teleportiert. Auf diesem Niveau bewegt sich Viktor auch dann komödiantisch, wenn er Prenzl’berger Hipster-Furien (Jasna Fritzi Bauer) Siebträgerkaffeemaschinen liefert oder turbokapitalistischen Priester-Models (David Kross) Rasenmähroboter.
Ein Twist rettet die Serie
Was wie der "Tatortreiniger" wohl larger than life sein soll, entpuppt sich folglich mit jeder zwanzigminütigen Episode mehr als lausige Lebenskarikatur – wäre da nicht ein kleiner Twist, der "Viktor bringt’s" vom Bauerntheater ins Feuilleton zieht: neben dem hemdsärmeligen Praktiker sitzt nämlich ein Philosophiestudent, der zugleich sein verlorener Sohn ist, mit dem Viktor jahrelang keinerlei Kontakt hatte. Und der talentierte Bühnenmime Enzo Brumm spielt ihn nicht nur mit einer authentischen Mischung aus Trotz und Verletzung.
Wie Mikas moderne Männlichkeit vor, bei, nach jedem Arbeitseinsatz frontal in Papas gestrige Männlichkeit rasselt – das zieht die Serie regelmäßig aus dem Flachwasser klischeehafter Sitcoms in tragikomische Tiefen. "Hup doch mal, Michael", sagt der führerscheinlose Alki Viktor im Stau. "Dann geht’s schneller, oder was?!", entgegnet Mika, wie er eigentlich genannt werden will. "Hupen ist wichtig", motzt der Beifahrer, greift ins Lenkrad und entfesselt einen Schlagabtausch von impulsiver Authentizität.
Sohn: "Ey, ich fahr!"
Vater: "Mit mei’m Auto und meiner Hupe!"
Sohn: "Mein Führerschein, meine Regeln!"
Vater: "Meinsmeinsmeins, so warste schon, als du klein warst!"
Sohn: "Du hast doch grad damit angefangen!"
Vater: "Und schön immer den anderen die Schuld geben!"
Sohn: "Und ganz wichtig immer von sich selber ablenken!"
Vater: "Und ja nicht mal was von mir lernen!"
Sohn: "Was soll ich denn von dir lernen, hupen?"
Wie dieses seltsame Paar hier zeitgleich um Distanz und Nähe ringt, scheint anders als Prime Video und Real Film andeuten, nicht Marcus Pfeiffers elterlicher Elektrofachhandel die Inspirationsquelle für "Viktor bringt’s" zu sein, sondern ein Scheidungskonflikt à la Kudinskis. War aber nicht so! Nur Tage, nachdem sich Disney+ in der pfiffigen Lovestory "Pauline" mit mysteriösem Firlefanz Fans im Romantasy-Fach sichern wollte, ist auch die Workspace-Comedy voll völlig überdrehter Episodencharaktere nur ein Vehikel der parallelen Beziehungskomödie.
Aus dieser Sicht ist sie jedoch sogar sehenswert und Moritz Bleibtreu sowieso ein vergleichsweise lustiger Komödiant in Til Schweigers abgebranntem Witzeland – auch dank seiner gehörigen Spielräume zwischen Melancholie und Klamauk. "Det is’n spezielles Fluorisationsgemisch, weil man will ja’n möglichst offenporijet Erjebnis ham, da komm jetzt die normalen Spachtelmassen einfach nich hinterher", weicht er dem Austausch mit Mika durch die Wohnungstür aus, räumt aber bald ein: "Manchmal sind die scheißeinfachsten Dinge einfach nicht so einfach…"
Das ist richtig gut geschrieben, gut gespielt, gut gefilmt und gut gemacht. Leider ist es all dies ein bisschen zu selten für richtig gutes Streamingfernsehen.
"Viktor bringt's" steht ab sofort bei Prime Video zum Abruf bereit.