"Können Sie Ihre Augen trauen?", fragt Steven Gätjen gleich zu Beginn des Abends. Was ein großes Spektakel verheißt, erweist sich in Wirklichkeit jedoch als erstaunlich harmlose Rateshow, die man, in Anlehnung an eine ganz ähnlich gelagerte, aber ungleich heimeligere Mediatheks-Show der ARD, auch als "großes Menschenraten" bezeichnen könnte. Bei ProSieben hört der Neustart mit Gätjen als Moderator und den beiden Comedians Ralf Schmitz und Chris Tall als feste Ratefüchse auf den Titel "Wer isses?" - was keine schlechte Wahl ist, weil er ziemlich gut erklärt, worum es über gut zweieinhalb Stunden hinweg geht.
Das Konzept ist ähnlich simpel: In jeder Runde müssen Schmitz und Tall zusammen mit jeweils einem prominenten Gast, in der ersten Ausgabe sind es Verona Pooth und Moderatorin Viviane Geppert, alleine anhand des Erscheinungsbildes Berufe, Hobbys oder mal mehr, mal weniger überraschende Eigenheiten verschiedener Personen erraten. Wer gewinnt, erspielt ein Preisgeld für seinen Publikumsblock.
Leider erweist sich der Auftakt zunächst als ziemlich fantasielos: Erst soll erraten werden, welche Kandidatinnen und Kandidaten tätowiert sind, danach gilt es zu entschlüsseln, welche der vor den Promis stehenden Personen ein Talent für Poetry Slam hat. Echte Spannung will da kaum aufkommen – und auch der Unterhaltungswert hält sich anfangs noch in Grenzen. Das ändert sich glücklicherweise im Laufe der Show, auch, weil Chris Tall und Ralf Schmitz zunehmend ihre Spontaneität entdecken, die sie schon als Moderatoren von "Take me out" auszeichnete. Als ein Kandidat das Geheimnis lüftet, auf den Namen Pumuckl getauft zu sein, fragt Schmitz prompt, ob bei der Geburt "Hurra, Hurra" gesungen wurde. Tall wiederum legt sich zwischenzeitlich auf amüsante Weise mit Publikum wie Kandidaten an und bringt dadurch ebenfalls Schwung in die Show.
Ihre besten Momente hat die Sendung immer dann, wenn so etwas wie eine Fallhöhe entsteht. So wie in jener Runde, in der die Höhe des Gehalts von sechs Kandidatinnen und Kandidaten eingeschätzt werden muss. Kann man es Menschen zwangsläufig ansehen, ob sie 2.500 oder 31.000 Euro pro Monat verdienen? Auch in der "Wahrheit oder Lüge"-Runde ist dieses Fallhöhe spürbar – dank eines Mannes, der die beinahe unglaubliche Geschichte erzählt, dass sich sein Nachbar einst als sein bis dato unbekannter Bruder entpuppte. Dass besagter Bruder bereits in der ersten Runde der Show dabei war und nun noch einmal zur Umarmung auf die Bühne kam, trieb nicht nur Verona Pooth die Tränen in die Augen
Solche fürs Publikum überraschenden Momente hätte man sich mehr gewünscht, doch leider verliert sich "Wer isses?" dann doch zumeist schnell wieder in Banalitäten wie die Frage, welcher Kandidat auf einer Burg arbeitet oder ob die Kandidaten Breakdance oder Ballett tanzen. Dadurch büßt die Show nicht nur Tempo, sondern auch Unterhaltungswert ein. Überraschend ist das nicht, schließlich hat "Wer isses?" seinen Ursprung in einer simplen Rubrik aus der früheren Late-Night-Show von James Corden. Zur großen Primetime-Show aufgebauscht, stößt das Konzept jedoch immer wieder an seine Grenzen, auch wenn das Bühnenbild mit seiner prägenden Pyramide in der Mitte optisch einiges her macht.
Gleichzeitig ist bemerkenswert, wie viele Zutaten anderer Show-Formate dieser Neustart in sich trägt: Von "Sag die Wahrheit" über "Kaum zu glauben" bis hin zu "Wer weiß denn sowas?" ist bei "Wer isses?" gefühlt alles mit dabei. Und selbst die Grundidee von "I Can See Your Voice" - einst ebenso von Tresor TV produziert wie jetzt "Wer isses?" - wird im Laufe des Abends noch einmal aufgegriffen, indem es zwischenzeitlich zu erraten gilt, welcher der auf der Bühne stehenden Kandidaten in Wirklichkeit ein guter Sänger ist.
Nein, einen Innovationspreis wird "Wer isses?" gewiss nicht erhalten, weil die Show schlicht zu viel vom Guten will. Bei diesem Showkonzept-Mix wird sich der geeignete Zuschauer nach einiger Zeit daher womöglich eher fragen: Was is'n das?
"Wer isses?", dienstags um 20:15 Uhr bei ProSieben