"Nie wieder ist jetzt": Dieser Satz ist dieser Tage häufig zu lesen. Was er wert ist, muss sich zeigen, denn die Angst von Jüdinnen und Juden vor Angriffen ist nach dem Hamas-Terror in Israel vor mehr als einem Monat groß. Eine neue Welle des Antisemitismus geht um die Welt und sie macht auch vor Deutschland nicht Halt - trotz des besonderen Verhältnisses zu Israel, das, wie es Vizekanzler Robert Habeck jüngst in seiner viel beachteten Rede formulierte, "aus unserer historischen Verantwortung" rührt.
Vor diesem Hintergrund kommt "Ich bin! Margot Friedländer" gerade recht. Das Dokudrama der Grimme-Preisträger Hannah und Raymond Ley erzählt die beeindruckende Lebensgeschichte der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer, die gerade ihren 102. Geburtstag feierte und die erschreckenden Ereignisse dieser Wochen ganz sicher mit großer Sorge verfolgen wird, schließlich hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, möglichst vielen jungen Menschen das Geschehen während ihrer Jugendjahre eindringlich zu vermitteln, um das Unbeschreibliche nicht vergessen zu machen.
85 Jahre nach den Novemberpogromen von 1938 strahlt das ZDF nun also diesen Film aus, der trotz aller Historie aktueller kaum sein könnte. Großartig ist die Produktion von UFA Documentary nicht nur wegen ihrer Inszenierung oder der Musik, für die Hans P. Ströer verantwortlich zeichnet: Es ist Margot Friedländer selbst, die durch ihr Mitwirken gleichermaßen berührend wie schonungslos dafür sorgt, dass das Drama viel mehr ist als die Verfilmung der Geschichte einer jungen Frau, die immer Schauspielerin werden wollte, stattdessen jedoch 15 Monate im Berliner Untergrund leben musste und 1944 ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurde. Es ist ein zutiefst persönlicher Einblick in eine dunkle Zeit, die man glaubte, längst hinter sich gelassen zu haben.
Die Art und Weise, mit der die verschiedenen Zeitebenen durch Spielszenen und dokumentarisches Material miteinander verwoben werden, ist erstklassig und gipfelt in der Begegnung von Margot Friedländer und der Schauspielerin Julia Anna Grob, die der jungen Margot auf dem tragischen Weg zum Erwachsenwerden zwischen Angst und Gewalt ein Gesicht gibt. Dass es gelang, Stars wie Iris Berben, Axel Prahl, Charly Hübner und Herbert Knaup für teils kleine Nebenrollen zu gewinnen, belegt zugleich den Respekt für die Holocaust-Überlebende, die auch im hohen Alter noch geistig und körperlich in bemerkenswert guter Verfassung ist.
Margot Friedländers Botschaften hallen nach. "Ich spreche für alle, die man umgebracht hat", sagt sie über ihre Mission. "Nicht nur die sechs Millionen Juden, die vielen Tausenden von Menschen, die anders gedacht haben, die Roma, die Sintis. Sie sind umgebracht worden, weil Menschen sie nicht als Menschen anerkannt haben. Ich werde nicht mehr ewig leben, aber ich möchte, dass die nachfolgenden Generationen Zeugnis geben können. Respektiert Menschen, seid Menschen ‒ wenn man Mensch ist, kann man seine Hand nicht gegen andere erheben." Es ist ein Appell, den man heute nicht oft genug wiederholen kann.
"Ich bin! Margot Friedländer", Dienstag um 20:15 Uhr im ZDF und schon jetzt in der ZDF-Mediathek