Vielfalt, so geht ein bekanntes Sprichwort, sei die Würze des Lebens. Und Kontraste, so ließe es sich ergänzen, sorgen für Schärfe. Kontraste wie der zum Beispiel, den uns Oliver Hirschbiegel ab heute bei Sky unterjubelt, um ja keine Zweifel aufkommen zu lassen, wer hier auf der Sonnenseite des vielfältig scharf gewürzten Lebens dieser achtteiligen Dramaserie steht – und wer im Dunkel ihrer Nacht.
Als sie das Kreuzfahrtschiff „Orizzonte“ zum Tage macht, springt ein verzückter Poolpartygast von der Tanzfläche ins Wasser, während sich einige Seemeilen entfernt vergleichbares ereignet, nur unfreiwillig. Hier die feiernden Passagiere eines strahlenden Luxusliners, da die ertrinkenden Flüchtlinge eines brennenden Seelenverkäufers: seit er mit dem Knast-Thriller „Experiment“ seinen Durchbruch als Regisseur feiern konnte, hat der Hamburger das Prinzip fiktionaler Gegensätze permanent verfeinert.
Nie aber war es kontrastreicher als in „Unwanted“, zu Deutsch: „Unerwünscht“. Das nämlich sind 28 Überlebende des gesunkenen Schlepper-Kahns, die Kapitän Arrigo an Bord der „Orizzonte“, zu Deutsch: „Horizont“ holen lässt. 28 Hoffnungssuchende aus Afrika, die den Urlaub von 5.000 Reisenden inklusive Crew fortan mehr beeinflussen, als es der italienischen Reederei lieb ist. „Die Leute sind hier, um einen Traum zu erleben“, sagt einer davon zum Schiffsführer, „die Realität sollte zuhause bleiben.“
Nur: weil sie sich in Zeiten kollabierender Gemeinwesen außer- wie innerhalb Europas selbst auf Vergnügungsdampfern nicht aussperren lässt, steht die Frage in der Kajüte: Was tun mit den Geretteten? Erste Antwort: Sie kommen auf dem leeren Deck 5 unter. Was Antwort 2 allerdings zur Gegenfrage macht, wie lange man die ungebetenen Gäste vom zahlenden Rest der Gäste fernhalten könne. Nicht bis zum Ende der Mittelmeerrundfahrt jedenfalls, meint die Zentrale und befiehlt Kapitän Arrigo, lybische Gewässer anzusteuern.
Spätestens hier nun macht Oliver Hirschbiegel die Schiffsbruchgeschichte von Stefano Bises wie 22 Jahre zuvor seine Kino-Adaption des legendären Stanford-Prison-Experimentes zum Kammerspiel der Hölle. Denn genau das ist Libyen für Flüchtlinge, seit Italien 2017 mit dem failed state 300 Kilometer südlich Siziliens ein umstrittenes Migrationsabkommen vereinbart hat. „Lieber sterbe ich, also dort ausgesetzt zu werden“, sagt einer der 28, als er davon erfährt und deutet an, was bald darauf geschieht.
Das zu beschreiben, wäre ein Spoiler zu viel. Aber es wird nicht nur hochdramatisch, sondern höchst relevant – und zwar obwohl die Weiterführung vom Selbsterfahrungsbericht des Investigativ-Journalisten Fabrizio Gatti das Politische explizit im Privaten sucht. Moralische Fragen nach Pragmatismus oder Humanismus, falsch oder richtig, gewissermaßen Geld oder Liebe also werden hier durch die Herzen und Hirne ausgesuchter Menschen an Bord erörtert.
Auf der einen Seite Flüchtlinge aus Eritrea, Nigeria, Kamerun mit vorgereister Familie (Hassan Najib), bündelweise Dollar (Dada Bozela) oder Panikattacken (Reshny Massaka), die vor Hunger, Krieg, gar Sklaverei ins vermeintlich gelobte Land fliehen. Das allerdings ist wegen rechtspopulistisch befeuerter Migrationsdebatten so zerstritten wie die lustreisenden Ehepaare Franco (Francesco Aquaroli) nebst Silvia (Cecilia Dazz) links und Nicola (Marco Pavetti) nebst Diletta (Denise Capezza) rechts der italienischen Mitte.
Stellvertretend fürs gesamte Schiff diskutieren die vier Reisenden aus Rom unablässig über Wohl und Wehe von Willkommens- oder Abschottungspolitik und klingen trotz beiläufiger Fortpflanzungspläne deutlich didaktischer als der deutsche Cast an Deck. Allen voran Sylvester Groth als Klaus, der mehr mit den Suizidgedanken seiner depressiven Frau Hannelore (Barbara Auer) zu tun hat als den Sorgen der Geflüchteten, bevor sich ihr Sohn, der Kabinen-Steward Jürgen (Jonathan Berlin) ausgerechnet in einen von ihnen verliebt. Reichlich was los also in Kopf und Bauch aller Beteiligten…
Wie in nahezu jeder Extremsituationsstudie vom Diktatoren-Porträt „Der Untergang“ bis zum Prinzessinnen-Biopic „Diana“, trägt Oliver Hirschbiegel den Bootslack des melodramatisch Aufwühlenden schließlich auch hier gern daumendick auf. Zum Glück jedoch hält er dafür die Nässe einsickernder Teilnahmslosigkeit ab und macht „Unwanted“ zu dem, was Serie ja immer sein will: relevant mit Rückgrat, ohne Partei zu ergreifen. Immerhin haben hier alle ihr Päckchen an der rauen Wirklichkeit zu tragen, auch wenn sie unterschiedlich (und keinesfalls nur redlich) beladen sind.
Umso mehr ist es – verglichen etwa mit der artverwandten ZDF-Serie „Liberame“, die 2022 ebenfalls schiffsbrüchige Afrikaner (auf eine Privatyacht) gerettet (und wieder verloren) hat – allein schon insofern ein gutes Beispiel fiktionaler Gegenwartskunde, als „Unwanted“ konsequent den Blick der Opfer krisenbedingter Entwurzelung übernimmt. Im Angesicht ihres unendlichen Leids rückt selbst das Kompetenzgerangel der Führungscrew Arrigo (Marco Bocci) und seiner Stellvertreterin Edith (Jessica Schwarz) da bisweilen in den Hintergrund.
Ob die Sky Studios in Kooperation mit PantaleonFilms und Indiana Production achtmal 45 Minuten gebraucht hätten, um all das so spürbar wie glaubhaft zu machen, sei mal dahingestellt. Am Ende aber entlässt Sky sein Publikum ohne ihm Vorwürfe zu machen mit dem wichtigen Gefühl ins warme Wohnzimmer, anderswo könnte es kälter sein. Vielleicht helfen unterhaltsame Zwischentöne wie diese ja besser gegen Sprachlosigkeit, Vorurteile, den Hass als aufgeheizte Bundestagsdebatten. Schön wär’s.
"Unwanted" läuft ab sofort freitags um 20:15 Uhr in Doppelfolgen bei Sky Atlantic und steht bei Sky Q und Wow zum Abruf bereit.