Glaubt man den kolportierten Zahlen, dann hat die längst zum Web-Phänomen erhobene Survival-Show "7 vs. Wild" zuletzt mitunter Millionen Menschen vor die Bildschirme gelockt – teils in den ersten Stunden nach Veröffentlichung. Naheliegend also, dass die RTL-Gruppe von diesem Erfolg ein Stückchen abhaben möchte und sich die Adaptionsrechte an einem wohl deutlich unbekannterem Format gesichert hat. Einem Format aber, von dem die "7 vs. Wild"-Crew selbst zugibt, dass es möglicherweise eine Art Inspiration gewesen sei.
Und so sehr sich die Macher von "7 vs. Wild" um Abgrenzung bemühen, so sehr muss man sagen, dass beide Formate durchaus eine sehr ähnliche Zielgruppe ansprechen und sich auch in der Tonalität freilich ähneln. Auch das von ITV Studios Germany produzierte "Alone" begleitet unterschiedliche Personen, die sich irgendwo im Nirgendwo haben aussetzen lassen und dann versuchen zu überleben. Im Falle von "Alone", dessen amerikanisches Original schon seit 2015 bei History läuft und es somit längst auf mehr als 100 produzierte Folgen bringt, sind die Teilnehmenden im regnerischen Vancouver Island in Kanada gestrandet – Vancouver Island hat eine Fläche, die in etwa so groß ist wie Nordrhein-Westfalen, erfährt der geneigte Zuschauer direkt zu Beginn der Episode.
Die Teilnehmenden, das sind Brandmeister, Wildnistrainer, Soldaten a.D., Immobilienmakler oder Ingenieure, also Personen, die jetzt auch "in Frankfurt vor dem Fernseher sitzen" könnten, wie einer der Kandidaten in der zweiten Folge ob der widrigen Umstände in der Wildnis etwas entnervt sagt. Was "Alone" in der Tat sehr gut gelingt, ist die Mühsamkeiten des Survival-Alltags zu dokumentieren. Dabei spielt auch eine Rolle, dass die Macher auf den Einsatz von Musik weitgehend verzichtet haben. Stattdessen dröhnt in den Ohren ein Mix aus Stille unterbrochen von nicht enden wollendem Regen und dem Schnaufen der Teilnehmenden bei der oft körperlich fordernden Arbeit.
Auch wenn direkt zu Beginn ein Schwarzbär im Bild eingefangen wird (der sich allerdings schnell als eher scheu erweist und umkehrt), sind es zunächst gar nicht die Tiere, die sich als herausfordernd erweisen, sondern das nass-feuchte Klima. Da muss man es vielleicht halten wie David, der in seine Kamera fragt, ob wir vor dem Bildschirm "mal etwas Ekliges sehen wollen?" Gefragt, getan, wischt er sich seinen Schweiß von der Stirn und leckt ihn ab. "Das sind genau die Mineralstoffe, die der Körper verliert", grinst er in die Kamera und beendet die Sequenz mit einem zufriedenen "Lecker".
Selbstgespräche
62 Minuten lang geht es im "Alone"-Auftakt (neben der Ankunft aller Teilnehmenden) zunächst um Grundsätzliches wie Lagerbau und erste Nahrungssuche. Dabei muss man es als Beobachter durchaus mögen, dass die Isolation der Kandidatinnen und Kandidaten natürlich auch dazu führt, dass es in "Alone" keinerlei Dialoge gibt. Alle sind angehalten stets mit sich selbst zu sprechen, immer zu kommentieren wieso etwas gerade passiert. Das ist für Publikum, das bisher in der Welt von Survival-Formaten nicht zuhause war, ungewohnt und vielleicht sogar störend. "7 vs. Wild" hatte sich zuletzt in diesem Punkt angepasst und die dritte Staffel, die über eine Auswertung bei Freevee einem noch breiteten Publikum zugänglich gemacht wurde, zu einer Runde gemacht, in der Zweierteams unterwegs waren.
Das Konzept von "Alone" ist in diesem Punkt wirklich ein anderes – und soll schließlich auch eine Publikumsnische erreichen, die eine entsprechende Form der Selbstpräsentation im Netz bereits bestens gewohnt ist. Insofern kann man sich in "Alone" auch trauen regelmäßig Bilder mit dem Charme von Rohmaterial zu senden. Hauptsache der Regen plätschert im Hintergrund unaufhörlich.
Spannend ist die Idee von "Alone" auch deshalb, weil man die Sendung guten Gewissens dem aufkeimendem Trend des "Slow TV" zuordnen kann. Logischerweise verzichtet das Format gänzlich auf Konflikte, von den inneren, denen sich alle teilnehmenden Personen stellen, mal abgesehen. Stattdessen wirkt über den Bildschirm die schier grenzenlose Natur: Nebelschwaden, Seen, Wälder, Strand und immer wieder auch: von Schnaufen unterbrochene Stille.
Für RTL+ ist es folgerichtig, dieses Feld zu bespielen, nachdem man sich in den vergangenen Jahren ein derart umfangreiches Dating-Show-Portfolio aufgebaut hat, dass es möglich ist, jede Woche im Jahr mit mindestens einer Premiere zweier Folgen dieser Bikini-Formate zu bespielen. Zielt man mit den diversen Verführungen im deutlich bequemeren "Paradies" auf jüngeres weibliches Publikum ab, dürfte "Alone" freilich eher dem jungen männlichen Publikum hinterherjagen. Ein Publikum, das sich seit drei Jahren Herbst für Herbst auf "7 vs. Wild" freut und nun Frühjahr für Frühjahr rund drei Monate lang (zehn Folgen sind entstanden) mit dem deutschen "Alone" in Berührung kommen könnte. In der Praxis gibt es freilich die Hürde der Bezahlschranke, während "7 vs. Wild" schnell und frei verfügbar ist.
Handwerklich jedenfalls müssen sich "Alone" und "7 vs. Wild" nicht voreinander verstecken. Keines der Formate muss, wie jener Schwarzbär am Strand, beim Anblick des anderen den sofortigen Rückzug antreten. Und der Markt scheint durchaus zwei starke Survival-Marken aus Deutschland zu vertragen. Darauf erst einmal einen Schluck Schweiß.
Lecker.
Die erste Ausgabe von "Alone" ist ab sofort bei RTL+ verfügbar. Die weiteren Folgen werden wöchentlich donnerstags veröffentlicht.