Arztserien sind mitunter erstaunlich vorhersehbar und triefen nicht selten vor Gefühlsduselei. Vor diesem Hintergrund fällt es umso mehr auf, wenn einmal gänzlich neue Wege eingeschlagen werden. „Doktor Ballouz“ etwa, jener Arzt aus der Uckermark, den Schauspieler Merab Ninidze seit einigen Jahren im ZDF mit reichlich Feingefühl mimt, ist da zu nennen. Und neuerdings auch „Die Notärztin“, eine neue ARD-Serie, die in den nächsten Wochen im Zusammenspiel mit „In aller Freundschaft“ ihr Publikum finden soll.
Ähnlich wie bei „Doktor Ballouz“ wird auch hier eine Figur mit Migrationshintergrund ins Zentrum gestellt – was glücklicherweise aber als Selbstverständlichkeit erzählt wird. Und ähnlich wie ihrem ZDF-Kollegen gelingt es auch der marokkanischen Schweizerin Sabrina Amali, eine Figur zu verkörpern, die trotz erkennbarer Unruhe erstaunlich gelassen bleibt, wenn es drauf ankommt. Das ist nicht selbstverständlich in einem Job wie dem der Notärztin, wo es im Spannungsfeld zwischen schlechter Bezahlung und Überlastung oft auf wenige Sekunden ankommt.
„Ich brauchte einen Neuanfang, beruflich und privat.“ So fasst Nina Haddad (Sabrina Amali) gleich zu Beginn während einer wilden Fahrt mit Blaulicht und Martinshorn zusammen, was sie nach Jahren des Stationsdienstes von Zürich nach Mannheim verschlägt, wo sie gerade mit dem Sanitäter Paul (Paul Zichner) auf dem Weg zu ihrem ersten Einsatz ist. Viel mehr erfährt das Publikum zunächst nicht über die persönlichen Beweggründe, die sie in die zweitgrößte Stadt Baden-Württembergs führten, die schöne Bilder ebenso liefert wie raue Ecken.
Wenige Worte, dann geht es auch schon los: Ein Drogenjunkie muss aus einem Schacht gerettet werden. Zufall, dass sein Freund wenig später mit einer Überdosis am Flussufer gefunden wird? Wohl kaum. So funktioniert das hier: Alles hängt mit allem zusammen – und oft sieht man sich gleich zwei mal. So wie die Mutter, die aus einem brennenden Auto befreit wird, nachdem ihre Tochter kurz zuvor noch selbstmordgefährdet auf einem Dach sitzt.
Es ist der Versuch, so etwas wie einen Bogen zu spannen in einem beruflichen Umfeld, in dem es so etwas für gewöhnlich nicht gibt, weil im wahren Leben ein Einsatz auf den nächsten folgt und kaum ein Fall dem anderen gleicht. Um den Job fernsehtauglich zu erzählen, bedarf es also solcher Kniffe, wie sie Jan Haering und Tina Thoene in ihren Drehbüchern niedergeschrieben haben. Auch das mag in gewisser Weise vorhersehbar, auf Dauer möglicherweise gar redundant sein. Gleichwohl gelingt es Haering, der auch die Regie übernimmt, die Geschichten mit einer bemerkenswerten Gelassenheit zu inszenieren. Es ist nicht die Sensationslust, die hier im Vordergrund steht, sondern der Respekt vor Menschen wie Nina Haddad, die in der Realität auch in brenzligen Situationen die Fassung bewahren (müssen).
Wenn gerade mal kein Einsatz ansteht, dann darf's freilich auch menscheln, ganz besonders wenn Feuerwehrmann Markus (Max Hemmersdorfer), ein charismatischer Sonnyboy, ein Auge auf die Hauptfigur geworfen hat. Dazwischen muss sich die Neue auch mit dem Brandmeister Pio (Mark Zak) und dessen gestrigem Weltbild herumschlagen, in dem Frauen in diesem Job nicht sonderlich viel verloren haben. Seine Ansichten, aber auch die des stets auf die Kosten bedachten Dienststellenleiters Patrick (Johannes Kienast) bieten die Chance, auch gesellschaftskritische Aspekte anzureißen.
Allzu romantisch und verkitscht geht es glücklicherweise nicht zu in dieser neuen ARD-Serie – auch, weil sich Schauspielerin Sabrina Amali in der Rolle der toughen Notärztin als Glücksfall erweist. „Die Notärztin“, produziert von der Polyphon, ist daher ein Gewinn für die Welt der deutschen Medical-Serien. Und zugleich ein denkbar großer Kontrast zur Sachsenklinik.
"Die Notärztin", dienstags um 20:15 Uhr, Das Erste, und schon jetzt in der ARD-Mediathek