Wenn es um Unterhaltungsformate bei den Öffentlich-Rechtlichen geht, heißt es oft, diese müssten nicht sein, wenn private Anbieter sie genauso gut machen könnten. Als Unterhaltungs-Kernkompetenz von ARD und ZDF haben sich in den vergangenen Jahren Schlagershows herausgestellt, allen voran die von Florian Silbereisen und Giovanni Zarrella. Und trotz der Tatsache, dass es auch an diesen Formaten vieles auszusetzen gibt, etwa die ständig wiederkehrenden Gäste oder der immerzu gleiche Ablauf, haben sie die Benchmark gesetzt für Schlagershows im deutschen Fernsehen, die auch von jungen Menschen gesehen werden.
Und ganz offensichtlich hat sich Sat.1 daran nun ein Beispiel genommen. Die erste Ausgabe von "Kiwis große Partynacht" war genau das, was man erwarten konnte: Eine ziemlich exakte Imitation dessen, was ARD und ZDF schon vor Jahren etabliert haben. Das Problem: Beim Privatsender findet das alles in einer Art Schmalspur-Version statt. Während Florian Silbereisen und Giovanni Zarrella große Hallen und teilweise ganze Arenen füllen, ist "Kiwis große Partynacht" von Streamwork Produktion und Riverside Entertainment in einem Studio in Berlin Adlershof aufgezeichnet worden. Entsprechend klein und gedrängt sieht alles aus - obwohl 1.500 Menschen vor Ort im Publikum sind.
Trotz gegenteiliger Beteuerungen und Aufforderungen ist die Stimmung bei Kiwis Party nicht immer so, wie man das von der Konkurrenz kennt. Die Regie gibt sich durch schnelle Schnitte sichtlich Mühe, eine gewisse Agilität zu vermitteln und fängt immer wieder Menschen ein, die gute Laune haben und mitsingen. Und immer wieder ist die Stimmung richtig gut, meist bei den Hits der bekannten Größen des Popschlagers. Oft sieht man im Hintergrund dann aber eben auch die Personen, die mehr oder weniger gelangweilt herumstehen und sich die Auftritte ansehen. Nicht hilfreich war in Sachen Studio-Stimmung wohl, dass man kurz vor den Aufzeichnungen Tickets verschenken musste.
Für die Stimmung in der Halle spricht: Immer wieder sieht man verschiedene Menschen aus dem Publikum, die zusammen einen Discofox aufs Parkett legen. Nur leider überträgt sich das nicht immer auf die Zuschauerinnen und Zuschauer zu Hause auf dem Sofa. Während es bei Florian Silbereisen bei nahezu jedem Auftritt knallt und pengt, müssen sich die Künstlerinnen und Künstler bei Andrea Kiewel mit einer Lichtershow und einer Konfetti-Kanone begnügen. Sat.1 hat bei der Produktion also merklich auf die Kostenbremse getreten. Die Personen im Publikum haben nicht einmal Klatschpappen - vielleicht sehen einige von ihnen deshalb oft gelangweilt aus.
Ansonsten bemüht man sich aber nach Kräften, den großen Vorbildern bei den Öffentlich-Rechtlichen nachzueifern. Sogar den wiederkehrenden Refrain nach dem Ende eines Songs hat man übernommen. Die Vorbilder sieht man aber auch beim Blick auf die Gästeliste: Andreas Gabalier, Kerstin Ott, DJ Ötzi, Ben Zucker und Voxxclub sind eine Zusammenstellung aus Musikern, die es exakt so auch bei ARD und ZDF geben würde. Mit Bands und Künstlern wie Alphaville, Culcha Candela, Glasperlenspiel, Gregor Meyle oder Malik Harris versucht man etwas Abwechslung in den bekannten Schlagershow-Ablauf zu bringen. Aber ausgerechnet da löst "Kiwis große Partynacht" ihr Versprechen (Party, Tanzen, gute Laune) oft nicht ein, weil die dargebotenen Songs eben keine Partyhits sind.
Vielleicht wäre es eine bessere Idee gewesen, sich bewusst stärker von der Schlager-Konkurrenz bei ARD und ZDF abzugrenzen. Die Band Glasperlenspiel erhält bei Kiwi den sogenannten "Diamond Award" (O-Ton Kiwi) für ihren Song Geiles Leben (überreicht natürlich von Howard Carpendale). Dabei tun sie sehr überrascht, eine kurze Google-Recherche aber zeigt: Die Diamantene Schallplatte für den Song haben sie bereits 2020 erhalten. Dass Andrea Kiewel dann noch irgendwann fälschlicherweise sagt, das Lied Big in Japan von Alphaville hätte sich 1984 insgesamt 23 Wochen lang "an der Spitze der Charts" gehalten - geschenkt. Die Moderatorin macht insgesamt einen soliden Job, ist aber natürlich gewissen Zwängen unterworfen.
Die Benchmark liegt noch woanders
"Kiwis große Partynacht" zeigt aber auch wunderbar auf, welch schwierigen Spagat diese Shows leisten müssen. Partystimmung kommt vor allem immer dann auf, wenn es zwischen den Acts nur kurze Pausen gibt. Dank der Tatsache, dass es sich bei den Shows um Aufzeichnungen handelt, passiert es auch immer wieder, dass Kiwi nur kurz den nächsten Musiker ansagt und es dann sofort weitergeht. Im Laufe der Show kommt es dann aber immer wieder zu langweiligen, weil erwartbaren Talks mit den Musikerinnen und Musikern. Anastacia? Wie gut spricht die eigentlich Deutsch? Wann ist die nächste Tour von Andreas Gabalier oder Peter Maffay? Und was macht eigentlich das Abenteuerland-Musical von Pur?
Sat.1 begibt sich mit "Kiwis große Partynacht" gewissermaßen auch in ein Abenteuerland. Kann eine Mini-Version der Schlagershows von ARD und ZDF wirklich funktionieren? Ist die Show inhaltlich wirklich so stark, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer nach den Werbepausen immer wieder zurückkommen? Und wie sehr kann man die bekannten Größen der Branche davon überzeugen, dass auch ein Auftritt bei Kiwi gut für sie ist, wenn sie doch bei Florian Silbereisen und Giovanni Zarrella ein mutmaßlich deutlich größeres Publikum erreichen? Das alles sind Fragen, die noch längst nicht restlos geklärt sind. In jedem Fall bietet Andrea Kiewel den Zuschauerinnen und Zuschauern von Sat.1 eine neue Programmfarbe, das muss man allen Beteiligten hoch anrechnen. Noch liegt die Benchmark aber bei der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz.
Die nächste Ausgabe von "Kiwis große Partynacht" ist am Freitag, den 5. Januar, in Sat.1 zu sehen.