Reiche Jungs, Film & Fernsehen mögen es gern schlicht, sind arrogante Arschlöcher. Sie werden im Rolls ans Elitecollege chauffiert, defilieren in rahmengenähten Slippers durch Spaliere schmachtender It-Girls und zücken dicke Geldbündel, falls eins davon aufbegehrt. Arme Mädchen sind dagegen selbstlose Samariterinnen. Sie stehen im Bus für Bedürftige auf, schleichen in schäbigen Sneakern durch Spaliere zischelnder It-Girls und lehnen die dicken Geldbündel reicher Jungs ab, anstatt ihr Rückgrat dafür zu verkaufen.
So geht es also auch in „Maxton Hall“ zu, als das Personal der gleichnamigen Bestseller-Adaption vorgestellt wird. Der Elitenzögling James, Stammhalter des feudalen Hofschneiders Beaufort, will die Stipendiatin Ruby, Zukunftshoffnung des mittellosen Rollstuhlfahrers Bell, mit 10.000 Pfund bestechen, weil sie etwas Kompromittierendes seiner Schwester Lydia gesehen hat und der klassenbewussten Sippe damit schaden könnte.
Doch Ruby, als Mischung aus Reh und Raubtier verkörpert von Harriet Herbig-Matten („Bibi & Tina“), lässt sich nicht kaufen. Schon gar nicht von James, als Mischung aus Salonlöwe und Heulsuse gespielt von Damian Hardung („Club der roten Bänder“), der aus Rubys Sicht alles verkörpert, was in ihrer zwangsvereinigten Parallelwelt nicht stimme: „Überdimensioniertes Privileg, Arroganz und Ignoranz“.
Gleich zu Beginn der ersten von sechs Folgen à 45 Minuten bei Prime Video schlägt sie daher sein Angebot aus und macht sich – wie sagt man so melodramatisch schön – einen mächtigen Feind. Denn zu gleichen Teilen indigniert, irritiert und angestachelt von der unbotmäßigen Aufmüpfigkeit schmiedet James einen Rachefeldzug, der Rubys Vorhaben, mithilfe karitativer Schulaktivitäten ein Stipendium der Universität Oxford zu ergattern, durchkreuzt.
Praktisch jedes Klischee wird durchdekliniert
Es ist ein ungleicher Kampf, den die Hamburger Autorin Mona Kasten 2018 ersonnen hat. Es ist aber auch ein so stereotyper, dass der weltweit erfolgreiche Jungerwachsenenstoff eine Richtung einschlägt, die spätestens bei der zweiten Begegnung seiner leading characters deutlich wird. Literaturtheoretisch from enemys to lovers genannt, ziehen sich die beiden Pole bei aller Abstoßung nämlich an und werden am Ende – nein, auch wenn ein Happyend absehbar ist, wird das schon eingedenk zweier Fortsetzungsromane natürlich nicht verraten…
Tatsache aber ist, dass Regisseur Martin Schreier – mit Coming-of-Age-Klamotten wie „One Night Off“ verhaltensauffällig – nach Drehbüchern der „Dark“-Autorin Daphne Ferraro praktisch jedes New-Adult-Klischee für Frauen bis 29 durchdekliniert. Die Reichen sind darin auch die Schönen, Sportlichen, Wohlgeformten, aber tendenziell herzenskalt, ja soziopathisch. Die Armen wirken dagegen oft ein bisschen linkisch, aber bis zur totalen Selbstaufopferung herzensgut.
Während James unterm Druck seines dynastisch-konservativen Vaters ächzt, herrscht in Rubys maximal diverser Bilderbuchfamilie folglich ein derart altruistisch-fideles Heididei, dass man sich zügig in die Zombieapokalypse von „Walking Dead“ sehnt. Zumal ringsum natürlich irgendeiner schwul ist, irgendeine schwanger wird, Ruby aber allen irgendwie aus der Klemme hilft, weshalb es wenig überraschen würde, stiege ihr Vater am Ende wundergeheilt aus dem Rollstuhl.
Fürs Boom-Fach Romantasy fehlen zwar die Hexen und Vampire. Aber auch wenn uns der Eton-Absolvent Boris Johnson lehrt, wie viele Elitecollege-Klischees geburtsprivilegierter Briten echt sind, ist diese Sammlung ganz schön schematisch. So what?!, fragt Head-Writerin Ferraro beim Berliner PR-Termin, der sogar südamerikanische und ostasiatische Lifestyle-Reporter*innen anlockt. „Maxton Hall“ sei „vielleicht larger then life“, erschafft anstelle der Realität also „eine eskapistisch-emotionale Traum- und Sehnsuchtswelt“, durch die uns Tausend Klischees geleiten.
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Genau die aber, beteuert Ferraro, „beinhalten die Möglichkeit, sie auch wieder zu brechen“. Gut zu beobachten an James Verhältnis zu Lydia (Sonja Weisser). Als er die neue Kollektion präsentiert, spricht seine Schwester dessen Text, den sie offenbar verfassen, aber nicht vorstellen darf, leise mit. Bei Beauforts ist Business halt Männersache. Und wie der Regisseur diese Ambivalenz in Szene setzt, ist für Arthaus-Fans außerhalb der Zielgruppe schwer erträglich. Wer sich aber darauf einlässt, den – besser: die stört das Feuerwerk überdrehter Widersprüche und Minenspiele wohl wenig.
Dass Ruby ein Kindheitstrauma, aber null Makel hat, ist da dem Gesetz bedingungsloser Identifikationsstiftung weiblicher Hauptfiguren geschuldet. Wozu leider auch zählt, dass Aschenputtel dauernd devot zu giggeln beginnt, sobald der Prinz ihr ein Ballkleid überstülpt. Tolle Fummel machen halt jede Feministin zur Barbiepuppe. Als hätte Prime „Sex Education“ auf Schloss Guldenburg gedreht, gesteht Martin Schreier dem Heldenduo zudem je zwei Gesichter zu: Während Harriet Herbig-Matten ausnahmslos trotzig oder entzückt aus der billigen Wäsche blickt, schaut Damian Hardung verzweifelt oder snobistisch aus der teuren.
Mangels Grautöne taugt da sogar ein Lehrer, der seine Schülerin verführt, zum Sympathieträger. Govinda Golleti guckt halt immer so niedlich… Über toxische Episoden wie diese hinaus macht „Save Me“ alias „Maxton Hall“ seine Sache aber so routiniert, wie es die Zielgruppe will. Und sie will es gefühlvoll, berechenbar, bildgewaltig, unterkomplex, aber divers, aufregend und etwas renitent, ohne revolutionär zu sein. Ein bisschen wie das „Traumschiff“ der Generation Z. Beides hat seine Berechtigung.
Alle sechs Folgen der ersten Staffel "Maxton Hall" stehen seit dem 9. Mai bei Prime Video zum Streamen bereit